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Frankreich inszeniert Machtwechsel im Tschad

Ndjamena/Paris/Berlin (taz/ afp/dpa) — Trauermusik erklingt im Radio, der Präsident ist verschwunden, auf den Straßen patrouillieren „Begrüßungskomitees“ aus Polizei und französischen Soldaten: Ndjamena, Hauptstadt des nordafrikanischen Tschad, lag am Wochenende in einem Machtvakuum.

Begonnen hatte alles am 10. November, als Aufständische unter Führung des ehemaligen Armeekommandanten Idriss Déby aus der sudanesischen Wüste in den östlichen Tschad eindrangen. Déby, ein alter Kampfgenosse des tschadischen Präsidenten Hissein Habré, war 1989 nach einem Streit ins sudanesische Exil gegangen. Dort gründete er eine „Patriotische Heilsfront“ (MPS) und rüstete sich zur Wiedererlangung der Macht.

Anders als bei früheren MPS-Invasionsversuchen gelang es den tschadischen Truppen diesmal nicht, die Rebellen wieder aus dem Land zu vertreiben. Präsident Habré bat Frankreich, die USA und Marokko um Intervention — ohne Erfolg. Mitte letzter Woche reiste er persönlich ins Kriegsgebiet und wurde beinahe gefangengenommen. Noch am Freitag meldete er zwar einen „totalen Sieg“ über die Eindringlinge, am selben Tag jedoch nahm Débys MPS die Stadt Abéché ein, offenbar weitgehend kampflos. Dies verwunderte, sind doch in Abéché 500 französische Soldaten stationiert. War etwa Paris im Begriff, den seit 1982 regierenden Habré fallenzulassen?

Die Niederlage traf Tschads Armee empfindlich. Von 40 Panzern waren nur noch zwei übrig, im Generalstab regte sich Unmut. In der Nacht zum Samstag bestieg Präsident Habré ein Flugzeug nach Kamerun. Minister und Gefolgsleute Habrés reisten am Samstag ebenfalls außer Landes — per Schiff über den Ubangi-Fluß, an dem Ndjamena liegt und der den Tschad von Kamerun trennt. Als dies bekannt wurde, brach in Ndjamena Panikstimmung aus. Soldaten warfen Waffen und Uniformen weg und kaperten Autos, um das Land zu verlassen. Die französischen Truppen von 1.100 Mann erhielten Verstärkung aus Korsika und der Zentralafrikanischen Republik, und die Evakuierung von Europäern wurde vorbereitet.

Gestern früh wurden 960 Franzosen nach Paris ausgeflogen. Auf den Straßen Ndjamenas sorgten französische Soldaten dafür, „den zivilen Frieden zu wahren“, wie ein Sprecher erklärte. Der in der Stadt verbliebene Parlamentspräsident Jean- Bawoyeau Alingue übernahm provisorisch die Macht. Er erklärte, demnächst werde Déby in die Hauptstadt einrücken, und bereitete ein Luxushotel für den Empfang vor. Eine französische Delegation brach in den Tschad auf, um zusammen mit Idriss Déby „eine für alle akzeptable Lösung“ zu finden. Am Nachmittag erreichte schließlich ein erster MPS- Konvoi die Hauptstadt.

Die Franzosen, so ein Beobachter, rührten „nicht einen Finger“, um den Sturz Habrés zu verhindern. Für ihre offenkundige Bereitschaft, Déby schnellstmöglich als Machthaber zu installieren, gibt es vor allem einen Grund: einen langwierigen Bürgerkrieg zu verhindern, den der nördliche Nachbar Libyen für seine eigenen Interessen ausnutzen könnte. Déby ist in Paris bestens bekannt: Im Tschad-Krieg gegen Libyen 1983 arbeitete Frankreich eng mit ihm zusammen, 1985 genoß er eine Militärausbildung an der Pariser Ecole de Guerre. D.J.

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