: Fritz hat Zahnweh
„Langopolis“, der neue Roman über Fritz Lang, geht mit der Lang-Legende hinreichend respektlos um ■ Von Katharina Döbler
Ende Februar 1933. Am Tag nach dem Reichstagsbrand trifft Fritz auf dem Bahnhof Zoo den Kollegen Brecht mit Frau, Kind und Koffer. Da wundert sich Fritz nicht.
Den Reichstagsbrand stellt er sich vor wie den Brand der Chemiefabrik, den er für seinen letzten Film Das Testament des Dr.Mabuse inszeniert hat. Die Nazis verbieten diesen Film. Da wundert sich Fritz.
Fritz hat nicht aufgepaßt. Er bekommt überhaupt nicht viel mit von dem, was um ihn herum geschieht, hat er doch genug zu kämpfen: mit Zahnschmerzen und mit der Untreue seiner Frau. Gegen die Zahnschmerzen helfen der Zahnarzt und das Kokain, gegen Theas Untreue hilft Arbeit: an einem neuen Drehbuch, das er zum ersten Mal seit zehn Jahren selber schreibt und gegen das die Nazis bestimmt nichts haben werden.
Aber: Warum fährt Fritz fort? Um dieses Rätsel spinnt Howard A. Rodman seinen Psychoroman über die letzten Wochen des Fritz Lang in Berlin: ein Roman, wohlgemerkt, keine Biographie. Er nimmt sich die Freiheit, mit den Fakten generös umzugehen. So unterschlägt er die Tatsache, daß Frau Lang, Thea von Harbou, seit 1932 NSDAP-Mitglied war, und auch die Scheidung des Ehepaars Lang im April 1933. Fritz Langs Abreise in die Emigration verlegt er auf einen früheren Zeitpunkt, den März 1933: Jene legendäre Unterredung Langs mit dem Reichspropagandaminister Goebbels, bei der ihm dieser eine leitende Stellung in der deutschen Filmindustrie anbot (wobei er über Langs Hinweis auf seine jüdische Mutter getreu Görings Motto: Wer Jude ist, bestimme ich! souverän hinwegging), sei, wie Lang selbst behauptet hat, der Auslöser gewesen. Ob und wann diese Unterredung stattgefunden hat, ist nicht sicher, aber daß Lang Deutschland erst im Juli endgültig verließ, wußten Lang-Biographen schon vor der jüngsten 'Spiegel‘-Enthüllung.
Warum also fährt Fritz fort? Der Verfasser macht sich seine Gedanken. Mit schönster amerikanischer Unbefangenheit malt er dem Leser das leichte Geplauder des Ministers Goebbels in seinem frisch renovierten Büro aus, zeichnet einen von Eifersucht und Zahnschmerz gequälten Regisseur, der, ein hübsches Portiönchen Koks in der Rocktasche, Zeuge einer Schlägerei der SA wird.
Es erinnert an den Film Cabaret: das Heraufdämmern des Dritten Reiches als schicker, gedämpft brauner Hintergrund eines Melodrams, des Künstlers verzweifelte Liebe zu seiner verräterischen Gattin. Pikanterweise hat der Autor den Liebhaber Theas, der eigentlich Inder war, zu einem amerikanischen Hemingway- Typen mit Whiskyflasche und Presseausweis umfunktioniert, der den Nazis ein Schnippchen schlägt. Einen Helden hat die Geschichte also auch, aber Fritz ist es nicht.
Lang hat in Interviews so wenig wie möglich über sein Privatleben gesprochen. So kann sich jeder dazu denken, was er will. Und einen Roman daraus machen. Das ist legitim. Der Meister des Monumentalfilms der zwanziger Jahre als jammernder Pantoffelheld, der sich zu dick findet und seiner Frau nachspioniert, während die Braunhemden die Straße beherrschen: dies ist eine respektlose Darstellungsmöglichkeit, aber gar so weit hergeholt ist sie auch wieder nicht.
Nicht so weit jedenfalls, daß es Anlaß genug für eine Rezensentin der 'FAZ‘ böte, über die Beschreibung solch alltäglicher Banalitäten im Leben des großen deutschen Regisseurs (!) und Emigranten (!) in nachhaltige Empörung auszubrechen. Aber sie nahm es dem Herrn Rodman übel, sein „triviales Büchlein“ über den großen Fritz, „das weniger ärgerlich wäre, wenn er Thea Waltraud und Fritz Peter genannt und damit jede Ähnlichkeit mit einst lebenden Personen ausgeschlossen hätte“. Nur, daß der Reiz des Buches eben darin besteht, daß beide Personen keine historischen Übermenschen, sondern durchaus Waltraud und Peter, Hinz und Kunz sind. In dieser Vision der Banalität vedichtet sich unheilvolles Unwohlsein (angefangen mit den leidigen Zahnschmerzen) des Protagonisten zu filmhafter existentieller Düsternis, während der bis zuletzt an seinem Manuskript arbeitet, um es der Thea und den Nazis mal zu zeigen.
Der Autor legt sich mächtig ins Zeug, um eine spukhafte „schicksalhafte“ Stimmung zu erzeugen, die er den Lang/Harbou-Filmen nachzukupfern bemüht ist („in the black of the print on the white of the paper a world light and shadow“, wie Rodman bescheiden erklärt). Was ihm manchmal tatsächlich gelingt, so bei der Beschreibung einer Reise Theas durch das nächtliche Berlin, die im Nichts endet: die Türen einer zwielichtigen Kaschemme plötzlich verrammelt, irreführende Hinweise im Verbrechercode auf der Litfaßsäule, eine Adresse, wo nur noch Ruinen stehen, und mittendrin herumirrend Thea, im schwachen Schein der Straßenlaternen kontrastreiche Schatten werfend, schicksalsträchtig.
Fatalität, das große Thema von Lang/Harbou, kommt da als Hauptthema des Buches zum Tragen: Verstrickung in Liebe und Haß, Handeln nach den Prinzipien von Ehre und Rache, Ausgeliefertsein an das Schicksal — die „Vorsehung“, wie Adolf Hitler es nannte. Die Frau und der Mann, die Künstler, die „Kinder ihrer Zeit“ sind ihr unterworfen. Fatalität, darum fährt Fritz fort. Etwas ist hinter ihm her wie hinter dem zarten Mörder Peter Lorres. Etwas: Fatalität, die die Protagonisten zu Objekten, nicht Subjekten der Geschichte macht.
Insofern wird der Schreiber Rodman den Filmern Fritz Lang und Thea von Harbou durchaus gerecht. Dem Roman liegt die These zugrunde, daß historische Ereignisse für den, der sie erlebt, eher etwas Relatives sind; relativ bezüglich der Auswirkungen auf die eigene Biographie, relativ auch bezüglich der Geschwindigkeit, mit der sie sich auswirken, nicht unbedingt explosionsartig für den, der sich nur weit genug entfernt vom Epizentrum der Katastrophe befindet. Für einen Fritz.
Und ebendiese These ist es, die der nachkriegsdeutschen Lang-Rezeption so sehr zuwiderläuft.
(Eine empfehlenswerte Lang- Biographie von Lotte H. Eisner ist bislang leider nur auf englisch und französisch erhältlich. Das deutsche, von Lang selbst gegengelesene Manuskript befindet sich im Besitz des deutschen Filmmuseums, wo es zwecks Überwindung editorischer Schwierigkeiten seit fünf Jahren bearbeitet wird. (Lotte H. Eisner: Fritz Lang. Cahiers du cinema, Paris 1984. Secker&Warburg, London 1976)
Für Rodman ist Fritz Lang einer, der die Katastrophe nicht wahrhaben will. Ein Unpolitischer eben, ein Filmregisseur, für den Politik höchstens Kulturpolitik sein kann, und nicht Künder, Visionär des herannahenden Unheils, auch nicht Wegbereiter der neuen Kraft, wie ihm beides von verschiedenen Seiten in seine Filme interpretiert wurde.
Er wollte mit dem Testament des Dr.Mabuse die braune Verbrecherriege denunzieren, befanden die einen. Die anderen meinten, die Gangsterbande mit Weltzerstörungsphantasien sei als Abbild der Kommunisten gemeint. Lang selbst äußerte sich dazu erst 1943, als er sich in Amerika längst als Nazigegner profiliert hatte. Er habe, sagte er, „Parolen und Glaubensartikel des Dritten Reiches [...] Verbrechern in den Mund gelegt“ mit der Absicht, sie zu demaskieren. Zeitgenossen wie Conrad von Molo schätzten den Fritz Lang von damals politisch eher schwankend ein.
Was Thea von Harbou angeht, so war ihre politische Haltung eindeutig. Schon vor ihren Drehbüchern für Lang hatte sie erfolgreiche Schmachtfetzen wieDeutsche Frauen (Bilder stillen Heldentums), Der unsterbliche Acker, Die junge Wacht am Rhein und ähnliche verfaßt. Nicht umsonst nannte man sie damals in Berlin „Lady Kitschen“. Ihr Geschick, Kolportage im großen und gerne „völkischen“ Stil zu produzieren, hat sicher zur Popularität von Langs Filmen beigetragen. Thea Hardou blieb in Deutschland und wurde zwar keine Riefenstahl, aber doch eine erfolgreiche Nazikulturschaffende.
Langs eigene politische Herkunft war, als ehemaliger K.u.k.-Offizier, eher deutschnational. Filme wie Metropolis, in dem sich „Hirn“ und „Hände“ über das „Herz“ zu einem harmonischen Ganzen vereinen, oder die beiden kolossalen Nibelungenstreifen, die dem Führer und Goebbels so gut gefielen, kann man nicht ganz der unseligen Thea Harbou ankreiden. Einmal, weil Lang selbst zugegeben hat, „wenigstens zu fünfzig Prozent verantwortlich“ und „damals politisch nicht so bewußt“ gewesen zu sein. Zum Anderen scheute Lang selbst in jungen Jahren vor rassistischem Gedankengut keineswegs zurück. Zu seinem ersten Film Halbblut (1919), dessen Buch er ebenfalls verfaßt hat, notiert er, daß „ein Halbblut, selbst bei bester Erziehung und in die glänzendsten Verhältnisse gestellt, immer wieder in die ureigensten Fehler zurückfallen muß“ und „die Rasseneigenheit blinden Hasses, der vor nichts zurückschreckt, [...] mit der Kälte aztekischer Herzlosigkeit alles erstickt, was die weiße Rasse vielleicht an Frömmigkeit und Liebe in die Seele gelegt hat“.
Die Uraufführung des zweiten Mabuse-Films im März 1933 setzten die Nazis ab, ließen statt dessen den Blut-und-Boden-Schinken Blutendes Deutschland laufen. Das Testament des Dr.Mabuse und M — Mörder unter uns wurden verboten. Es ist zu vermuten, daß das nicht aus Gründen der Wiedererkennung geschah. Im Testament sah Goebbels eine Gefahr für den Staat, weil darin bewiesen werde, daß „eine bis zum äußersten entschlossene Gruppe von Männern [...] durchaus imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben“. M wurde wahrscheinlich wegen der — von den Nazis völlig tabuisierten — Darstellung eines „Geisteskranken“ verboten.
Fritz Lang hat auf das Verbot seiner Filme sehr viel langsamer reagiert, als der Roman es darstellt; was darauf schließen läßt, daß er, auch er, erst mal abwarten wollte. Egal, ob man davon ausgeht, daß die Anspielungen in den inkriminierten Filmen beabsichtigt oder nur unkritische Spiegelungen des Zeitgeistes waren, ein politischer Mensch war Lang in der Zeit vor seiner Emigration ganz gewiß nicht. Mag er dem Völkischen zugeneigt gewesen sein, mag die sentimentale Symbolhaftigkeit der Harbouschen Drehbücher seiner ornamentalen und technikbegeisterten Filmarbeit sehr zupaß gekommen sein: er war kein Nazi. Und die Vorstellung eines Fritz Lang, den durch sein Monokel Gesichte von der grauenhaften Zukunft heimsuchten, ist eine dämonisierte Überhöhung, eine Auffassung von Genialität, wie sie ein kleinbürgerlicher Kunstbegriff gern in die Nähe visionären Wahnsinns rückt.
Fritz Lang, der Erfinder des Countdowns, der Kameraschaukel und Meister kolossalischer Bilder, war, um auf Rodmans Buch zurückzukommen, der Banalität weder von Zahnschmerzen noch von politischer Blindheit entrückt. Gewiß sind seine frühen Filme, abgesehen von den technischen Neuerungen, deshalb so einprägsam, weil sie die Massenphänomene und Obsessionen der Weimarer Zeit so wenig pädagogisch und so sehr unterhaltsam darstellen.
Fritz fährt fort, weil ihm nichts anderes übrigbleibt. Im nachhinein, wenn der historische Sieg nach Punkten längst feststeht, mithin klar erwiesen ist, wer die Bösen und die Guten waren, ist es leicht, die Trennung zu vollziehen und die schwarzen von den weißen Schafen zu scheiden, und dann haben die weißen schäfchenweiß und über jeden Zweifel erhaben zu sein. Für die aber, die damals über den Horizont ihrer Gegenwart nicht hinausschauen konnten, war es „normal“, einfach weiterzumachen, bis auch sie das Verdikt „unerwünscht“ traf.
Nur wenige sind damals freiwillig und aus politischer Überzeugung gegangen. Und schon gar nicht die, die keine politische Überzeugung hatten. Das Leben ging weiter, und an bestimmte Beschränkungen gewöhnte man sich wie an die Braunhemden auf der Straße. Das ist nicht die oftmals denunzierte Feigheit der Anpassung, sondern die der Nichtwahrnehmung einer einschneidenden Veränderung. Den Terror gespürt haben die, gegen die er ausgeübt wurde, denen man die Arbeit verbot, deren Parteien man verbot, die man verhaftete. Die anderen haben zugesehen und stillgehalten. Zahnschmerzen gehabt, bestenfalls. Das stilisierte Bild des Künstlers, der, frei von Banalität und Irrtümern, stets das Rechte tut, den „besseren Deutschen“ verkörpert, ist eine Fiktion der Verdrängung. Und diese Fiktion der „Nachgeborenen“ fordert und fördert die kollektive Lüge des Nichtdabeigewesenseins, immer Dagegengewesenseins. Alltag und Banalität existieren auch mitten in der Katastrophe. Vor allem, wenn eine Katastrophe Jahre und Jahrzehnte dauert.
Howard A. Rodman: Langopolis. Roman. Quadriga Verlag, Weinheim 1990, 236 Seiten, 36 DM
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