: Bauern belagern Brüssel Minister hinter Stacheldraht
■ Gatt-Verhandlungszentrum hermetisch gegen Demonstranten abgeriegelt
Brüssel (dpa/ afp) — Mindestes 10.000 Bauern aus ganz Europa haben gestern in Brüssel gegen Pläne zu einer weltweiten Kürzung der Agrarsubventionen demonstriert. Die internationalen Bauernverbände hatten zum Auftakt der Schlußkonferenz der Welthandelsrunde des Gatt bis zu 30.000 Landwirte erwartet. Brüssel glich bei Beginn der Kundgebung gegen Mittag in weiten Teilen einer belagerten Stadt.
Das Hauptgebäude der EG-Kommission war mit Stacheldraht weiträumig abgeriegelt worden. 3.500 Gendarmen und Polizisten aus ganz Belgien waren im Einsatz. Sie sollten verhindern, daß sich die schweren Ausschreitungen von vor fast 20 Jahren wiederholten. Im März 1971 waren bei Protesten von 75.000 Bauern gegen die Agrarpolitik der EG 160 Menschen verletzt worden, in der Brüsseler Innenstadt Schäden in Millionenhöhe entstanden und ein Landwirt durch ein Tränengasgeschoß getötet worden. Die Regierung der Provinz Brabant untersagte es den Bauern, bei der Kundgebung Traktoren zu benutzen. Wer gegen die Anordnung verstieß, riskierte die Beschlagnahmung seines Fahrzeugs. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbands (DBV) wurden zu der Kundgebung 5.000 Landwirte aus allen Teilen Deutschlands erwartet. Außer den europäischen Bauern nahmen auch Landwirte aus den USA, Japan und Südkorea an der Protestdemonstration teil.
„Großbauern verhindern neue Agrarpolitik“
Nicht mehr Geld, sondern eine bessere Verteilung der vorhandenen Mittel ist für eine neue Agrarpolitik erforderlich. Das erklärte der Nestor der deutschen agrarpolitischen Wissenschaften, Professor Hermann Priebe, vor der Mitgliederversammlung der konservativen „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft“ in Bonn. Die Einkommen der Landwirte sollten sich in Zukunft aus am Markt orientierten Preisen und produktionsneutralen Vergütungen über die Flächen, die naturgerecht bewirtschaftet werden, bilden.
Eine solche Agrarpolitik scheitert nach den Ausführungen Priebes bisher am Widerstand der größeren Landwirte im Bauernverband, die bei spezialisierter Marktproduktion vor allem an den Getreidepreisen interessiert seien. Diesen sei es bisher gelungen, aus der bei den Gatt-Verhandlungen geforderten Verminderung der Exportsubventionen und damit der Getreidepreise ein Schreckensszenarium zu machen und die Bauern gegen ihre eigenen Interessen auf die Straße zu treiben.
„Desillusionierung und Verwirrung“
Mit erneut mahnenden Worten wurde in Brüssel die Abschlußrunde eröffnet. Gatt-Generalsekretär Arthur Dunkel betonte, die Beamten seien in ihren Vorverhandlungen „so weit gegangen wie sie konnten“. Jetzt müßten die Minister entscheiden. Es dürfe in Brüssel „keine politische Showdown-Verhandlungen“ geben. Ein Vertreter der Dritten Welt sagte, die Stimmung unter den Entwicklungsländern sei von „Desillusionierung und Verwirrung“ gekennzeichnet. „Die meisten von uns sind entsetzt über die Arroganz der wichtigsten Mächte, die eine vollkommene Mißachtung der Interessen unserer Länder an den Tag legen“, sagte der Minister, der nicht namentlich genannt werden wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen