: Chancen vorläufig verspielt
■ Von politischen Unmöglichkeiten und der Zukunft der Grünen DEBATTE
Wir haben verloren. Zu Recht! Wer die Wähler für Idioten hält, ist selber einer. Die demokratische Methodenblindheit der Grünen zeigt sich an den Reaktionen des Bundesvorstandes. Ein halbes Jahr konnte er schalten und walten, wie er wollte. Die Partei hat diszipliniert jeden Vorschlag hingenommen. Jetzt, wo alles verloren ist, will der Bundesvorstand (BuVo) weiter auf Halten spielen. Anstatt der Partei das Mandat für die Zukunft von uns Grünen zurückzugeben, die Partei so schnell als möglich vor die Entscheidung zu stellen, ob sie, wie und mit wem sie weitermachen will, klammern sich die BuVos an ihre historische Sendung, wie Frank Elstner an die seine. Diese Haltung ist der Kern des politischen Debakels der Partei. Sie bezeichnet die Distanz zur Wirklichkeit der politischen Veränderung in der Gesellschaft. Wo viele mehr Demokratie und Ökologie verlangen und praktizieren, bieten wir Grünen Bekenntnisse und Denkverbote. Die Grünen haben nicht verloren wegen den Debatten, die sie geführt haben, sondern wegen denen, die sie nicht geführt haben. Also, Christian Ströbele, gib uns Gedankenfreiheit und geh' mit deinen Leuten zur Seite.
Die Krise der Grünen ist die Krise der Linken
Die Krise der Grünen ist die Krise der Linken, ist die Krise von SPD, PDS und linken Grünen. Das Jahr 1989 signalisiert den Beginn einer neuen politischen Kultur in der Bundesrepublik. Mit der Einheit Deutschlands und Europas ist auch das Zeitalter überkommener Politikmuster aus den letzten 100 Jahren zu Ende. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme stellt den sozialdemokratischen Parteien im Westen die Frage: Was bleibt von der sozialistischen Idee nach dem Wegfall des Staates als Hauptheilsarmee und des Wachstumsoptimismus?
Die Zeit der Fortschreibung der Gesellschaft unter der Parole „Mehr soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung des Reichtums“ gleich mehr Demokratie und mehr Freiheit, ist umgekippt. Wer heute allein durch die Umverteilungsoper Lebensverhältnisse verbessern will, landet mit Sicherheit im autoritären Staat der Kommunisten oder dem starken Staat der demokratischen Sozialisten. Auf die Grundfrage der sich demokratisierenden und ökologisierenden westlichen Gesellschaften, wie gemeinsam mit der Mehrheit aller Menschen ein ökologisch verantwortliches Sich-selbst-Beschränken und dabei doch befriedigendes und sozial gerechtes Leben-Können in Gang gebracht wird, kann aber mit den Methoden sozialdemokratischen Denkens keine Antwort gefunden werden. Politik als die pragmatische und ethisch verantwortliche Suche nach Pfaden raus aus dem industrialistischen Selbstzerstörungswahn ebenso wie aus dem sozialdemokratischen Technokratismus — das war und bleibt die Chance der Grünen.
Acht Jahre Bundestag sind acht Jahre vorläufiges Verspielen dieser Chance: Die wertkonservativen Ökologen in die CDU oder die ÖDP verjagt. Die „Unruhigen Panther“ und die Alten, die sich nicht in sozialdemokratische Massenaltersheime abschieben lassen wollen, frustriert und ins Abseits verdrängt. Die ethisch und moralisch selbstbewußte bürgerliche Elite der Republik gegen ihren Willen in die FDP oder an Lafontaines Seite getrieben. Die Alleinerziehenden, die Mütter und viele Frauen der Frau Süssmuth und den katholischen Sozialreformern überlassen. Selbstorganisationsansätze in der Wirtschaft, in der Wohnungspolitik, in der Sozialpolitik dem Professionalisierungswahn der Sozialdemokraten ausgeliefert. In der Bildungspolitik reformerische Schulansätze zugunsten des Gleichheitsfetischs der Gesamtschulfreunde gegen den Willen vieler Eltern ignoriert. Umweltverbände und ökologische Bürgerinitiativen durch dogmatischen Prinzipialismus sich selbst überlassen. Nationalistisch in der Außenpolitik wie sonst nur noch die Rechten in der CDU, weil die Ineinssetzung des allerfriedlichsten und des allermilitaristischsten Deutschen die wirkliche Friedensbereitschaft immer größerer Teile unter uns ignoriert. Die Deutschen in der DDR am liebsten draußen gehalten, und als sie dann dabei waren, als Deppen, die uns nur in die 50er Jahre zurückdrängen, denunziert. Es komme niemand und behaupte, wir seien das Opfer der Deutschlandeuphorie geworden. Diese Euphorie gibt es nicht und deswegen mußte die politische Argumentation, die sich darauf kapriziert ins Leere stoßen.
Wollen die Grünen neben PDS und SPD eine eigene Rolle spielen?
Das Wahlergebnis für die Grünen ist unabhängig von der Wiedervereinigung die Quittung für Ignoranz gegenüber den sozialen und ökologischen Veränderungen im Inneren und der dramatischen Renaissance freiheitlicher Demokratie auf der ganzen Welt. Insoweit geht es in Ordnung. Zu fragen ist jetzt, ob die Grünen neben den Sozialdemokraten und der PDS eine eigenständige politische Rolle spielen können und wollen. Nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre gehört ein gehöriger Teil der Grünen in die SPD. Sie repräsentiert den Versuch, traditionell linkes sozialistisches Denken mit den Ideen der ökologischen Wende, raus aus dem Industrialismus, zu verbinden. Diese Verbindung aber ist politisch unmöglich. Sie reduziert die revolutionäre ökologische Frage auf die Fortschreibung alter sozialdemokratischer Parteiprogramme mit ökologischen Maßnahmen und Vokabular. Der Gegensatz aber von erfolgreich in die kapitalistische Demokratie eingeschriebener immer unbefriedigenderer sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftsverändernder ökologischer Notwendigkeit kann so nicht aufgehoben werden. Kohls Politik unterscheidet sich in der Fragestellung, die hier formuliert wurde, von der der SPD nur durch Cleverneß, autoritären Pragmatismus und Wohlstandsverheißungen. Vor allem aber durch das Bestehen auf der Ungerechtigkeit als Folge der Freiheit bürgerlich-demokratischer Kultur.
Die Grünen, die nur gedankliche Vorarbeit für irgendeine Zukunft der sozialdemokratischen, realsozialistischen oder linksgrünen Parteien und Ideen leisten wollen, sollten sich schnell auf den Weg zu den Sozis machen und sich mit ihnen gemeinsam auf die Talfahrt bis zu 20 Prozent lukrativen Daueropponierens auf allen gesellschaftichen Ebenen begeben.
Wir wollen Rot-Grün (-Gelb) schon 1994
Die Grünen aber können immer noch die Partei der ökologischen Wende werden, wenn sie die Renaissance von Politik als das Formulieren und Zustandebringen von gesellschaftlichen Konsensen in ökologischer Absicht — von der Verkehrspolitik über die Energiepolitik, der Wohnungspolitik, Jugend- und Bildungspolitik bis zur Friedenspolitik — begreifen, die so unwiderstehlich sind, daß an ihnen die Blockmehrheiten der Konservativen und auch der Sozialdemokraten aufbrechen. Dazu brauchen die Grünen eine Partei als schlagkräftiges und eingreiffähiges mehrheitspokerndes von allen leidenschaftlichen und spannenden Individuen der Republik genutztes Instrument, um auf der öffentlichen Bühne lustvoll und dramenreich den Ausweg aus dem unausweichlich scheinenden ökologischen Desaster zu suchen. Ich verlange bei den Grünen eine Machtpolitik, die alle die, die ohnehin zu den Sozis wollen dazu bringt, auch dorthin zu gehen und zugleich all denen, die Lust auf sozialistisches Sektenleben haben, die PDS anempfiehlt. Dann haben wir Grünen vielleicht die Chance, die heiße kleine Truppe, der Kern der langfristigen Alternative zu SPD und Kohl zu werden, die sich Samba nicht nur als Selbstbetrug im Wahlkampf vorspielen läßt, sondern ihn tanzt und alle anderen in ihren Taumel hineinreißt. Wir wollen Rot-Grün oder Rot-grün-gelb schon 1994, so vermessen das klingt. Aber beides gibt es nicht als sozialdemokratisierten Einheitsbrei, sondern nur als scharf gewürztes Menü. Udo Knapp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen