V-Mann stolpert über Paßkontrolle

■ Abgetauchter V-Mann bespitzelte zuvor die taz, Volkszählungsgegner und Autonome

Berlin (taz) — Dem V-Mann wurde der versuchte Grenzübertritt zum Verhängnis. Weil er unter Führungsaufsicht stand und seinen polizeilichen Meldeauflagen seit langem nicht mehr nachkam, wurde der 34jährige Norbert-Leander Hermsdorf Anfang November in Begleitung seines V-Mann-Führers an der deutsch-schweizerischen Grenze festgenommen. Der frühere Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes (VS) stolperte über den elektronischen Paßabgleich. Pech aber auch für andere Mitarbeiter des Berliner Landesamtes: Mit der Festnahme des V-Mannes brach das aufwendige „Sicherheitskonzept“ zusammen, mit dem seinerzeit der frühere Staatssekretär Wolfgang Müllenbrock in einer seiner letzten Amtshandlungen dem früheren Mitarbeiter im März 89 das „Abtauchen“ ermöglichte.

Mit der Meldung über die Festnahme seines Schützlings brachte der V-Mann-Führer aber auch einen ganz anderen Stein ins Rollen. Nur wenige Tage vor dem Berliner Wahldebakel kam so die Akte Hermsdorf auf den Tisch des sozialdemokratischen Innensenators Erich Pätzold. Und siehe da: Der V-Mann hat seit seinem „Abtauchen“ nicht nur ein Vielfaches der Gelder erhalten, die ihm bewilligt worden waren — Hermsdorf war zudem der Mann, der für das Begehen von Straftaten vom Berliner Verfassungsschutz Prämien erhalten hatte. Der Innensenator mußte bei seinen Recherchen feststellen, daß er im Fall Hermsdorf von Mitarbeitern seines Amtes hintergangen worden war. Nur wenige Wochen vor der Konstituierung einer großen Koalition könnte der Skandal für einige VS-Mitarbeiter wohl Folgen haben. Pätzold kündigte strafrechtliche und dienstrechtliche Konsequenzen an.

Der V-Mann ist seit Januar letzten Jahres kein Unbekannter. Er wurde von der taz als Spitzel enttarnt, der als Freigänger im Verwaltungsbereich der taz plaziert worden war. Hermsdorf verschwand aus der taz, nachdem er zuvor in die Kasse gegriffen hatte. Das Zwischenspiel von Hermsdorf bei der taz endete im Juli 82 — danach arbeitete er für den Verfassungsschutz in der Autonomenszene und unter Mitarbeitern von Volkszählungsboykott-Initiativen. Seit die Akte Hermsdorf erneut aus den Archiven des Landesamtes hervorgekramt wurde, ist auch bekannt, daß sich „Norbert“ — und sein V-Mann-Führer Lutz T. — besonders für „Kleingruppenaktionen“ Berliner Autonomer interessierte. Zu diesem Zweck hatte Harmsdorf auch die Rückendeckung des Amtes zum Begehen von Straftaten.

Nach seiner Entarnung im Januar 89 war Hermsdorf überstürzt abgetaucht. Tatkräftige Hilfe leistete das Landesamt. Während die Mitglieder seiner Wohngemeinschaft noch schliefen, räumten Mitarbeiter des Amtes in einer Blitzaktion die beiden Zimmer Hermsdorfs aus. Die Spur des V-Mannes verlor sich — bis zur Paßkontrolle im November 1990. Wolfgang Gast