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Wabern in der Gerüchteküche

■ Vor Beginn der Koalitionsverhandlungen werden im Rathaus Schöneberg Dutzende von Namen gehandelt ...

Rathaus

Geradezu wollüstig wird in Zeiten des politischen Umbruchs von den sogenannten Trägern der öffentlichen Meinung — diese Zeitung soll keine Ausnahme sein — die Gerüchteküche angeheizt: Wer erhält welchen Posten, wer steigt auf, wer kommt aus der Versenkung zurück, wer verschwindet möglicherweise von der politischen Bildfläche. Politik besteht zu 10 Prozent aus Inhalten, zu 90 aus Personen — die Spekulationen beginnen meist schon am Wahlabend zu wachsen und gedeihen. Morgens gilt der erste Griff der ProtagonistInnen noch gieriger als sonst den Zeitungen, denn schließlich möchte man doch gerne wissen, als was man wo gehandelt wird. Die öffentlich inszenierte Empörung über die Gerüchte ist meist nur gespielt, denn gerade zu Koalitionsbildungen gehören sie gewissermaßen als Essential dazu.

So richtig klar sind knapp eine Woche nach der Wahl nur einige wenige Personalien, aber vieles deutet sich hinter den Kulissen bereits an — mit wechselnden Namen. Die SPD will soviel wie möglich heraushandeln und nicht alle harten Ressorts der CDU überlassen. Am Wahlsieger Eberhard Diepgen führt kein Weg vorbei: Der 49jährige Jurist und Jubelberliner wird die schwarz-rote Crew als Regierender Bürgermeister leiten. Das Diepchen, wie er während seiner ersten Amtszeit als Regierender von 1984 bis 1989 wegen seiner Konturlosigkeit genannt wurde, ist damit am Ziel seiner Träume. Der Mann, der als farbloser Oppositionschef ertragen mußte, daß dem Rivalen mit dem roten Schal die Einheit in den Schoß fiel, geht jetzt als erster Regierender der vereinigten Stadt in die Annalen ein. Mit ihm wird sein Wegbegleiter aus vergangenen Tagen, Ex-Kultursenator Volker Hassemer, wieder ein Regierungsamt bekleiden: Er hat sein Auge erneut auf das Umweltressort geworfen. Einen Senatsposten sicher hat auch Ex-Wirtschaftsstadtrat und -senator Elmar Pieroth. Der Pfälzer mit den Mehrfachämtern, gegen den eine Klage wegen Verwicklung in die heimatlichen Weinpanschereien mangels Beweisen eingestellt wurde, saß im Ostteil bereits in einer großen Koalition. Ganz sicher nicht verzichten wird die CDU auf das Innenressort: Mit innenpolitischen Themen wurde die Wahl gewonnen, und alle Eigenwerbung wird dem Noch- Senator Erich Pätzold nichts nutzen. Der vom SPD-Rechten zum Exponenten von Rot-Grün Geläuterte ist für die CDU nicht tragbar. Gehandelt werden dafür Namen, die in der Stadt wieder für sichere Feindbilder seitens der Linken sorgen werden. Ex-Innensenator Heinrich Lummer versicherte eilends, er werde Berlin zur Verfügung stehen, und auch sein ehemaliger Staatssekretär Wolfgang Müllenbrock wurde im Rathaus Schöneberg schon flüsternd erwähnt. Die SPD wird beide Gewährsmänner für stramm rechte Politik der CDU nicht schlucken wollen. Müllenbrock, dessen Rolle als Staatsanwalt während der Schmücker-Affäre bis heute nicht geklärt ist, tat bereits Anfang der Achtziger alles, um die sogenannten Berliner Linie gegen Hausbesetzungen zu unterlaufen. Als dritter im Bunde wird der Verfassungsrechtler Klaus Finkelnburg gehandelt, der zusammen mit Erhart Körting (SPD) und Renate Künast (AL) den sogenannten FKK- Entwurf der Berliner Verfassung erarbeitet hat. Möglich wäre auch noch der Zehlendorfer Bezirksbürgermeister Jürgen Klemann, der im Herbst dafür gesorgt hat, daß der Stauraum Dreilinden nicht zum »Zigeunerlager verkommt«. Aufsteigen wird vermutlich auch FU-Präsident Dieter Heckelmann, berüchtigt für dubiose Machenschaften gegen seinen Vorgänger, den linken Germanisten Eberhard Lämmert.

Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller wird das Otto-Suhr-Institut wieder beglücken, wo sie ihre Professorenstelle warmgehalten hat. Auch das häufig geschmähte Küchenkabinett wird in der Versenkung verschwinden: Die künftige Rolle von Walter Momper scheint mehr und mehr auf den Landesvorsitz hinauszulaufen. Seine rechte Hand, der Verwaltungsjurist und Chef der Senatskanzlei Dieter Schröder, wird ebenfalls ans OSI zurückkehren. Mompers linke Hand und Chefberater, Senatssprecher Werner Kolhoff, der immer angekündigt hat, bei einer großen Koalition nicht zur Verfügung zu stehen, wird vermutlich erst mal beim Arbeitsamt vorsprechen. Auch Kultursenatorin Anke Martiny hätte selbst bei einem Wahlsieg der SPD keine Chance mehr, und der Innenstadtrat von Ost- Berlin, Thomas Krüger, wird sich vermutlich zurückziehen. Wegen vorzeitigen Ausstiegs schon seit drei Wochen abgetaucht sind die VertreterInnen der AL: die Ex-Senatorinnen Michaele Schreyer und Sybille Volkholz sitzen als Abgeordnete im Parlament; Anne Klein wird sich wieder ihrer Kanzlei widmen.

Chancen aufs Umsteigen haben dennoch einige der jetzigen Senatsmitglieder: Sozialsenatorin Ingrid Stahmer wird dieses Amt vermutlich weiter bekleiden, aber nicht mehr Bürgermeisterin sein. Auch die Senatoren Norbert Meisner und Wolfgang Nagel könnten auf Senatorenstühlen sitzen bleiben. Als Bürgermeister und möglicher Senator kommt nach wie vor auch Fraktionschef Ditmar Staffelt in Frage. Auch aus dem Ostteil der Stadt sind Namen im Gespräch: Bildungsstadtrat Dieter Pavlik (SPD), der Stadtrat für Verkehr und Betriebe, Kurt Blankenhagel (SPD), Ex-Parlamentspräsidentin Christine Bergmann (SPD) und Eberhard Engler (CDU) haben Aussichten auf Senatorenämter, nicht zu vergessen Tino Schwierzina, derzeit Oberbürgermeister.Kordula Doerfler

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