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SchülerInnen im Weltall

■ Live from Berlin: So schrecklich war die DDR/ Berliner Jugendliche berichten in Telekonferenz über Fernsehsatellit in die USA

Spandau. »Merry Christmas from the wall« stand auf der Mauerkulisse aus Styropor. Im Atelier 2 der Havelstudios, wo sonst das Glücksrad rotiert, war es am Freitag abend vor allem »great« und »very special«. Über den sowjetischen Fernsehsatelliten Intersputnik unterhielten sich 17 Ost- und Westberliner SchülerInnen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren für eine Stunde live mit 25 Altersgenossen aus dem US-Bundesstaat Virginia. Berlin — gestern, heute, morgen war das Thema dieser Telekonferenz, die zeitgleich in den gesamten Vereinigten Staaten, Teilen Kanadas und der Karibik an über 25.000 Schulen empfangen werden konnte. Realisiert wurde die »elektronische Klassenreise« in Zusammenarbeit mit dem RIAS TV und dem amerikanischen Kabelsender CNN.

»Lebendige Zeitgeschichte« sollten die amerikanischen Schüler zu Gesicht bekommen. Dazu lief zunächst ein leicht deprimierter »Honorable Major« Walter Momper vom Band und bedankte sich artig für den alliierten Beistand in den letzten 40 Jahren. Obwohl dann bloß zwei technisch bedingte Schrecksekunden die Jugendlichen voneinander trennte, verlief das »Gespräch« langweilig und leblos. Mühevoll auf Deutsch und sekundengenau gemäß Sendeablauf verlasen die amerikanischen High-School-Kids ihre vorgefertigten Fragen: Wie das mit der Flucht gewesen sei; welche Gefühle hatte man, als die Mauer fiel?

Darauf durften zunächst die ebenfalls eingeladenen »Zeitzeugen« antworten: Ein Rechtsanwalt schilderte seine Flucht im Kofferraum eines Autos, sein Sohn erinnerte sich an »das Lichtermeer« bei der Ankunft in West-Berlin; eine Frau zeigte ein Foto ihrer beiden Kinder, die DDR- Beamte ihr bei einer Verhaftung aus den Armen gerissen hätten, und ein ehemaliger Dissident erzählte, wie die Stasi ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus verschleppt habe. Dort habe man ihn »wenigstens vom Marxismus geheilt«.

Nach einer Einblendung gesamtdeutscher Jubelszenen erteilte Moderator Rüdiger Lintz, Chefredakteur beim RIAS TV, nach 30 Minuten endlich auch den Berliner Jugendlichen das Wort. »It wasn't nice«, antwortete ein Schüler der deutsch-amerikanischen John- F.-Kennedy-Schule auf die Frage nach der Situation vor dem Mauerfall. Nur ein Oberschüler aus Hohenschönhausen trat ins Fettnäpfchen: »Ein bißchen kitschmäßig« stelle er sich die USA vor. Darauf Moderator Lintz: »You see, we have democracy now.«

Deutschland, Deutschland über alles intonierte ein amerikanischer Chor zum Schluß. Das fand ein Hohenschönhausener »zum Abkotzen«, »Oh Tannenbaum wäre wirklich genug gewesen.« Marc Fest

Ein Zusammenschnitt der Telekonferenz läuft am Sonntag, 16. Dezember zwischen 8 und 11 Uhr vormittags im RIAS TV.

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