: Eine Million Obdachlose
■ Übernachtungsheime völlig überfüllt
Düsseldorf (dpa) — In der Bundesrepublik hat die Zahl der Obdachlosen nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Nichtseßhaftenhilfe (BAGNH) die Millionengrenze erreicht. Viele tausend von ihnen müssen als Stadtstreicher ohne Dach über dem Kopf auf Straßen und Bänken, in Schrebergärten oder unter Brücken den Winter überstehen. Die Lage treibt nach Ansicht der BAGNH „auf eine Katastrophe zu“. Die Möglichkeiten zur Unterbringung von Obdachlosen seien „komplett am Ende“. In Ostdeutschland, wo es in der alten DDR-Verfassung das Recht auf Wohnung gab, soll noch vor Weihnachten das erste Obdachlosenasyl in Leipzig mit 48 Betten öffnen. Die Hauptstädte der Obdachlosigkeit sind offenbar Berlin, München, Köln und Hamburg. In Berlin gibt es nach Angaben des Diakonischen Werkes zwischen 16.000 und 20.000 Obdachlose. Übernachtungsheime und Wärmehallen hätten bereits wegen Überfüllung geschlossen werden müssen. Die Stadtverwaltung bestreitet dagegen diese Zahlen und spricht als einzige von einer „entspannten Situation“. In München sind nach Angaben der Stadt „die Kapazitäten längst erschöpft“. Für die etwa 10.000 Obdachlosen gibt es 6.000 Plätze. Bei einer Notküche am Kölner Hauptbahnhof stehen täglich rund 500 Menschen um warmes Essen an. Wegen des Andrangs überlegt die Stadt, zwei weitere Notküchen einzurichten. Die Domstadt hat nicht weniger als 44.000 Notunterkünfte in Wohnungen, Heimen, auf Schiffen und in Lagerhallen eingerichtet, die bereits jetzt zum größten Teil belegt sind, berichtete das Kölner Wohnungsamt. Hamburg hat für viele der bis zu 10.000 Menschen ohne Wohnung eine Bleibe in Hotels und Pensionen gefunden. In Düsseldorf sind die Schlafplätze für Stadtstreicher in Übernachtungsheimen schon „rappelvoll“ und „125prozentig“ belegt, so das Sozialamt der Stadt. Karlsruhe nutzt sogar beheizte Zivilschutzeinrichtungen als Unterkunft für Obdachlose. Freiburg stellt Wohnwagen zur Verfügung. In Frankfurt, wo etwa 3.200 Obdachlose in Asylen und von der Stadt angemieteten Hotels leben, gibt es seit wenigen Tagen ein Zelt für etwa 100 der rund 800 Stadtstreicher. Dort sollen die „Penner“ in kalten Nächten eine warme Zuflucht finden, auch wenn viele von ihnen aus Furcht vor den Massenunterkünften lieber im Freien auf den warmen Abluftschächten der Kaufhäuser „Platte machen“.
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