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Poststreikzentrum in Berlin?

■ Vorbereitungen für Poststreik laufen auf Hochtouren/ Ostpostler wollen mehr Geld und Arbeitsplatzsicherung/ Allein 24.000 Berliner Postler

Berlin. Im Bahnpostamt am Hauptbahnhof stapeln sich die Weihnachtspakete bis unter die Decke. Sie werden nicht ausgetragen, denn die Frühschicht hat die Arbeit niedergelegt. Es ist Dienstag morgen, die Warnstreiks der Postler haben begonnen.

Einen Tag später vermitteln die TelefonistInnen des Fernmeldeamtes an der Dottistraße keine Gespräche mehr. Die noch nicht an den Selbstwählferndienst angeschlossenen Orte in den neuen Bundesländern sind für Stunden von der Außenwelt abgeschlossen. Die Warnstreiks der Postler werden fortgesetzt.

Donnerstag mittag. Vor dem Postamt in der Leipziger Straße frieren die Menschen. Bis 15 Uhr werden keine Päckchen angenommen, keine Briefmarken verkauft, kein Geld ausgezahlt. Die Postler warnstreiken immer noch.

Szenarien, die Wirklichkeit werden können, es sei denn, die Bonner Vertreter von Postdienst, Telekom und Postbank haben sich heute nacht mit dem Frankfurter Hauptvorstand der Deutschen Postgewerkschaft auf einen Teuerungszuschlag für 1990, sowie auf einen Termin für weitere Verhandlungsgespräche über die Zukunft der Postler im Osten geeinigt.

Drei Forderungen hat die Gewerkschaft auf den Tisch gelegt. Als Ausgleich für die nach der Währungsunion gestiegenen Lebenshaltungskosten sollen alle 125.000 Postler im Osten einen Nachschlag in Höhe eines Bruttogehaltes bekommen. Ab Januar soll über eine Ausdehnung des bereits im Westen geltenden Rationalsierungsschutzes geredet werden. Die Postler sollen bei den anstehenden Umstrukturierungen vor Entlassungen und Gehaltseinbußen geschützt werden. Drittens soll ab Januar über die Anhebung der Ostgehälter auf 60 Prozent der Westgehälter geredet werden.

Sollte in der Nacht zu heute »kein akzeptables Ergebnis« zustande kommen, sagte DPG-Gewerkschaftssekretär Jürgen Richter, »dann ist ab sofort mit befristeten und punktuellen Warnstreiks zu rechnen«. In Berlin sei man gut vorbereitet. Das »Zentrale Arbeitskampfbüro« in der Wallstraße 61-65 »steht«, die Streikleitungen in den 18 einzelnen Ämtern wissen, was im Ernstfall zu tun sei und informierende Flugblätter für die Postkunden sind tonnenweise bereits gedruckt. Ausdrücklich bestätigen wollte Richter nicht, daß Berlin wie vordem im Eisenbahnerstreik zum Pilotstreikgebiet wird. Möglich ist es allerdings, räumt der Gewerkschaftssekretär ein, denn von den rund 24.000 Berliner Postbediensteten sind mindestens 85 Prozent nach Auflösung der FDGB-Postgewerkschaft Ende Oktober der ehemals westdeutschen DPG beigetreten.

Seit Juli werden die Postler nur vertröstet. Die Deutsche Post lehnte alle Nachverhandlungen über den im Mai abgeschlossenen Basistarifvertrag ab, und die seit dem 3. Oktober zuständige Bundespost stellt sich stur. aku

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