Moralischer Kater von Polens Intellektuellen

■ Aufrecht verweigerten sich die linken Köpfe dem kommunistischen Regime/ Jetzt gilt: Nur wer auf reine Hände verzichtet, kann was bewegen/ Bleibt das verhaßte „kleinere Übel“/ Machtpolitiker Walesa mit Adam Michnik als meckerndem Wähler/ VON KLAUS BACHMANN

Auf den Punkt gebracht hat es die Zeitung, die mit der ganzen Sache am wenigsten zu tun hat: „Als über die Notwendigkeit der Verhängung des Kriegszustandes diskutiert wurde, da fiel häufig das Argument, dies sei das ,kleinere Übel‘. So jedenfalls argumentierten die Verfechter dieser Operation und Leute, die ihre Zweifel hatten. Die Gegner, die der Solidarność angehörten, erinnerten daran, daß es kein ,kleineres Übel' gebe. So wie man nicht nur ein bißchen schwanger sein kann, so bleibt auch ein Übel immer nur ein Übel“, schrieb die 'Trybuna‘, das Organ der aus der PVAP hervorgegangenen Sozialdemokraten. „Heute höre ich verwundert ein Gestöhne, demzufolge Polen dazu verdammt ist, das ,kleinere Übel' in Gestalt von Lech Walesa zu wählen. Hat sich das Übel etwa relativiert? Ist es kleiner geworden? Oder berechtigt nur der Besitz der Macht dazu, dem Übel Schattierungen zuzugestehen?“ Er sei ratlos, befand der Kommentator zum Schluß und nicht ohne Häme: „Ich weiß wirklich nicht, ob das Übel jetzt wirklich so übel ist.“

Polens postkommunistische Linke hat es jetzt natürlich leicht, denn sie ist der lachende Dritte, wenn zwei andere sich streiten. Ihr Kandidat, der formal parteilose Wlodzimierz Cimoszewicz hat mit neun Prozent ganz gut abgeschnitten. Seither halten sich seine Anhänger im beruhigenden Bewußtsein, ihre Existenz ausreichend bewiesen zu haben, zurück: „Weder für Tyminski noch für Walesa“, heißt die Devise, eine Warte, von der aus man Zensuren an die Gladiatoren in der Arena verteilt.

Die Präsidentschaftswahlen haben Polens linksliberales Lager, jene recht große Gruppe Intellektueller, die in den siebziger und achtziger Jahren den „Brain trust“ der Opposition und anschließend die politische Basis der Regierung Mazowiecki bildeten, in eine tiefe Krise gestürzt. Sie haben den Bundesgenossen Michniks, Kurons, Geremeks, Mazowieckis und Bujaks nicht nur deren Grenzen gezeigt. Sie haben in Frage gestellt, ob die Politik, für die diese Gruppe steht, in Polen überhaupt eine Chance, einen Sinn hat.

Jene Wahl zwischen dem größeren und dem kleineren Übel verfolgt die demokratische Opposition praktisch seit ihrem Bestehen. Seit den siebziger Jahren, als eine damals noch recht kleine Gruppe Intellektueller das „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (KOR) gründete, standen die Aktivisten der Opposition vor dem Dilemma, entweder fundamentalistische Verneinung zu betreiben und damit zwar moralisch sauber, aber unter Umständen eben auch ohne Einfluß auf den Gang der Dinge zu bleiben. Oder sich einzumischen, die Finger schmutzig zu machen, Kompromisse einzugehen — aber eben auch Wirkung zu zeigen. Der Konflikt wurde deutlich, als die Zehnmillionenbewegung Solidarność vor der Frage stand, ob sie sich in die Politik der Partei einmischen solle oder nicht. Klar war, daß ein Sieg des Reformflügels der PVAP auch den Spielraum für Solidarność erweitern würde. Doch die „sich selbst begrenzende Revolution“, wie eine Theoretikerin sie nannte, hielt sich raus.

Mieczyslaw Rakowski hat es bis heute den Intellektuellen der Opposition nicht verziehen, daß sie sich 1981 nicht auf seine Seite, den, wie er es darstellte, „Reformerflügel“ der Partei schlugen und so den Vormarsch der Betonierer aufhielten. Die Opposition boykottierte die Machthaber des Kriegszustandes, deren Haltung sich immer mehr verhärtete. Ein tiefer Graben ging durch Polen, aber die Opposition hatte sich ihre Unschuld bewahrt.

Der Runde Tisch bedeutete das Ende für die Politik der Nichteinmischung, bei den Wahlen, die folgten, nahm Solidarność ganz massiv Einfluß auf die inneren Angelegenheiten der anderen Seite: Solidarność rief zur Wahl oder Nichtwahl bestimmter Kandidaten der Parteilisten auf, Reformer wurden Unterstützt, Betonköpfe massenweise abgesägt. Parteifunktionäre beklagten sich, Solidarność unterschiebe ihnen eigene Leute als „Partei- U-Boote“, eine Klage, die nicht ganz unberechtigt war: Wie Zbigniew Bujak später feststellte, gab es unter den PVAP-Abgeordneten so viele Solidarność-Sympathisanten, daß Michnik daran gehen konnte, eine Solidarność-Regierung mit deren Unterstützung zusammenzustellen. Walesas Initiative einer Koalitionsregierung mit den Exbundesgenossen der PVAP kam ihnen zuvor.

Spätestens damals hätte Bujaks Mitstreitern klar sein müssen, daß sich Politik nicht allein mit moralischen Postulaten machen läßt — das Spiel um die Macht begann damals, ebenso wie der Absetzprozeß Walesas von den Warschauer Intellektuellen. Daß ausgerechnet Mazowiecki Premier wurde, hängt mit folgendem zusammen: Der eher konservative Journalist stand außerhalb der Gruppe um Michnik, Kuron und Geremek, er hatte sich nicht als Parlamentskandidat aufstellen lassen, weil ihm Walesas Bürgerkomitees zu wenig pluralistisch waren. Erst Walesas Absetzmanöver und seine Attacken auf die Regierung trieben ihn jenen zu, die dann die „Bürgerbewegung Demokratische Alternative“ (ROAD) und das „Bündnis für Demokratie“ gründen sollten.

Durch ihre hohe Moral für die Politik verdorben

Die Regierung bildete er aus Liberalen, wie Alexander Paszynski, der noch anderthalb Jahre zuvor Solidarność totgesagt hatte, Tadeusz Syryjczyk, der mit der politischen Opposition kaum zu tun gehabt hatte, Alexander Hall, der aus ähnlichen Gründen wie Mazowiecki selbst bei den Wahlen nicht kandidiert hatte und Leszek Balcerowicz, der sich gerade auf eine Stipendienreise in die USA vorbereitete. Wie Walesa heute sagt: „Die Intellektuellen waren gut, den Kommunismus zu stürzen, aber jetzt braucht man andere Leute, die weitermachen.“

Einiges spricht dafür, daß die Entwicklung für diese völlig überraschend kam. Wer während des Kriegsrechts, während der Verhaftungswellen der späten Gierek-Zeit und während der Streiks 1988 Politik machen wollte, ohne zum Revoluzzer oder Terroristen werden zu wollen, der brauchte eine starke moralische Basis. Der Gegner war rücksichtslos, er hatte keinerlei Legitimität, er war in der Bevölkerung überwiegend verhaßt. Jedes Mittel konnte recht sein gegen ihn. Doch die Opposition entschied sich in ihrer absolut erdrückenden Mehrheit für eine friedliche Strategie: Evolution statt Revolution. Wer mit Transparenten gegen Panzer, mit Liedern gegen Antiterroreinheiten und mit Untergrundflugblättern gegen ein Heer von Spitzeln antritt, braucht eine starke moralische Basis. Die war es, die Bürgerrechtler dazu trieb, Geheimpolizisten vor einer wutentbrannten Menge zu retten und sich selbst mit jenen Männern an einen Tisch zu setzen, die Verleumdungskampagnen gegen sie inszeniert und Haftbefehle auf sie ausgestellt hatten. Jetzt ist die Politik in Polen normal geworden, der Kampf um die Macht in institutionelle Bahnen gelenkt. Diejenigen, denen das Land in weiten Teilen diese Entwicklung verdankt, sind am meisten davon überrascht worden.

Eine neue Mannschaft ist in Walesas Schatten entstanden, eine Mannschaft von Politikern, die nicht über so klingende Namen wie Mazowiecki, Wielowieyski, Stelmachowski oder Kuron verfügen, die aber mindestens genauso große politische Ambitionen haben. Und die verstanden haben, daß der Kampf um die Macht in einer Demokratie — anders als in einer Diktatur, wo er leicht in Gewalt und Revolution mündet — nichts Anstößiges an sich hat. Jaroslaw Kaczynski, der mit seinem Bruder für Walesa die Koalitionsverhandlungen mit der Bauernpartei und der Demokratischen Partei führte, der den 'Tygodnik Solidarność‘ zu Walesas Kampfblatt umfunktionierte, bekennt sich offen dazu. Walesas Lager ist es besser gelungen, sich auf die neue Lage einzustellen.

Für Adam Michnik war der Kompromiß mit den Kommunisten am Runden Tisch keineswegs jenes „Ausmanövrieren der anderen Seite“ als das er diesen im Nachhinein erscheinen mag. Er hatte eine ethische Seite: Im Land stückweise die Demokratie durchzusetzen, ohne dafür Blut zu vergießen. „Wir wollen die Macht nicht übernehmen“, erklärte Walesa, als die Gruppe um Michnik noch zu seinen engsten Beratern zählte. Michnik, nicht Kaczynski oder einer der Danziger war es, der das Konzept „Euer Präsident, unser Premier“ aufs Tapet brachte. Für Adam Michnik, so scheint es im Nachhinein, gab es damals zwei Lager: Opposition und Machtapparat. Dort Bündnispartner zu finden, fiel ihm damals nicht allzu schwer, zumal viele PVAP-Mitglieder, auch in der höchsten Führung, wie etwa der heute parteilose Außenhandelsminister Swiecicki dort nur aus Karrieregründen eingetreten waren und ihnen Ideologie und Dogmen gehörig auf die Nerven gingen. Der Ausgleich mit den Reformkommunisten war für Michnik keine reine Taktik, es steckte mehr dahinter.

Heute ist nicht mehr zu übersehen, daß er inhaltlich mit manchen parteilosen Exkommunisten“ mehr gemeinsam hat als mit den Konservativen oder den Nationaldemokraten der eigenen Fraktion. Michniks Konzept, „unser Premier“, setzte sich durch, wenn auch nicht mit dem Premier, den er sich gewünscht hätte. Mit dem Abtritt der Kommunisten von der politischen Bühne war das Konzept hinfällig, und bald stellte sich heraus, daß niemand daran gedacht hatte, auch Bündnisse zwischen den einzelnen Fraktionen innerhalb der früheren Opposition vorzubereiten. Die Solidarność-Fraktion im polnischen Parlament, 1989 noch ein fast monolithischer Block, zerfiel geradezu wortlos: Man hatte sich weniger zu sagen als vorher den Kommunisten. Diejenigen, welche die Fraktion geleitet hatten, blieben im Regen stehen — Prof. Geremek, vor einem Jahr noch unangefochtener Kopf des Bürgerklubs, trat resigniert zurück. Er hatte die Regierung immer unterstützt, aber er hatte vergessen, ihr die Unterstützung anderer zu verschaffen.

Walesa ohne Skrupel bei Wahl seiner Bündnispartner

Walesas neue Bündnispartner blieben dagegen nicht untätig. Sie verstanden, daß Moral nun nicht mehr Politik ersetzen konnte; Walesa verstand es, den monolithischen Block zu sprengen und gleichzeitig neue Bündnispartner zu werben. Für die Moralisten der ehemaligen KOR-Opposition wäre es geradezu unanständig gewesen, sich mit PAX zu verbrüdern — die von KGB und polnischen Kommunisten inszenierte Organisation zur Spaltung der katholischen Kirche, die sich bis heute nicht überzeugend von ihrem stalinistischen Erbe distanziert hat, lief mit wehenden Fahnen von der PVAP zu Walesa über, und der ließ sich das ohne weiteres gefallen. Von Nationalisten bis zu den Linksliberalen des Ex-PVAP-Führungsmitglieds Tadeusz Fiszbach scharte Walesa alles um sich, was zwar nicht unbedingt Rang und Namen hatte, aber Stimmen bedeutete. ROAD blieb außen vor — weder Michnik, noch Bujak, noch Kuron sind seither irgendwelche nach polnischen Maßstäben anrüchigen Bündnisse eingegangen, dafür haben sie die Präsidentschaftswahlen auch haushoch verloren, reduziert zu einer Partei unter ferner liefen.

Das böse Erwachen kam, als nicht Premier Mazowiecki, sondern der Außenseiter Tyminski Walesas Gegenkandidat wurde. Wochen-, ja monatelang hatte man den als politische Vogelscheuche aufgebaut, nun war er plötzlich das, was der Opposition von einst so schwer über die Lippen kam: das kleinere Übel. Jaruzelski das kleinere Übel — das war immer die Flüsterpropaganda des Kriegszustandes und der Zeit danach gewesen. Jeder PVAP-Funktionär zog sich darauf zurück, wenn man ihn an die Wand argumentierte: Jaruzelski mußte, sonst hätte es eine Tragödie wie in Prag 1968 oder noch Schlimmeres gegeben. Akzeptiert wurde das in der Opposition nie, der Argumentation fehlte die moralische Basis. Auf die Falle reagierten manche mit hilfloser Wut. Adam Michnik verfaßte einen ratlosen Artikel und trat aus der Fraktion aus, die beschloß Walesa zu unterstützen. Tatsache ist, daß es für Walesa in der Fraktion schon vor dem ersten Wahlgang eine Mehrheit gegeben und die ROAD- Gruppe schon zuvor einen Austritt erwogen — und verworfen — hatte. Michnik zog sich in seine moralische Bastion zurück: Er wetterte gegen Tyminski und gegen Walesa, aber angesichts der Tatsache, daß jeder wußte, er würde für Walesa stimmen, war das allenfalls eine Trotzgeste. Die Falle hatte sich geschlossen.

„Eigener polnischer Weg“ — nie gegangen

Jene Ära, die im Grunde seit Mitte der siebziger Jahre, seit dem Entstehen von KOR dauert, jene Ära, in der Michnik und Kuron der Opposition ihren Stempel aufdrückten und ihre Politik bestimmten — sie scheint vorbei. Sie ging zu Ende, als sich der intellektuelle Kopf der Opposition, Vordenker und Moralist Adam Michnik in einen Wahlkämpfer verwandelte. In einen Wahlkämpfer noch dazu, der sich standhaft dagegen sträubte, sich politisch zu definieren. Links und rechts, das sei in einer totalitären Diktatur keine Frage, pflegte Kuron immer abzuwehren: Es gebe nur Demokraten und Totalitaristen. Die Diktatur ging zu Ende, und es zeigte sich, daß diese Unterscheidung sehr wohl Sinn macht. Am Runden Tisch noch belehrte Professor Geremek Journalisten, „daß es in Polen kein Parteiensystem nach westlichem Vorbild geben wird. Wir gehen einen eigenen, polnischen Weg.“ Inzwischen hat Geremek ROAD mitgegründet und einem polnischen Monatsmagazin trotzig erklärt, ja, wenn er von Nationalisten deswegen angegriffen werde, dann bekenne er sich erst recht dazu: „Ich bin ein Linker.“ Doch als solcher kann man nun einmal politisch keinen Blumentopf gewinnen in einem Land, in dem der Begriff „links“ von einer Partei vereinnahmt wird, die ganz offen die Nachfolge der verhaßten PVAP angetreten hat. Also vermieden die Politiker um Geremek, Bujak, Michnik und Kuron diese Definition um jeden Preis. Sie erklärten, ihre politische Linie hieße Solidarność.

Weniger als zwanzig Prozent für den Hoffnungsträger der polnischen Reformen lassen sich auch nicht mit der Enttäuschung und Verarmung der Gesellschaft angesichts einer wirtschaftlichen Roßkur wegargumentieren. Mazowieckis Führungselite, von ihm selbst angefangen bis zu jenem Teil der Solidarność-Fraktion, der ihn bis zuletzt unterstützte, repräsentiert zweifelsohne das liberalste, toleranteste, weltoffenste, was Polens Politik in diesem Jahrhundert aufzubieten hatte. Die Frage ist nur: Repräsentiert diese Elite auch Polen?

Angesichts der Wahlergebnisse für Stanislaw Tyminski muß man dies zumindest in Zweifel ziehen. Eigentlich müsse Tyminski für diese Lehre dankbar sein, meinen sogar manche Kommentatoren. In der Tat: Jenes „zweite Polen“, das Polen der Kleinstädte, der Provinzen, der Dörfer und des flachen Landes, jenes Polen, in dem jahrhundertealte Vorurteile, Ressentiments und Komplexe einen rationalen Zugang zur Politik verstellen. Für Tyminskis Wählern war es unwichtig, ob ihr Kandidat ein Wirtschaftsprogramm hatte, ob er rationale Argumente vortrug, ob das, was er sagte, Hand und Fuß hatte. Sie wählten Tyminski nicht, weil er das bessere Programm, die besseren Argumente oder die höchsten Verdienste aufzuweisen hatte. Sie wählten ihn, weil er ihnen sagte, was sie hören wollten, weil sie gegen „die da oben“ protestieren wollten, weil „uns sonst die Juden fertigmachen“, oder auch nur, weil er von der Presse angegriffen wurde. In jenem „zweiten Polen“ wurde Tyminskis Demagogie per Flüsterpropaganda zur Wahrheit aufgewertet, vermischte sich mit anderen Gerüchten und begann bald, ein Eigenleben zu führen, das durch keinerlei Entgegnungen mehr zu erschüttern war.

Zum ersten Mal meldete sich jenes „zweite Polen“ zu Wort. Bisher hatte man geglaubt, es existiere nicht — weder bei den Parlamentswahlen, noch bei den Kommunalwahlen waren Parteien und Kandidaten, die an fremdenfeindliche, antisemitische oder nationalistische Instinkte zu appellieren, abgeschlagen worden. Das „zweite Polen“ war zu Hause geblieben — um die vierzig Prozent bei beiden Wahlgängen. Und die Intellektuellen hatten geglaubt, die Tatsache, daß das „zweite Polen“ schweige bedeute, es existiere gar nicht. Tyminski hat sie alle eines besseren belehrt. Und er hat bewiesen, daß damit Polens politische Landschaft eigentlich ganz anders aussieht, als angenommen. Die Lehre aus dem Wahlkampf muß leider heißen: Ohne eine gewisse Mindestdosis Populismus, Nationalismus und Demagogie kann man in Polen keine Wahl gewinnen. Daß es bei den Wahlen 1989 dazu nicht kam, ist kein Argument: Die Wahl war ein Plebiszit gegen den Kommunismus, nicht für die einzelnen Kandidaten von Solidarność. Ein Volk hat mit seinen Machthabern abgerechnet, da braucht es keine Demagogie.

Mit Appellen und hehren Worten allein aber kommt man auch nicht weit, wie Mazowiecki erkennen mußte, der nicht einmal Wahlversprechen zu bieten hatte. Walesa hatte — und er spricht die Sprache seiner Wähler — keine Worte, die sich für diplomatisch Empfänge eignen, keine Erörterungen über Moral und Ethik, keine Apelle an Toleranz und Weltoffenheit, aber ganz offensichtlich das, was das Volk gern hört. Walesa wird keine bessere Politik machen als Mazowiecki, wahrscheinlich sogar die gleiche — aber er wird sie besser verkaufen. Die Intellektuellen, die dabei politisch auf der Strecke geblieben sind, sind nun wieder in der Opposition. Sie haben die Wahl, weiterhin Moral und Ethik zu verteidigen, sich vom schmutzigen Geschäft der faulen Kompromisse fernzuhalten und politisch immer unbedeutender zu werden — oder sich am „Spiel um die Macht“ zu beteiligen.