Das Recht auf die eigene Vergangenheit

■ Studenten der Humboldt-Universität protestierten gegen Abwicklungspläne der Wissenschaftsverwaltung/ Vergangenheitsbewältigung von Studentenrat eingeklagt/ Rektor Fink will Erneuerung der Uni selbstbestimmt fortsetzen

Mitte. Endlich aufgewacht, trommelte gestern der Studentenrat der Humboldt-Universität wie in guten alten Zeiten seine Studentenschaft zusammen. Das ist unser Haus schallte »Ton, Steine, Scherben« durch die völlig überfüllte Haupthalle der Uni. Und in diesem wollen die Studenten auch in Zukunft das Sagen haben. Deshalb protestierten Hunderte Studenten gegen die Pläne der Wissenschaftsverwaltung, einzelne Fachbereiche oder Teile davon abzuwickeln, wie es eine noch nicht öffentliche Senatsvorlage angeblich vorsieht. Das bedeutet, bestehende Arbeitsverhältnisse ruhen zu lassen und nach dem Gutdünken der Wissenschaftsverwaltung freiwerdende Stellen neu zu besetzen. Im Gespräch sind vor allem die als ideologisch belastet geltenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereiche. In einem von der Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller-Seel in Auftrag gegebenen Gutachten zur wissenschaftlichen Landschaft Berlins heißt es dazu, daß in diesen Bereichen tätige Wissenschaftler »kaum in der Lage sein dürften, für anspruchsvolle wissenschaftliche Aufgaben neuen Zuschnitts eingesetzt zu werden«.

Die SPD-Senatorin bezeichnete gestern die »Gerüchte« in bezug auf eine flächendeckenden Abwicklung jedoch als »grundlos«. Alle begonnenen Studiengänge an der Humboldt- Uni sollen auch in Zukunft fortgeführt werden.

Die Studenten befürchten durch die Abwicklungspläne erhebliche Eingriffe in die inneruniversitären Erneuerungsprozesse, mit denen sie jedoch selbst nicht zufrieden sind. In der unzureichenden Vergangenheitsbewältigung sehen die Studenten einen wesentlichen Grund für das Handeln der Senatsverwaltung. Da aber mit dem Mantelgesetz die Humboldt-Uni als Kuratorialhochschule vom Land Berlin übernommen wurde, ist das administrative Vorgehen ein Angriff auf die Autonomie der Uni. Dagegen wehrt sich der Studentenrat und fordert die Studenten zugleich auf, an ihren eigenen Fachbereichen eine tatsächliche Geschichtsaufarbeitung einzuklagen. Seit Monaten kommen vor allem von den Studenten Initiativen, um sich öffentlich mit dem auseinanderzusetzen, was in den vergangenen Jahren an der Uni geschehen ist. Trotzdem sprachen sie gestern von einem »Versäumnis«, das nun nachgeholt werden müßte. Das Problem scheint nicht so sehr die strukturelle Veränderung an der Uni, sondern vor allem die personelle Erneuerung zu sein. Obwohl sich die Uni von allen ehemaligen Marxismus/Leninismus- Wissenschaftlern getrennt und Fachbereichsleitungen ausgewechselt habe, so Rektor Heinrich Fink gegenüber der taz, sei dieser Prozeß noch längst nicht abgeschlossen. Was bis zum 3. Oktober in seinen Möglichkeiten lag, habe er getan, so Fink. Jetzt stehe die Neustrukturierung der Fachbereiche an und damit auch die Verabschiedung von einigen Lehrstühlen und Kollegen. Außerdem müsse eine unabhängige Kommission zur Überprüfung der einzelnen Kollegen gebildet werden, forderte Fink.

Angesichts eines spürbaren Rückgangs der Ausbildungsqualität drängen die Studenten darauf, die begonnenen Auseinandersetzungen in den Fachbereichen fortzusetzen. Gestern legte der Studentenrat ein Thesenpapier vor, in dem die Bewertung der Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Lehrtätigkeit, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer politisch-moralischen Integrität durch eine Kommission des Konzils vorgeschlagen wird. anbau