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Ramiz Alia schafft den Durchbruch in Albanien

■ Albanische Parteiführung gibt Machtmonopol auf und führt das Mehrparteiensystem ein / Jubel in Tirana, die Menschen strömen in das Zentrum und feiern das Ereignis / Konservativer Flügel verliert an Einfluß in der Partei

Berlin (taz) — „Dies ist ein historischer Tag für Albanien, alle freuen sich“, schrie ein Journalist des albanischen Rundfunks am Dienstagabend ins Telefon. Die Aufregung des Mannes war ebenso wie die Freudenausbrüche von Tausenden in der Tiraner Innenstadt in der Tat gerechtfertigt. Denn die Entscheidungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei sind der Durchbruch für die Demokratisierung des Landes. Der Staat Enver Hodschas, der Hort der reinen stalinistisch- kommunistischen Lehre und die Partei der unerbittlichen Kämpfer gegen den „Revisionismus“ sind aufgeweicht. Das Machtmonopol der Partei wird zunächst theoretisch aufgegeben, ab sofort können sich politische Parteien und andere Organisationen formieren.

Dies geht aus einer Erklärung hervor, die von der amtlichen Nachrichtenagentur 'ATA‘ verbreitet wurde. Die „Gründung unabhängiger politischer Organisationen, die dem geltenden Gesetz nicht zuwiderlaufen“, fördere „den Pluralismus und die Demokratie in Albanien“, hieß es darin. Es wird Wahlen geben, als Termin wurde bereits der 10.Februar festgelegt. Und last but not least: Das ZK verwies die wichtigsten konservativen Führungskader in die zweite Reihe. Künftighin werden die Parteigänger der „Roten Witwe“ Nedzimija Hodscha und andere alte Kader im Machtzentrum nichts mehr zu suchen haben. Das betrifft den früheren Innenminister und das Politbüromitglied Simon Stefani ebenso wie die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros Lenka Cuko, Muho Asllani, Foto Cami, Hajredin Celiku, Tirjako Mihali und Pirro Kondi. In der Erklärung wird außerdem ein Parteikongreß für Juni 1991 angekündigt. An Staats- und Parteichef Ramiz Alia wurde die Empfehlung gerichtet, die notwendigen Umbildungen innerhalb der Regierung vorzunehmen, die „angesichts der Situation im Lande notwendig sind“.

Noch in der Nacht zum Mittwoch ließ es sich Parteichef Ramiz Alia nicht nehmen, die seit Tagen streikenden und demonstrierenden Studenten von den Beschlüssen des ZK zu unterrichten. Er versprach den 2.000 Studenten die Bestrafung der Verantwortlichen für den brutalen Polizeieinsatz vom Sonntag. Seine Ernsthaftigkeit wurde sogleich auf die Probe gestellt, denn die Studenten erklärten ihm, sie hätten gerade die „Partei der Studenten und jungen Intellektuellen“ gegründet.

Noch am Dienstag hatten die Armee und die Polizei das Universitätsgelände abgeschottet. Bewaffnete Polizisten bezogen an allen strategisch wichtigen Punkten der Stadt Stellung, nachdem die Studentenproteste auch nach dem blutigen Sonntag weitergegangen waren. Wie sich nun herausstellt, hatte es am Sonntag Dutzende Verletzte und Verhaftete gegeben. Die amtliche Presseagentur ATA sprach sogar von drei Toten. Noch bevor das Plenum seine Erklärung abgegeben hatte, waren mehr als 8.000 Menschen, vor allem Studenten, ins Zentrum Tiranas gezogen und hatten trotz der Polizeipräsenz nahe dem Sitz des ZKs demonstriert. Sie forderten weitere politische und wirtschaftliche Reformen sowie die Zulassung von politischen Parteien, Forderungen, die dann ja in der Erklärung des ZK im Kern erfüllt wurden.

Schon vor Jahresfrist hatte sich in Albanien diese politische Wende angedeutet. Aber sogar noch nach der spektakulären Flucht von Tausenden von Albanern in ausländische Botschaften im Juli waren alle angekündigten Reformen immer wieder abgebremst worden. Einen ersten Durchbruch erzielte Ramiz Alia am 9. November — obwohl er damals noch mit dem konservativen Flügel in der Partei zu kämpfen hatte und Gerüchten zufolge sogar nur knapp einem Mordanschlag entkam — auf einer Sitzung des ZK, als er die Trennung von Partei und Staat, eine Wahlrechts- und Verfassungsreform und eine weitere Öffnung zum Ausland hin ankündigte. Er kritisierte offen die konservativen Denkweisen in der Partei und die bürokratischen Methoden, die jegliche Veränderung abbremsen würden. Er kündigte damals schon die Aufgabe des Machtmonopols der Partei an und hob das 1967 erlassene Religionsverbot auf. Diese Ankündigungen waren schon mehr als nur die vorhergehenden, folgenlos gebliebenen Proklamationen. Die Massenmedien durften freier über das Ereignis berichten, was sie sogleich auch taten. Pötzlich tauchten unterschiedliche Meinungen im Radio und Fernsehen auf. Ministerpräsident Adil Carcani sprach offen über die wirtschaftlichen Engpässe und über die Probleme in den Betrieben. Auch in bezug auf die Presse hatte Alia den Ton angegeben: „Die albanische — zwar sozialistische — Gesellschaft kann sich nicht ohne freie Meinung“ entwickeln. Sein Appell an die Partei damals hatte im Kern zum Ziel, nicht nur innerhalb der Partei eine andere Atmosphäre herzustellen, sondern die gesamte Gesellschaft in die Reformprozesse miteinzubeziehen, im Gleichschritt sozusagen. Vielleicht ist diese Strategie auch eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Reform in den anderen kommunistischen Ländern, die zum Machtverlust für die Kommunisten führten. Niemand braucht Alia zu unterstellen, er wolle die Macht für sich und seine Partei verspielen.

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