: UNTERM STRICH
Das Unternehmen Montblanc, bekannt für seine Federn, schreibt einen jährlichen Literaturpreis aus, dotiert mit munteren 20.000 Mark. Mit der Ausschreibung, heißt es in der Begründung, „soll die literarische Form der ‘kurzen Geschichten‘ gefördert werden, die nach Ansicht der Gründungs-Jury in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine vernachlässigte Rolle spielt.“ Damit keinerlei Mißverständnisse aufkommen, wird dieses präzisiert: „Der Begriff ‘Kurzgeschichte‘ hat einen Beigeschmack angenommen, der auf originelle Autoren abschreckend und auf konventionell schreibende anziehend wirken dürfte. ‘Kurze Geschichte‘ hingegen ist eine literaturwissenschaftlich unvorbelastete Bezeichung, die nicht sofort an Hemingway“ (kollektiver Alptraum aller Englisch-Leistungskurs-Geschädigten) „denken läßt... Die deutschsprachige Kurzgeschichte ist nicht mehr zu retten. Und das, was man unter einer solchen Kurzgeschichte versteht, ist einen Rettungsversuch auch nicht wert.“
Verbunden werden diese Erwägungen mit einem Nackenschlag ins unbewegte Gelände der deutschen Literaturkritik, den wir nicht ungern, wenn auch nicht bedenkenlos zitierten: „Einer der Gründe“ (für die Verfassung der Literatur) „ist in der Behauptung zu suchen, die schon seit Jahrzehnten raunend die Runde macht, daß nämlich in einer Zeit wie der unseren, die derart aus den Fugen geraten sei, abgeschlossene Erzählungen und Romane nicht mehr möglich bzw. anachronistisch seien. Diese Behauptung mitsamt ihrer Schlußfolgerung ist zwar aus der Luft gegriffen..., aber sie klingt offenbar so plausibel, daß sie immer wieder von der Literaturkritik nachgebetet und von der Literatur beherzigt wird. (...) Dieselbe Kritik, die die Leblosigkeit der gegenwärtigen Literatur (ungewollt) fördert, sehnt sich ständig nach lebendigen, genießbaren Erzählwerken. (...) Selbstsamerweise billigen heute dieselben Kritiker der englischsprachigen, der französischen, italienischen, spanischen, portugiesischen Literatur lobend das zu, was sie bei der deutschsprachigen Literatur oft als trivial abwerten: Spannung, Buntheit, Eloquenz, und das Thema Liebe.“ Auch dieser Gedanke wird erläutert: „Die Liebe mit ihren Wonnen und vor allem ihren Desastern war von jeher eines der klassischen Themen der Poesie. In den letzten Jahren oder Jahrzehnten schon ist die Liebe seltsamerweise zum Dauerthema von Sachbüchern abgesunken.“ Die kurzen Geschichten sollen 10 Schreibmaschinenseiten nicht überschreiten und ein vorgegebenes Thema behandeln, in diesem sinnträchtigen Jahre: „Profit“. Zur Jury gehören Elisabeth Endres, Robert Gernhardt, Renée Zucker und Joseph v. Westphalen.
Schließlich zum Thema: „Dieser Literaturpreis ist kein Feigenblatt. Es handelt sich um eine gesunde Symbiose. Der Preisgeber hat etwas davon. Soll er. Auch der Preisträger wird davon etwas haben. Und wenn die Jury klammheimlich ihrer kühnsten Hoffnung Ausdruck geben darf: vielleicht hat sogar die deutschsprachige Gegenwartsliteratur etwas davon.“ Die Manuskripte sind bis zum 31.1.91 an Montblanc-Simplo zu schicken, Stichwort Literaturpreis, Hellgrundweg 100, 2 Hamburg 54.
In Wuppertal wurde eine Else Lasker- Schüler-Gesellschaft gegründet. Sie will das Werk der 1869 im späteren Wuppertal-Elberfeld (Wie die Adorniten am nachgestellten sich, erkennt man die Wuppertaler und Remscheider sowie die Elberfelder am nachgestellten woll. Dies trägt die diensthabende Kulturredakteurin bei, die in dieser Gegend Verwandte und daher Teile ihrer glücklichen Kindheit dortselbst verbracht hat.) Geborenen lebendig erhalten.
Else Lasker-Schüler starb 1945 vereinsamt im Jerusalemer Exil. In Elberfeld, wo auch das Geburtshaus der jüdischen Schriftstellerin steht, gibt es (in der Stadtbibliothek) bereits ein kleines Lasker-Schüler-Archiv. Der größte Teil ihres Nachlasses allerdings befindet sich in Israel, der Schweiz, den USA und diversen Orten der alten BRD. Die Gesellschaft will sich deshalb für eine zentrale Forschungsstelle an der Bergischen Universität einsetzen, wo vergleichbare Institute für das Werk von Franz Kafka und Janusz Korczak bereits bestehen. Beabsichtigt sind außerdem die Herausgabe einer historisch-kritischen Gesamtausgabe und die Ausschreibung eines mit 40.000 Mark dotierten Lyrikpreises, der spätestens zum 50. Todestag der Expressionistin 1995 zum erstenmal verliehen werden soll. Vorsitzende der Gesellschaft sind Prof. Friedhelm Beimer (Leiter der Korczak-Forschungsstelle) und die Bühnenbildnerin Hanna Jordan, Beiratsmitglied ist u.a. der in Jerusalem lebende Schriftsteller Jakob Hessing.
Wir schließen mit einer guten Nachricht: ‘Liber‘ gibt es immer noch. Die europäische Kulturzeitschrift, für Deutschland herausgegeben von der ‘FAZ‘, weckt Neugier mit einem Artikel über „Die Psychoanalyse und der Staat“ durch den Namen ihrer Autorin: Pascale Casanova, also eine geglückte Verbindung französischen Geistes und Lebensmut derselben Provinienz. Die Vorstellung der Autorin als Mitarbeiterin der Zeitschrift ‘La quinzaine littéraire‘ macht allerdings unsere kurzfristig aufzuckende Hoffnung zunichte, es handele sich um ein extra für diesen Artikel gewähltes Pseudonym.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen