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Sind Ex-DDR-Rüstungsbetriebe konversionsunfähig?

■ Entweder gehen die 74 Firmen pleite, oder sie greifen zum Strohhalm erneuter Militärproduktion, fürchtet das Institut für Wirtschaftswissenschaften (IWW)/ Insgesamt bescheidener Anteil an der Industrieproduktion DOKUMENTATION

Bereits zu Beginn des Jahres 1990 machten sich erste Auswirkungen der 89er Kürzungen des Militärhaushaltes in der Produktion bemerkbar. Mit der Stornierung aller bestehenden Liefer- und Leistungsverträge für das zweite Halbjahr 1990 kam dann das endgültige Aus für die Rüstungsbetriebe der ehemaligen DDR. Mit nur noch ungefähr 1,4 Milliarden D-Mark sank ihr Anteil an der gesamten industriellen Warenproduktion auf das Niveau der siebziger Jahre. Das Tempo der Verringerung militärischer Produktion überstieg damit das Tempo des allgemeinen Produktionsrückgangs.

Innerhalb eines knappen Jahres mußten sich die insgesamt 74 (mit Ausnahme des ehemaligen Kombinates Spezialtechnik Dresden und von Carl Zeiss Jena) ihrer Größe nach mittelständischen Betriebe und Betriebsteile mit ungefähr 40.000 direkt in der Rüstungsproduktion Beschäftigten zum überwiegenden Teil aus dem vollen Lauf auf eine totale Produktionseinstellung einrichten — zu wenig Zeit, um marktfähige Alternativen zu entwickeln.

Im internationalen Vergleich nimmt sich der Bereich der unmittelbaren Rüstungsproduktion in dieser Region eher bescheiden aus. Zwar wuchs sein Anteil an der gesamten Industrieproduktion der ehemaligen DDR von Jahr zu Jahr, erreichte jedoch selbst 1988, im Jahr seines größten Volumens, nur ganze 0,75 Prozent.

Auch in den für ihn charakteristischen Industriebereiche Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik/Elektronik nahm er nur zwischen ein und zwei Prozent ein. 1970 belief sich die Produktion militärischer Erzeugnisse und Leistungen auf 958 Millionen D-Mark, im Jahre 1980 auf 2,275 und 1989 auf 3,543 Milliarden D-Mark. Per 31. Juli 1990 fiel sie auf 1,392 Milliarden D-Mark.

Also im Grunde und insbesondere unter den gegenwärtigen Bedingungen eine zu vernachlässigende Größe? Makroökonomisch betrachtet sicherlich, in der jeweiligen Region keinesfalls. Die Rüstungsbetriebe der DDR waren vor allem Hersteller militärischer Subsysteme und Komponenten sowie zu etwa einem Drittel Produzenten von Reparatur- und Instandsetzungsleistungen. Als solche besitzen sie technisch-technologische Voraussetzungen für Entwicklungslinien in den Bereichen Elektronik, Sensorik, Nachrichten-, Umwelt-, Medizin- und Meßtechnik.

Aufgrund ihrer spezifischen Bedingungen in der Vergangenheit wie

die Bevorzugung bei der Vergabe von Investitionen und bei der Bereitstellung hochwertiger Materialien,

insbesondere Anforderungen an berufliche Qualifikation und Arbeitsdisziplin sowie die Qualität der Produktion,

Möglichkeiten zum Aufbau leistungsfähiger Forschungs- und Entwicklungsbereiche,

sind gerade diese Betriebe potentiell dafür prädestiniert, konkurrenzfähige Produktionslinien aufzubauen.

Da sie gerade in strukturell schwach entwickelten Regionen meist auch der größte Arbeitgeber sind, besteht neben der Möglichkeit zugleich auch eine soziale und strukturpolitische Notwendigkeit, ihr Potential für die Entwicklung neuer kommunaler und regionaler Wirtschaftsstrukturen zu nutzen. Durch den Produktionsabbruch und die alten Regelungen sind diese Betriebe mit hohen wirtschaftlichen Verlusten konfrontiert, die ihre Liquidität in Frage stellen und die Aufnahme von Bankkrediten zugleich unmöglich machen.

Die Entwicklung neuer Produktionsstrategien bedarf eines längeren Zeitraumes (etwa ein bis zwei Jahre), für den Überbrückungsstrategien entwickelt werden müssen. Gegenwärtig ist dies in erster Linie die Übernahme bestimmter arbeitsteiliger Leistungen für meist im ehemaligen Bundesgebiet ansässige Unternehmen (sogenannte verlängerte Werkbank), da aufgrund des Zusammenbrechens auch großer Teile der zivilen Wirtschaft in den neuen Bundesländern eine ehemals vorhandenen Diversifikation vieler Rüstungsbetriebe keine Alternative bietet.

Um eine moderne und dynamische Wirtschaftsstruktur in diesem Gebiet aufzubauen, dürfen diese Überbrückungsmaßnahmen jedoch nicht zur Dauerlösung zementiert werden. Die Voraussetzungen für eine schnelle und sinnvolle Nutzung der vorhandenen Potentiale hier ansässiger ehemaliger Rüstungsbetriebe als mögliche Motoren regionaler Wirtschaftsentwicklung sind:

die Erarbeitung von sowohl auf die öffentlichen Bedürfnisse als auch auf die Schwerpunkte moderner ökologisch und sozial orientierter Technologieentwicklung ausgerichtete Strukturanpassungs- und Entwicklungsprogramme durch die jeweiligen Landesregierungen und

die Ausschreibung öffentlicher Aufträge in den Bereichen Umwelt, Stadt- und Infrastruktursanierung sowie Kommunikation bei Bevorzugung der in den neuen Bundesländern ansässigen Betriebe.

Um eine solche Politik von Ländern und Kommunen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auch finanziell zu ermöglichen, bedarf es einer Aufstockung der Mittel entsprechend des „Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft“ von 1988 und eine Einbeziehung der Konversionserfordernisse. Nur so kann zugleich verhindert werden, daß diese Betriebe nach dem Strohhalm der erneuten Aufnahme militärischer Produktion, diesmal im Auftrag führender Rüstungsunternehmen aus dem westlichen Bundesgebiet, greifen und damit die Chancen der Konversion zunichte machen.

Das IWW ist aus dem Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR hervorgegangen.

Der Text ist leicht gekürzt.

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