Aufstand der „guten Kolumbianer“

Etablierte Parteibarone wollen Ex-Guerillaführer Navarro Wolf nach seinem Wahlsieg ins Leere laufen lassen  ■ Aus Bogotá Ciro Krauthausen

Nach der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung am letzten Sonntag macht sich in Kolumbien Katzenjammer breit. Der Erfolg des Ex-Guerillakommandanten Navarro Wolf hat angesichts der Stimmenthaltung von 75 Prozent aller Wahlbeteiligten einen bitteren Beigeschmack. Erstmals in 150 Jahren kolumbianischer Geschichte konnte sich mit der um die M-19 gescharten Koalition AD/M-19 eine Gruppierung abseits der Liberalen und Konservativen als politische Alternative etablieren. Ihre 950.174 Stimmen dürften aus den Reihen der traditionellen Parteien kommen, deren Wähler ihrer ideenlosen und oft korrupten Parteibonzen müde sind. Zwar ist der dem Establishment inzwischen weitgehend angepaßte Navarro nun der beliebteste Politiker Kolumbiens, er konnte jedoch nicht die Mehrheit der schon immer aus dem Zweiparteiensystem ausgeschlossenen KolumbianerInnen für sich gewinnen. Während die marxistische Linke mit 2,3 Prozent ihre traditionelle Stammwählerschaft hielt, war das Wahlergebnis für die nationalen Führer der Liberalen und Konservativen ein harter Schlag. Die Regierung habe das Volk nicht genug über die Verfassungsreform aufgeklärt, meckerte der vom Volk gedemütigte rechtsliberale Carlos Lemos. Der mit sechs Prozent abgeschlagene Chef der Sozialkonservativen Partei, Misael Pastrana, legte sich gleich eine Strategie zurecht, um die nun weitgehend ohne seinen Einfluß zu erarbeitenden Reformen zu blockieren: Da die Wahlbeteiligung so niedrig ausgefallen sei, müsse die Verfassungsreform nächstes Jahr den Wählern ein weiteres Mal zur Abstimmung vorgelegt werden.

Zentrales Anliegen der von Februar bis Juli 1991 zu beratenden Verfassungsreform wird die Modernisierung des politischen Systems sein, will heißen: die überkommenen Machtstrukturen einzureißen und den Aufbau moderner Massenparteien zu ermöglichen. Da ihre Privilegien auf dem Spiel stehen, griffen die etablierten Kongreßabgeordneten bei den Wahlen zu einer einleuchtenden Taktik: Sie warfen ihre sonst perfekt funktionierenden, auf indirekten Stimmenverkauf basierenden Wahlmaschinen — die noch bei den Parlamentswahlen im März zu einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent führten — gar nicht erst an. Nun werden die Wahlbarone tönen, die Verfassunggebende Versammlung sei gar nicht legitim. Um derartiger Sabotage entgegenzuwirken, wird sich wohl innerhalb der Versammlung ein knapp die Mehrheit haltender Block aus Anhängern Navarros, fortschrittlichen Liberalen, Linken und Unabhängigen — wie etwa zwei überraschend gewählten Vertretern der Indios — formieren.

Dabei wird weiterhin ein Damoklesschwert über der M-19 schweben. Einer der wenigen in der Öffentlichkeit auftretenden Figuren der äußersten Rechten, Fabio Echeverry vom Industriellenverband, sprach bereits düster von dem „Verbrecher“ Navarro, der nun den „guten Kolumbianern“ vorschreiben werde, was zu tun sei. Nach der Aufdeckung eines anscheinend von Reserveoffizieren geplanten Attentates hatte der 42jährige Navarro die Endphase des Wahlkampfes in geheimen Verstecken zubringen müssen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, in Medellin Vermittlungsversuche zwischen Regierung und Drogenmafia zu starten — die nun zur Freilassung mehrerer vom Medellin-Kartell festgehaltener Journalisten geführt haben.