: Planungswildwest im Osten
■ Rechtsanwalt Reiner Geulen kritisiert das vorgeschlagene „Maßnahmegesetz“ INTERVIEW
taz: Die Koalitionsverhandler in Bonn wollen mit einem sogenannten „Maßnahmegesetz“ große staatliche Bauvorhaben in der früheren DDR beschleunigen. Was hat man sich unter einem solchen Maßnahmegesetz vorzustellen?
Reiner Geulen: Mit einem solchen Gesetz, können Verfassungsrechte wie z.B. die Beteiligung von Menschen an Planungsverfahren, die den Schutz ihrer Gesundheit betreffen, in einem Einzelfall außer Kraft gesetzt werden. Der Einzelfall ist in diesem Fall die frühere DDR. Ein solches Gesetz schränkt sowohl für die Betroffenen und Bürgerinitiativen als auch für die Gemeinden die Handlungsspielräume ein. Auch den Kommunen wird die Betroffenenbeteiligung beschnitten.
Kann man solche Maßnahmegesetze einfach erlassen, oder sind dafür bestimmte Kriterien erforderlich?
Solche Maßnahmegesetze sind meiner Meinung nach verfassungswidrig, und es müssen schon ganz schwerwiegende Gründe dafür sprechen, um so etwas für rechtlich zulässig zu erklären. Es gibt in diesem Bereich der Planung oder Genehmigung von Großanlagen oder Straßenbauten seit 1949 auch kein einziges Beispiel, wo solche Maßnahmegesetze in die Betroffenenbeteiligung eingegriffen hätten. Das ist wirklich ein historisches Novum. Zumal die Ausmaße dieses geplanten Maßnahegesetzes ganz einzigartig sind. Es betrifft immerhin den gesamten Bereich der früheren DDR und wird mit einiger Sicherheit für einen Zeitraum von mehreren Jahren gelten. Praktisch setzt ein solches Gesetz für den wesentlichen Teil des Neuaufbaus der früheren DDR das Verfassungsrecht außer Kraft.
Und sowas ließe sich mit einfacher Mehrheit im Bundestag beschließen?
So ist es wohl geplant. Die Frage ist nur, ob das verfassungsrechtlich geht. Wie ich gehört habe, hat auch die Bundesregierung dagegen Bedenken und plant deshalb sogar Verfassungsänderungen, was ich für besonders schwerwiegend halte. Ich kann nur hoffen, daß die Oppositionsparteien da nicht mitstimmen.
Was könnte man dann überhaupt noch dagegen tun?
Die BürgerInnen könnten dagegen nur das Bundesverfassungsgericht anrufen, und ansonsten wären sie darauf verwiesen, sich gegen die Projekte, um die es im Einzelfall geht, vor Ort zu wehren. Nach dem, was ich gehört habe, ist geplant, ein solches Maßnahmegesetz für die meisten größeren Planungsverfahren zu erlassen. Das gilt insbesondere für die sogenannten Industrieansiedlungen. Und wenn man sieht, wie schon jetzt in der Budnesrepublik über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden wird, obwohl die Gesetze die Bürgerbeteiligung vorschreiben, dann kann man sich vorstellen, was das für Ostdeutschland bedeutet. Dann ist wirklich jeder Expansion von Baulöwen Tür und Tor geöffnet, ohne Rücksicht auf die ansässige Bevölkerung.
Nun läßt sich das Argument ja schwer von der Hand weisen, daß die Bürgerbeteiligung häufig tatsächlich die Planungsverfahren erheblich verzögert. Eine solche Zeitverzögerung könnte für das Gebiet der ehemaligen DDR lähmend wirken und wäre häufig sicher nicht im Interesse der Bevölkerung.
Wenn man etwas schnell bauen will, dann kann man ein solches Verfahren auch mit der Beteiligung der Bürger zügig durchführen. Nach meinen Erfahrungen treten die Verzögerungen vor allem durch die Inkompetenz der Behörden ein. Wenn diese inkompetenten Behörden dann nicht einmal das Korrektiv durch die Bürgerbeteiligung haben, ist das Feld in vollem Umfang den Investoren überlassen. Interview: Vera Gaserow
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