Empfängnishilfe

■ »The Handyman« von Happy Hour und Goldstein Circus »Playin' Songs« BERLINERPLATTENTIPS

Kreuzberg. Zweiter Hinterhof. Rechts im Seitenflügel geht's in den Keller. Dort sitzen sie zu fünft in ihrem Übungsraum und trinken und haben Spaß. Nach, vor und während des Trinkens machen sie Musik. Dann schicken sie einen los, einen neuen Sixpack holen. Dann trinken sie wieder.

Manchmal kommen Frauen mit langen, schwarzgefärbten, auftoupierten Haaren vorbei, setzen sich und schlagen die netzbestrumpften Beine übereinander. Wenn sie ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Handtasche ziehen, klirren und klimpern Dutzende von Armreifen. Dann rauchen sie und hören zu. Dabei nicken sie manchmal anerkennend.

Wenn alle fertig getrunken, geraucht und geübt haben, gehen sie zusammen um die Ecke ins Madonna. Dort trinken sie noch mehr, treffen noch mehr Musiker und haben ihren Spaß.

So und ähnlich spielt es sich täglich ab in Kreuzberg. So will es nicht nur das Klischee. Warum nun einige Bands doch mal an die Oberfläche kommen, was sie besser macht, ob sie gar besser sind als andere, die weiter nur auf Solikonzerten und in der Hasenheide spielen, wird wohl nie geklärt werden können. Tatsache ist, daß die Stadt nach der allgemein diagnostizierten Stagnation von Jingo de Lunch bei einer großen Firma nach neuen Hardcore-Helden sucht.

Fündig scheint man bei Happy Hour zu werden, auch wenn die so ziemlich genau dasselbe machen wie Jingo vor zwei, drei Jahren und vielleicht sogar noch ein wenig altmodischer sind. Horny Sonja, die erste Single von Happy Hour, bestach durch gnadenlose Melodik in Verbindung mit krachenden Gitarren, und auch wenn die Rückseite im Gegensatz dazu eine gewisse Dumpfheit entlarvte, erfüllte die geile Sonja ihren Zweck und biß sich in den Berliner Indie- Charts fest.

Ihre erste LP The Handyman (Ruff&Roll, SPV) knüpft an diese B-Seite nahtlos an, und im Info fallen ehrlicherweise die passenden Worte. Von »Schmutz, dreckigem Rock'n'Roll, Spaß an verwerflichen Taten« und der »Teenager-Revolution« ist dort die Rede. Niemand sollte ihnen vorwerfen, daß es für Menschen, die ihr erstes Vierteljahrhundert hinter sich gebracht haben, doch jede Menge angemessenere Dinge gibt, die sie in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen könnten. Nein, das mit dem Dreck ist schon okay. Was das alles so unangenehm macht, ist die Penetranz, mit der die alten dummen Mythen, die nie wirklich so pur funktioniert haben, immer wieder beschworen werden, als wollte man krampfhaft zur eigenen Karikatur werden.

Dazu werden auch dieselben alten dummen Witze wieder aufgefrischt und wird sich (wieder im Info) vom politisch engagierten Hardcore distanziert, auch wenn man sich weiterhin in die Szene integriert fühlt. Aber man nimmt seine Platten halt in Hollywood, California, auf.

Ein echtes Ärgernis könnten die Texte sein, wenn wirklich jemand zuhören oder mitlesen würde: »It's a crazy world I say / Three blocks away / Cruising down the Oranienstreet / Three blocks away«. Vorher kam man von »out of nowhere« (muß ziemlich voll dort in nowhere gewesen sein, wenn man zusammenzählt, wie viele schon von dort kamen), nur um im »hell on earth« zu landen. Ja, ja, ist schon crazy so 'ne world, da muß man noch mehr drinking machen in einer Bar mit möglichst vielen weird people und hot girls. Nun gut, der Sänger ist Amerikaner, der wird schon wissen, wovon er redet.

Natürlich ist diese Platte nicht wirklich schlecht. Nein, eigentlich ist sie sogar durchgängig guter Hardrock, dreckiger Rock'n'Roll (ähem!), aber man muß sich halt bei den richtigen Stellen einen Tequila in die Ohren kippen.

Das vergangene Jahrzehnt hat nur ein bescheidenes Jahrdritt an Popmusik hervorgebracht. Hardcore, Metal, HipHop und House haben sich danach nicht mehr um die Smartheit des empfindsamen Jungmannes geschert. Doch hier ist er wieder: der Hauch von Jazz im europäischen Pop wie eine in Cappuccino getauchte Madeleine als Erinnerung an die frühen Achtziger. So etwa sind die Gedanken, die sich beim Hören von Goldstein Circus Playin' Songs (Frisby Records) einstellen. Mit dem Erstlingswerk spielt sich der Nachwuchs im Berliner Musikergehege von Dexy's Midnight Runners über Pale Fountains bis zu Aztec Camera um nachdenkliche Fanfaren der Weltjugend herum, wickelt gerngehörte Melodien zu einem Patchworkknäuel der Stile auf und läßt keine Zweifel an der Unvergleichlichkeit von Popklassikern bestehen.

Dabei hatte Patrick Goldstein nur ausprobieren wollen, wie es ist, Songs zu machen, die denen seiner Helden (Beatles, Byrds oder Bacharach) ähneln. Mit der Wandergitarre bewaffnet, überließ er dann kein einziges Lied dem Zufall, der der Komposition im Studio meistens zwischen allen Reglern und Effekten folgt. Nur in ganz kleinen Schritten fügten etliche Gastmusiker wohldosierte Arrangements voller Atmosphäre hinzu. Tausend Geschichten ranken sich um die dort Werktätigen. So sollte ursprünglich der alte Chemielehrer trompeten, wurde dann aber kurzerhand durch den besten Trompetenschüler des Chemikers ersetzt (was ihm neben Credits auf dem Cover noch 15 Punkte in der Notenskala einbrachte).

Auch sonst entstammt der Großteil der Musiker akademisch orientierten Zirkeln aus »den hohen Lüften von Klassik und Jazz«. Sie haben den Löwenanteil am behutsamen Umgang mit der Instrumentierung. Selten bricht sie aus dem melodischen Fluß heraus und beschreitet eigene Wege, Kapriolen oder gar Extratouren. Vielmehr schleicht die Band vorsichtig heran, immer haarscharf am Rande der Seichtheit vorbei. Mit der sich endlos dehnenden Stimmungsfülle, wie sie Isaac Hayes einst minutenlang seinem Begleitorchester als Kriechspur aufgezwungen hatte. Und dieser Songkultur aus der Zeit zu zweit auf der ledernen Couch ist Patrick Goldstein verpflichtet. Zum Gedenken an Rock Hudson. Da wird ebensoviel gepredigt wie geliebt, bis die Luft wegbleibt. Nur sind die Lieder des Goldstein Circus demgegenüber fast ausnahmslos kurz oder zu kurz. Daher enden die luftigen Popgemälde des öfteren mit einem abrupten Pinselstrich. Einzig Fight inside my head, der Abschlußsong, meistert die beabsichtigte Intensitätsverschmelzung von Streichern und elektrischen Klängen in zeitloser Weise. Dann ist Goldstein seinen großen Vorbildern ganz nahe. (Goldstein Circus — Goldstein Circus Playin' Songs, Frisby Records) Thomas Winkler/Harald Fricke