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Mit der Spitzhacke gegen die Guerilla

In Peru wächst die Bereitschaft, sich mit Hilfe bewaffneter Nachbarschaftsgruppen gegen die Bewegung „Sendero Luminoso“ zu Wehr zu setzen  ■ Aus Lima Ciro Krauthausen

Ernesto Rafael Castillo verschwand am vergangenen 21.Oktober um halb zwölf Uhr mittags. Zuvor hatten Guerilleros des maoistischen „Sendero Luminoso“ auf einem Platz des Stadtviertels Villa El Salvador in Lima eine bewaffnete Kundgebung durchgeführt. Ob Castillo an der Aktion beteiligt war, ist nicht geklärt. Tatsache ist, daß der Student der renommierten Universidad Catolica ob der anrückenden Polizei das Weite suchte. Nach kurzer Verfolgung wurde er von vier Polizisten gestellt und in den Kofferraum des Streifenwagens Nummer1006 gezwängt. Seitdem ist er nicht mehr gesehen worden.

Nach Ansicht der Polizeigeneräle gibt es für eine Beteiligung ihrer Untergebenen an der Entführung Castillos keine Beweise. Das ist gelogen. Die Beweislage ist derart erdrückend, daß erstmals ein Prozeß gegen den Innenminister und zwei Polizeigeneräle wegen „Deliktes gegen die persönliche Freiheit“ eröffnet werden konnte. Im Unterschied zu der Mehrheit seiner Mitbürger ist Ernesto Castillo, wie Jorge Salazar von der Juristenkommission der Anden bemerkt, ein Weißer aus der Mittelschicht, der zudem noch an einer der bürgerlichen Universitäten studierte. Daher das Interesse der peruanischen Öffentlichkeit an seinem Schicksal — eine Aufmerksamkeit, die den über 2.000 seit Anfang der achtziger Jahre verschwundenen Bauern, Gewerkschaftern oder Guerilleros immer weniger zuteil wird.

Zehn Jahre währt bereits der Krieg gegen die straff organisierten Kader Sendero Luminosos, sechs Jahre gegen die kleinere Guerillabewegung „Movimiento Revolucionario Tupac Amaru“ (MRTA). Bis 1989 starben bei den Auseinandersetzungen rund 16.000 Menschen, fast die Hälfte von ihnen Zivilisten. Für einen beträchtlichen Teil der Toten zeichnet Sendero Luminoso verantwortlich. Die sich auf Marx, Lenin und Mao berufende Bewegung schreckt bei der Unterwerfung der Bevölkerung weder vor Massakern an ganzen Familien noch vor der selektiven Ermordung potentieller Gegner wie Staatsbediensteter oder linker und rechter Politiker zurück. Die Terrorherrschaft ist Teil einer kaltblütig durchdachten Strategie, von der schrittweisen Kontrolle einzelner Regionen bis zur Machtübernahme.

Seit 1980 haben sämtliche Regierungen das Problem Sendero auf die Streitkräfte abgeschoben — und damit die Lage nur verschlimmert. Derzeit lebt rund die Hälfte aller PeruanerInnen unter einem alle sechzig Tage erneuerten Ausnahmezustand, der die zivilen Freiheiten erheblich beschränkt. Jede der „Notstandszonen“ untersteht einem „politisch-militärischen Kommandanten“ der Streitkräfte. Trotz jeweils unterschiedlicher Taktiken ist die Bekämpfung der Guerilla überall von einer blutigen Spur der Menschenrechtsverletzungen durchzogen. Gefangene werden nur in den seltensten Fällen gemacht. Die brutale Repression jedoch, das haben zehn Jahre Krieg gezeigt, hat meist den gegenteiligen Effekt, und die Bevölkerung sucht eher Zuflucht bei den Aufständischen. Wie die Menschenrechtsorganisation „Americas Watch“ konstatiert, sind trotzdem bislang fast alle Offiziere, denen etwa Massaker und Folterungen nachgewiesen wurden, von den Militärgerichten freigesprochen worden.

In ihrem neuesten, Ein verzweifelter Krieg betitelten Bericht wies Americas Watch zudem auf die Exzesse hin, die aus dem Aufbau und der Bewaffnung von Selbstverteidigungsgruppen entstehen können. Das Modell der „Rondas Campesinas“, der Verbände von Bauernpatrouillen gegen die Guerilla, breitet sich im ganzen Land aus, und mittlerweile denken sogar schon in Panik geratenen Städter an den Aufbau einer eigenen Nachbarschaftstruppe. Obwohl die Rondas selbst von Linken für eine der wenigen effektiven Methoden zur Bekämpfung Senderos gehalten werden, ist die Frage, inwieweit die Bauern bewaffnet werden sollen, bislang ungelöst. Wenn ihnen, wie derzeit in einigen Gegenden, nur Lanzen und Spitzhacken zugestanden werden, kann Sendero sie mit Leichtigkeit massakrieren. Besser bewaffnet, wächst die Gefahr des brutalen Vorgehens der Rondas nicht nur gegen Sendero, sondern auch gegen unliebsame Mitbürger und sogar ganze Gemeinden. Unabhängige Experten wie der Journalist Gustavo Gorritti fordern, die Rondas müßten von den Streitkräften ausgebildet und überwacht werden. Wer aber kontrolliert die Militärs?

„Wir wollen die Gewalt nicht mit Gewalt, sondern mit Fortschritt bekämpfen. Die Verteidigung der Menschenrechte ist unerläßlich“, meinte Präsident Alberto Fujimori Anfang November. Jorge Salazar von der Juristenkommission der Anden ist skeptisch. Da Fujimori über keine solide Regierungspartei verfüge, müsse er notgedrungen eine Allianz mit den Militärs eingehen. Während Vorgänger Alan Garcia zumindest in der ersten Jahren seiner Amtszeit die Macht der Militärs eingeschränkt habe, handle Fujimori genau umgekehrt: Neben dem Verteidigungsministerium gestand er den Streitkräften noch das für die Polizei verantwortliche Innenministerium zu. Parallel zu der Allianz mit den Generälen sucht sich Fujimori noch andere zweifelhafte Bettgenossen: Zusammen mit der „Apra“, der Partei Alan Garcias, verhinderten die Parlamentarier Fujimoris im Kongreß die Aufhebung der Immunität des Expräsidenten. Alan Garcia sollte wegen seiner Verantwortung an der blutigen Niederschlagung eines im Juni 1986 von Sendero initiierten Gefängnisaufstandes vor Gericht gestellt werden. Insgesamt starben damals rund 300 Häftlinge und Gefängniswärter. Viele der Revoltierenden sollen, angeblich auf Weisung Garcias, nach ihrer Kapitulation erschossen worden sein.

Daß es nicht damit getan ist, die „Guerilleros alle an die Wand zu stellen“, wie es eine Unternehmerin in Lima fordert, scheint auch das Militär zu wissen. Gleich vielen anderen Offizieren bemängelt der Exgeneral Clemente Noel — selbst der mutwilligen Vertuschung von Menschenrechtsverletzungen beschuldigt — „das Fehlen von politischen Konzeptionen im Antiguerillakampf seitens der verfassungsmäßigen Regierungen“. Vier Monate nach Amtsantritt hat Alberto Fujimori, der noch vor einem Jahr nicht Traum daran dachte, wirklich Präsident zu werden, keinerlei Richtlinien zur politischen und sozialen Bekämpfung Sendero Luminosos vorgelegt. Nach Ansicht von Marcial Rubio vom Forschungsinstitut „Desco“ müßte eine solche Strategie sowohl massive Investitionen in die verarmten Regionen beinhalten, als auch den Versuch, das Vertrauen der Bürger in den Staat und das Parteiensystem durch Antikorruptions- und Menschenrechtskampagnen wieder herzustellen. „Wenn auf den Krieg Senderos nur mit Schüssen und nicht mit politischen Maßnahmen geantwortet wird, können wir gleich einpacken.“

Während eine durchdachte Strategie auf sich warten läßt, versucht Fujimori die besorgte Öffentlichkeit erst einmal mit einer Verschärfung der Strafen zu beruhigen, die auf Terrorismusdelikte stehen. Damit liegt er ganz im Trend all derjenigen, die trotz des Fiaskos eines zehnjährigen Feldzuges voller Gewalt immer lauter nach einem gnadenlosen Vernichtungskrieg rufen. „Es ist an der Zeit, sich nicht mehr um die Menschenrechte der Terroristen, sondern um die der Opfer Senderos zu kümmern“, schallt es unisono aus den Mündern konservativer Politiker, etablierter Journalisten und sogar des Justizministers. Was darunter im Klartext zu verstehen ist, wurde Ende November überdeutlich. Sendero hatte unweit von Lima einen bekannten Agrarexperten der konservativen „PPC“ auf seinem Landgut erschossen. Einen Tag später meldete die Polizei, drei angeblich an der Ermordung des Großgrundbesitzers beteiligte Senderistas seien bei einem Gefecht gefallen. Die vom Fernsehen mit Nahaufnahmen gewürdigten Leichname wiesen alle eine einzige Schußwunde auf — in Höhe der Schläfe. „Trotz der offensichtlichen Exekution“, so der altlinke Schriftsteller Eduardo Gonzalez, „hat kein Mensch protestiert.“ Fazit: „Wir fallen in die Barbarei.“

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