EG-Gipfel Rom: Startschuß zur Vereinheitlichung von Politik und Institutionen
: Euro-Fahrplan perfekt

■ Mit der Einsetzung von Regierungskonferenzen zur Währungs- und politischen Union haben am Samstag die Euro-Lenker die „Zukunft Europas“ auf den Weg gebracht. Ziel ist die Übertragung der wichtigsten Souveränitätsrechte der Mitgliedsländer auf die Gemeinschaft. Außerdem einigten sich die Staatschefs auf eine Milliardenhilfe für Gorbatschow, auf die Ermahnung Iraks, sich aus Kuwait zurückzuziehen, und auf eine Teilaufhebung der EG-Sanktionen gegen Südafrika.

AUS ROM WERNER RAITH

Giulio Andreotti, Italiens Ministerpräsident, hatte die Sache schon vor einem halben Jahrzehnt — damals gerade Außenminister — auf den Punkt gebracht: „Wenn es Sie nicht gäbe, müßte man sie erfinden.“ „Sie“ — das war die Eiserne von der Insel, die allüberall herummäkelte, und die so zuverlässig als Bremse aller EG-Beschlüsse fungierte, daß „niemand Angst vor deren Realisierung haben mußte“ — wie ein italienischer Staatssekretär verflossenen Zeiten nachtrauert. Nicht ganz falsch scheint jedoch die Vermutung, so mancher habe doch noch Hoffnung, die Blockierer von jenseits des Kanals würden ihre Rolle nicht gar zu schnell aufgeben: „Er stammt aus der Schule Frau Thatchers“, orakelte der deutsche Regierungssprecher Klein über John Major. „Eine wirkliche Wende braucht erfahrungsgemäß Zeit“, grummelte sein französischer Kollege, und die Belgier vermuten, daß „sowieso nicht alles so heiß gegessen wird, wie gekocht“. Andreotti ließ gleich nach seinem Willkommensgruß an die Engländer „in der Familie“ eine Warnung los — an die anderen zehn: „Die Spanne zwischen Antrag, Entscheidung und Realisationszwang könnte nun beträchtlich kleiner werden — nicht wahr?“

Der Neue von der Insel zeigte zwar große Freude über seine eigene Präsenz in Rom. Doch ansonsten tat er nichts, um das an ihn gerichtete „Nicht wahr?“ zu veri- oder zu falsifizieren. Man müsse ihm Zeit geben, sagte er. Inzwischen würden seine Leute gerne und überall mitarbeiten — in welcher Richtung, ließ er offen. „Der Mist ist“, analysierte ein italienischer Staatssekretär, „daß man nun nicht weiß, ob man sich auf den wie auf Maggie verlassen kann.“

Da einschlägige Erfahrungen noch einige Zeit brauchen werden, entwickelte sich der Gipfel samt den beiden Regierungskonferenzen zur politischen und monetären Einigung zu einem wahren Kunstwerk — was den eiligen Einbau von immer mehr und immer komplizierteren Rückversicherungs- und Blockiermechanismen in Vorlagen angeht, die vordem als Beschleunigungswerke gedacht waren. Von einem „Rom II“ (bekanntlich nennt sich die EG- Gründungsakte von 1957 „Römische Verträge“) sprachen am Ende allenfalls noch die Hofschranzen des italienischen Fernsehens. Die anderen hörten mit zusammengebissenen Zähnen weg, wenn die Sprache darauf kam.

Die Institutionenfrage: Frankreichs Mitterrand, der sein Modell der Entmachtung der EG-Kommission zugunsten vermehrter Gipfelkonferenzen halb zurückgezogen hatte, bestand nun wieder darauf; doch da will halt keiner mitziehen. Ergebnis: Patt. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: Der italienische Außenminister De Michelis, der vorher die Einigkeit in der Außenpolitik als „Prüfstein der Funktionsfähigkeit der EG schlechthin“ angesehen hatte und der dazu gleich eine „Isolierung Israels nach dem erfolgreichen Muster von Bagdad“ wollte, suchte nun nur noch nach „gemeinsamen Nennern“. Ergebnis: eine „sehr behutsame schrittweise Homogenisierung“. Währungsunion: Kanzler Kohl, der vordem „sofort nach der Wiedervereinigung beschleunigt die Europäische Einigung ohne Wenn und Aber“ versprochen hatte, beharrte massiv auf seinem Dreiphasen-Währungs-Plan (Einführung der Europa-Bank, Einführung des Ecu, Fortfall der nationalen Währungen) ohne Festlegung von Terminen. Ergebnis: Er heißt bei seinen Kollegen nun „Maggie II“. Das Problem für die zwölf EG- Staatenlenker bestand darin, daß sie nach Thatchers Weggang nicht mehr wußten, welche ihrer ausposaunten Forderungen ihnen selbst denn eigentlich zuträglich sind. Und so geriet das römischen Treffen zu einer geradezu grotesken Bäumchen- wechsel-dich-Komödie, Pressereaktionen mit eingeschlossen. Bisher war die Rollenverteilung nach derlei Konferenzen so gewesen: Die Staatschefs eilten mit verbiesterten Gesichtern davon, deutlich gen England dräuend. Die sogenannten „gut informierten Kreise“ rechneten aber der Presse vor, was man „trotz alledem“ alles auf den Europaweg gebracht habe. Die Journalisten wiederum lachten herzlich darüber und glaubten nichts.

Diesmal gaben sich die Staatschefs und EG-Lenker aufgeräumt und höchst zufrieden (Kommissionschef Delors: „Europa hat sich mit der Geschichte getroffen“). Dafür aber schwärmten die Mitarbeiter zu Hunderten aus und raunten den Schreiberlingen ins Ohr, daß man im Grunde nur ganz wenig vorangekommen sei, und daß selbst die schönsten Beschlüsse nur Blendwerk seien. Geheimnisvoll gewährten sie einen Einblick in eine von Kommissionspräsident Delors erstellte vertrauliche Mängelliste, in der fein säuberlich verzeichnet ist, was schon wieder alles an Löchern in den feinen Beschlüssen steckt. So etwa, daß die nun festgelegte Maxime der Zweidrittelmehrheit — anstelle der bisherigen Einstimmigkeit — bei Beschlüssen für „Kernfragen“ gar nicht gelte; so zum Beispiel bei Wechselkursen oder wenn sich ein Land nicht imstande sieht, festgelegte Normen durchzusetzen. Auch daß es keine Sanktionen geben wird gegen ein Land, das die im Zuge der Währungsunion festgelegten Vorgaben nicht einhält, wird als böses Loch im Vereinigungskäse moniert.

Doch nun kam die dritte Rochade: Diesmal wollten die Journalisten partout nicht beim Spiel „Taugt alles nichts“ mitmachen. „So wie die uns um Hinweise auf Erfolgsmeldungen geradezu angebettelt haben“, so ein deutsches Delegationsmitglied, „möchte man glauben, daß die Europavereinigung mindestens genauso schnell gehen muß wie die deutsche Wiedervereinigung.“ Die Presse hatte sich offenbar vorgenommen, diesmal Vollzug zu melden. Dazu waren ja auch mehr als 1.200 Journalisten aus aller Welt angereist.

Der Schlingerkurs der hohen Herren war beachtlich. Am Ende sah die Sprachregelung dann so aus: Gelobt werden durften — neben einem „besseren Klima“ — all jene Beschlüsse, die ad-hoc-Maßnahmen betrafen wie etwa den x-ten Appell zur Golfkrise und die Soforthilfe für die Sowjetunion (insgesamt knappe drei Milliarden Dollar), aber wenig mit dem Gipfelthema „Vereinheitlichung von Politik und Institutionen“ zu tun hatten. Diese Debatte wurde denn auch auf die beiden interministeriellen Konferenzen verschoben, die sofort nach dem Gipfel begannen — und die ihrerseits wiederum vor allem Arbeitsaufträge an untere Ebenen vergaben.

Auf den ersten Blick erstaunlich wurde das mit Sicherheit weitestreichende Ergebnis — die Einrichtung einer Zentralbank nach deutschem Vorbild — von den ausländischen Delegationen ebenso wie von deren Pressevertretern allenfalls en passant erwähnt. Das hatte jedoch, wie sich herausstellte, einen simplen Grund: Mit Ausnahme der Deutschen hatten die Anwesenden, Regierungsvertreter eingeschlossen, überwiegend keinerlei konkrete Vorstellung, was es bedeutet, wenn das Institut ausschließlich auf Geldwertstabilität ausgerichtet und jeglichem politischen Einfluß entzogen ist. „Meine Güte“, schüttelte ein italienischer Ministerberater den Kopf, „es sind doch schließlich unsere Leute, die wir da hinschicken und die da entscheiden, was gemacht wird, oder?“

Daß da am Ende doch etwas anderes herauskommen könnte, als sie es von ihren Ländern her gewohnt sind, dämmerte einigen Regierungschefs irgendwann aber doch. Und so setzten sie die eigentlich schon ausgemauschelte Verteilung der verschiedenen neuen EG-Einrichtungen besorgt wieder von der Tagesordnung ab — um nochmal „gründlich nachzudenken“.