In Albanien beginnt ein Dialog

■ Prominenter Kosovo-Albaner von Staats- und Parteichef Ramiz Alia in Tirana empfangen/ Generalstaatsanwalt erhebt wegen der Unruhen gegen 157 Personen Anklage

Zagreb/Budapest/Berlin (taz/dpa/ adn) — Noch am Sonntag hat die albanische Regierung Gespräche mit der Opposition aufgenommen, nachdem in mindestens vier Städten des Landes Panzer aufgefahren waren, um eine Ausweitung der regierungsfeindlichen Unruhen zu verhindern. Ein Gründer der letzte Woche nach den Studentenprotesten entstandenen Demokratischen Partei Albaniens, der Universitätsdozent Gramoz Pashko, teilte in einem Telefongespräch dem Wiener Korrespondenten der Nachrichtenagentur 'Reuter‘ mit, er habe gemeinsam mit Sali Berisha, ebenfalls Mitgründer der Partei, am Sonntag abend ein zweistündiges Gespräch mit Ministerpräsident Adil Carcani geführt. Dabei sei es um die Vorgänge in den Städten Elbasan, Shkoder, Kavaje und Durres gegangen. Übereinstimmend habe man festgestellt, daß die Demokratische Partei nichts mit den „Hooligans“ zu tun habe. Bereits am Freitag hatten die Zeitungen, die alle von der Regierung kontrolliert werden, eine Erklärung der Partei abgedruckt, in der die Anstifter der Unruhen vom Vortag in Shkoder verurteilt wurden.

In Elbasan, fünfzig Kilometer südöstlich von Tirana, hatten mindestens tausend Stahlarbeiter das Kino der Stadt und die Buchhandlungen gestürmt sowie Geschäfte geplündert. In Shkoder, der Hauptstadt des Nordens, hatten einem Bericht von 'Zeri i Populit‘ zufolge „Hooligans“ den Parteisitz und die Polizeikaserne eingenommen. Die Stadt sei „fast zur Hälfte zerstört“, berichtete am Montag die jugoslawische Zeitung 'Vjesnik‘ in Zagreb unter Berufung auf Reisende und albanische Medienberichte. Im Adriaort Durres seien das Postgebäude zerstört und das Kaufhaus geplündert worden. Dort seien bei Auseinandersetzungen zwei Polizisten lebensgefährlich verletzt worden. In Vlore, im Süden des Landes, sollen Demonstranten das Polizeikommissariat gestürmt und Waffen und Munition mitgenommen haben.

Der Sprecher der Demokratischen Partei, Genc Polo, gab inzwischen bekannt, man werde Programm und Statuten spätestens heute, Dienstag, beim Justizministerium einreichen und um die offizielle Registrierung nachsuchen. Carcani habe zugesagt, daß noch am Montag ein Erlaß veröffentlicht werde, der der Entscheidung der Kommunistischen Partei über die Zulassung unabhängiger politischer Parteien erstmals seit 1944 formal Rechtskraft verleiht. Die Demokratische Partei habe beim Ministerpräsidenten bereits die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten einschließlich der Bereitstellung von Büroräumen und Telefonen sowie Zugang zu den Medien angemahnt. Außerdem will die neue Partei um eine Verschiebung der vom Regime für den 10.Februar angesetzten Parlamentswahlen bitten, um genügend Zeit für den Wahlkampf zu haben.

Nach Informationen der jugoslawischen Medien sind am Sonntag in Tirana auch zwei unabhängige Branchengewerkschaften entstanden: die „Nationale Vereinigung der Elektroingenieure“ und der „Verband der Metallarbeiter“.

Nach wie vor ist es schwierig, zuverlässige Informationen über das Geschehen im Land zu erhalten. Am vergangenen Samstag verkündete Radio Tirana, alle ausländischen Journalisten würden „gebeten“, das Land innerhalb von vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Fünf westliche Journalisten, die nach Albanien einreisen wollten, wurden am Samstag an der Grenze zuurückgewiesen. Ebenso erging es am Montag einer jugoslawischen Touristengruppe. Der albanische Generalstaatsanwalt Chemal Lijama gab am Montag im Rundfunk bekannt, 157 Personen seien wegen illegaler Zusammenrottung, Plünderung von Volksvermögen, Mordversuchs und tätlicher Drohung angeklagt. Die Urteile würden innerhalb von 24 Stunden gefällt [siehe Kasten]. Den Angeklagten würde ein Rechtsbeistand garantiert.

Inzwischen ist es auch zu einem ersten politischen Kontakt zwischen Tirana und den Albanern im jugoslawischen Kosovo gekommen. Wie 'Vjesnik‘ mitteilte, wurde Zekeriaha Cana, einer der bekanntesten kosovoalbanischen Intellektuellen, der zwei Jahrzehnte in jugoslawischen Gefängnissen verbrachte, am Samstag in Tirana von Staats- und Parteichef Ramiz Alia empfangen. Cana würdigte Ramiz Alia, der durch sein diplomatisches Verhalten Blutvergießen verhindert habe, und warnte die Albaner vor weiteren Unruhen. „Denn die Feinde des albanischen Volkes“, so Cana am Montag im jugoslawischen Radio, fänden dann „wieder Argumente für ihre These, die Albaner seien Speichellecker und ein primitives, kulturloses Volk“. Trotzdem freue er sich, daß in Albanien nun offenbar ein „frischer Wind“ wehe. thos