: Marchais steht fest zur roten Fahne
■ XXVII. Parteitag der Französischen KP erfolgreich eröffnet
Paris (taz) — 98 Prozent Einverständnis mit der Parteiführung in der Charente, 96 Prozent in der Somme und 95 Prozent im Val-de-Marne: Kein Zweifel, für ML-Nostalgiker ist Frankreich noch eine Insel der Seligen. Hier funktioniert er noch, der demokratische Zentralismus der Partei und ihres unfehlbaren Generalsekretärs. Gestern eröffnete die KP Frankreichs ihren 27. Kongreß, um „eine moderne Antwort auf jenen Archaismus zu geben, den der Kapitalismus am Morgen des 21. Jahrhunderts darstellt“, so die Parteizeitung 'l'Humanité‘.
In seiner Eröffnungsrede setzte sich Generalsekretär Georges Marchais unmißverständlich vom gegenwärtigen Kurs der KPdSU ab. „Wir sind bereit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Aber wenn es darum gehen sollte, zu dem vorhergegangenen Kapitel zurückzugehen, also zur Sozialdemokratie, dann sagen wir: nicht mit der Kommunistischen Partei Frankreichs!“
Doch noch nie hat sich die Unzufriedenheit der Basis mit ihrer Parteiführung so lautstark geäußert wie 1990, im Jahre Eins des Postkommunismus. Die Partei kann laut Umfragen nur noch mit etwa sieben Prozent der Stimmen rechnen. Zum ersten Mal in der Parteigeschichte gelang es dem ehemaligen Minister und Wortführer der Rebellen, Charles Fiterman, einen Alternativentwurf für eine Kongreßresolution gegen heftige Widerstände zur Diskussion in den Parteizellen zu bringen. Darin fordert Fiterman eine „Wiederbelebung des kommunistischen Projekts“ und verlangt innerparteilichen Minderheitenschutz sowie eine radikale Neubewertung der realsozialistischen Erfahrungen im Osten und der Sozialdemokratie im Westen.
Rund ein Viertel der aktiven Parteimitglieder (offiziell 600.000, inoffiziell knapp die Hälfte) soll sich, nach Angaben der Perestroikisten um Fiterman, für den Alternativentwurf ausgesprochen haben. Doch weil jeweils nur die Mehrheit in dem nächsthöheren Parteigremium vertreten ist, kommt es schon auf Departementsebene zu den obengenannten Zahlen des vollkommenen Einverständnisses. Von den 1.400 Parteitagsdelegierten werden nur etwa 4 Prozent zu den Erneuerern gerechnet. Somit wird der 27. Kongreß, zu dem trotz heftiger Proteste auch eine Delegation der KP Chinas geladen wurde, wieder eine Messe der Dreieinigkeit von Generalsekretär, Partei und dem ehernen Gang der Weltgeschichte sein. Alexander Smoltczyk
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