: »Flüchtlinge im doppelten Sinne«
■ Ein Gespräch mit dem FU-Historiker Professor Wolfgang Wippermann über die Situation der Roma-Flüchtlinge INTERVIEW
taz: Was haben nach Ihren Informationen diejenigen zu befürchten, die nach Jugoslawien abgeschoben werden?
Prof. Wippermann: Nach meinen Informationen herrscht dort tatsächlich eine pogromartige Stimmung. In Rumänien sind zum Beispiel in der letzten Zeit Romadörfer abgebrannt worden, in Jugoslawien verschlechtert sich die Situation zunehmend mit dem Zerfall des Staates. Die Idee der »Rücksiedlung« von Roma in Jugoslawien, wie sie die nordrhein-westfälische Landesregierung praktizieren will, heißt nichts anderes, als die Leute in Ghettos zu stecken. Und zwar unter der Autorität der jugoslawischen Behörden.
Müßte man den Menschen Ihrer Meinung nach einen Flüchtlingsstatus zubilligen?
Natürlich — und zwar in einem doppelten Sinne. Erstens sind sie tatsächlich verfolgt. Zweitens — und das geht in der Debatte immer noch unter — sind die Roma ein Volk, an dem wir einen Völkermord verübt haben. Die Schätzungen gehen von 200.000 ermordeten Roma bis zu einer Million, die während des Nationalsozialismus umgebracht worden sind. Wenn wir jetzt mit diesen Verfolgten aus Jugoslawien und Rumänien zu tun haben, dann muß die Geschichte einfach mitberücksichtigt werden. Bei den Juden verhalten wir uns schließlich auch anders — wenigstens diskutiert man da über Kontingente, die hier aufgenommen werden.
Inwieweit ist in der Bundesrepublik, aber auch in Jugoslawien der Völkermord an den Roma je anerkannt worden? Inwieweit hat es eine Entschädigung für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer gegeben?
Für ausländische Roma überhaupt nicht. Für die Nürnberger Prozesse sind damals Akten gesammelt worden, die den Völkermord dokumentieren, aber es war kein Verhandlungsgegenstand. 1953 sind die Ansprüche von Staaten und Einzelpersonen aus dem Zweiten Weltkrieg in einem Abkommen bis zu einer — so wörtlich — »endgültigen« Regelung zurückgestellt worden. Nach der Wiedervereinigung stellt sich die Frage ganz entscheidend nach einer Wiedergutmachung von Volk zu Volk, wie das Adenauer mit Ben Gurion Anfang der fünfziger Jahre gemacht hat. Gespräch: Andrea Böhm
Prof. Wolfgang Wippermann plant an der FU gegenwärtig ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Roma
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