piwik no script img

RIECHERINNERUNGEN

Gerüche — das heißt, die in der „Natur“ vorfindlichen — finde ich nicht mehr so geil. Ich möchte darüber philosophieren, warum mir zwar mein Bio-Grünkohl erdig-überirdisch lecker schmeckt auch ohne „Pinkel“, warum reine Riecherinnerungen aber seltener werden, undeutlich — oder ich habe sie schon einmal beschrieben, das heißt versucht, ihren Hauch einzufangen.

Muß ich Abschied nehmen von dieser Kolumne, nach 40 Folgen? Ein neues Buch über die Nase gibt den Anstoß und auch Hinweise, warum:

Im Klimakterium werden die Zellen (welche denn?) der Nasenschleimhaut abgebaut. Und befinden wir uns nicht im Klimakterium der Menschheit? Übergang oder Endzeit?? Auch Nasenbär hat seine Menopause.

Aber was ist mit der Feinschmeckerei. Gourmets sind meistens älter, WeinkennerInnen ebenso. Wird nicht nachlassende Intensität durch Erfahrung und Verfeinerung kurzum: Raffinement, wettgemacht? Mehr Pfeffer im Alter, oder Haferschleim mit Maggie als Köstlichkeit.

Die Menschen sind verschieden. Es kann auch sein, daß ein in dem oben erwähnten Buch zitierter Herr recht hat, der — 1901 schon — bemerkt, „daß der am meisten fortgeschrittene Mensch eine Einbuße an der Schärfe des Geruchssinnes erleidet und daß umgekehrt viele wilde Völker [...] sich durch eine auffallende Schärfe des Geruchssinnes auszeichnen.“ Weniger scharf, ich — wir alle Heutigen? Oder auch: Näher, mein Gott, zu dir. Rudolf Steiner wußte schon, daß wer nach innen reist, „nur in die Ausstrahlungen seiner Nase hineinsteigt“ (das „nur“ ist falsch, Rudi).

Wahrscheinlich hat auch noch ein dritter, in dem o.a. Buch zitierter Herr recht, der schon vor 90 Jahren voraussagte, daß „in Zukunft allmählich die Fähigkeit schwinden wird, die natürlich erotischen Riechstoffe (Hervorhebung NB) wahrzunehmen“, daß diese „selbst auch abnehmen [...] da sie zur sexuellen Auslese nicht mehr gebraucht werden. Organe und Fähigkeiten, die nicht gebraucht werden, gehen zugrunde.“ Ob sie gebraucht werden, lasse ich dahinstehen, fest steht, daß wir sie auch zugrunde richten, mit zunehmender Entfernung von der „Natur“.

Zur Zukunft der Sexualität, die ja mit der Nase vielfältig verbunden ist — oder muß man sagen: war? —, sagt mir ein ebenfalls älterer Herr auch Deprimierendes. Ernest Bornemann, wie Nasenbär ein Feind konsequenter Desodorierung (siehe u.a. Die böse Parfümöse in Riecherinnerungen, taz vom 5. und 9.1.1988), sieht „die Bedeutung des Koitus als sinnliche Befriedigung [...] schwinden, zugunsten von sogenannten Perversionen“ (so genannt werden sie von Psychoanalytikern, weil sie „Abweichungen von der reifen Persönlichkeit“ seien. „Sadismen“, befürchtet Borneman, der sich sein 75jähriges Leben lang mit Liebe und Libido befaßt hat, Sadismen würden „wachsen“ und auch „die genannte Frigidität der Frauen zwischen 18 und 30“ (oh, wie gut, daß ich alt bin). Ob dieser sogenannte Libidoverlust — „auch bei Männern“ — wegen der möglichen Verfeinerung vielleicht auch Bereicherung sein könnte, wage ich nicht zu fragen, Old-Borne-Man fände das nicht.

Jedenfalls spricht vieles dafür, daß die Bedeutung des Geruchssinnes zurückgeht, gerade deshalb auch hat ein Buch wie Das Parfum dauerhafte Riesenauflagen. Ich glaube, ohne diese Entwicklung wäre auch nicht möglich, daß jetzt das o.e. Buch Die Nase & der Popel erscheint, in dem von 175 Seiten ganze zwölf — also unter zehn Prozent — dem Riechsinn und seinen Milliarden Implikationen gewidmet sind. Ich meine den Grünen Zweig Nr. 139 von Werner Pieper. Mehr über dieses Nasenkompendium im nächsten und womöglich letztenNasenbär.

NASENBÄRSNIEDERGANG

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen