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»Schwere Zeiten« für die ImmigrantInnenpolitik

■ Türkische Organisationen sehen unter großer Koalition pessimistisch in die Zukunft/ Forderungen an neuen Senat/ John fühlt sich »hintergangen«

Berlin. Inhaltliche Differenzen ergeben sich bei den neuen Koalitionspartnern CDU und SPD, wen wundert's?, auch in der Ausländerpolitik. Was unter Rot-Grün als ein Argument für die »Jahrhundertchance« ausgegeben wurde, eine fortschrittliche ImmigrantInnen- und Flüchtlingspolitik, könnte nun nach den Befürchtungen des »Aktionsbündnisses türkischer Selbsthilfe- und Betroffenenorganisationenen gegen das Ausländergesetz« zur verhandlungstaktischen Manövriermasse werden.

»Schwere Zeiten« prophezeiten gestern Kenan Kolat und Hamdi Ilhan vom Aktionsbündnis, als sie ihre Forderungen an den neuen Senat öffentlich machten. Hinter dem etwas schwerfälligen Titel verbirgt sich ein parteiübergreifender Zusammenschluß von etwa 30 höchst unterschiedlichen türkischen Organisationen und Vereinen, die sich aus Opposition gegen das neue Ausländergesetz bereits letztes Jahr an einen Tisch gesetzt hatten.

Sie fühlen sich bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes hintergangen: Galt bis vor kurzem noch, daß Anträge von ImmigrantInnen auf einen sichereren Aufenthaltsstatus (unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung), die bis zum 31.12.90 gestellt worden sind, nach den günstigeren Vorschriften des alten Gesetzes entschieden werden, so wurde dieses Versprechen nun gebrochen. Wie Brigitte Grobecker, Pressesprecherin der Innenverwaltung, auf Anfrage einräumte, werden alle Anträge, deren Bearbeitung sich bis ins neue Jahr hineinzieht, auf Grundlage des neuen Gesetzes entschieden. Aufs Glatteis geführt wurden nicht nur die betroffenen ImmigrantInnen, sondern auch die Westberliner Ausländerbeauftragte Barbara John.

Die hatte — quasi als Vorsorgemaßnahme gegen das neue Gesetz — unter dem Motto »Jetzt das Aufenthaltsrecht absichern« alle ImmigrantInnen aufgefordert, ihren Status noch vor dem 31.12.90 soweit möglich zu festigen. Sie erfuhr vor 14 Tagen, daß ihre Kampagne konterkariert worden ist. Das sei »Vertrauensbruch«, kritisierte John. Ob Rot- Schwarz oder Rot-Grün, für das türkische Aktionsbündnis steht der Senat weiterhin im Wort. CDU und SPD, so Kenan Kolat, sollen sich dafür einsetzen, daß das Versprechen des noch amtierenden Senats eingehalten und den ImmigrantInnen damit Vertrauensschutz gewährt wird.

Wenig Vertrauensschutz erwartet Kolat allerdings von seiten der SPD, die sich unter rot-grünen Vorzeichen noch gerne mit einer progressiven ImmigrantInnenpolitik schmückte. In den Koalitionsverhandlungen sei die Bereitschaft zum Nachgeben dort am größten, »wo es keine Wählerstimmen kostet — also in der Ausländerpolitik«. Die meisten der Forderungen sind in anderen europäischen Großstädten wie Amsterdam längst eine Selbstverständlichkeit: verstärkte zweisprachige Alphabetisierung an den Schulen, die bereits vom rot-grünen Senat forciert worden war; keine Finanzkürzungen bei ausländischen Selbsthilfeorganisationen, deren Budgets ohnehin schon knapp bemessen seien; geeignete Maßnahmen der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, um die besonders betroffenen ImmigrantInnen vor Wohnungsnot zu schützen; bessere medienpolitische Repräsentation durch ImmigrantInnen im Rundfunkrat.

Dem neuen Senat will das Aktionsbündnis die Zusicherung abtrotzen, keine Jugendlichen, die hier geboren oder aufgewachsen sind, auszuweisen. Solche Maßnahmen sind nach dem neuen Ausländergesetz möglich. Anstelle polizeilicher Methoden, so die türkischen Vereine und Organisationen, solle man lieber Ursachenbekämpfung betreiben »und sich mal überlegen, warum in Kreuzberg über 60 Prozent der türkischen Jugendlichen arbeitslos sind«. Ob diese Forderung jemals mehr als appellative Bedeutung haben wird, bezweifelt Kenan Kolat allerdings. Da der CDU voraussichtlich das Innenressort zufallen werde, »erwarten wir da nichts Gutes«. Andrea Böhm

Wer noch 1990 einen Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung gestellt hat und nun durch das neue Ausländergesetz möglicherweise einen schlechteren Aufenthaltsstatus erhält, kann sich beim Aktionsbündnis, Postlagerkarte 077181C, Berlin 36 oder bei der Westberliner Ausländerbeauftragten, Potsdamer Straße 65, Berlin 30 melden.

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