: Der Kostenkünstler schlägt vor
■ Ein Beitrag aus der Serie »Berliner Künstler politisieren« — heute: Peter Dittmer und die Steuerpartei
1917 kandidierte der Berliner Oberdada Johannes Baader für den deutschen Reichstag. 72 Jahre später gründete die Malerin Bärbel Bohley gemeinsam mit anderen Oppositionellen die Sammlungsbewegung Neues Forum. Zur gleichen Zeit engagierten sich die Aktionskünstler Reiner Görß und Peter Dittmer in der Vereinigten Linken. Ein Jahr nach dem Herbst 1989 sind die Utopien zerplatzt, und in den Ateliers im Osten der Stadt studiert man das bundesdeutsche Steuerrecht. Doch Peter Dittmer gibt nicht auf. Er gründet die Steuerpartei. Hier seine Thesen:
Die Delegierung von Macht an Personen der Wahl ist, wenn auch heute noch zelebriert, ein Instrument vergangener Zeit, eher erinnernd an konstitutionelle Monarchie als an wirkungsvolle demokratische Beteiligung der Gesellschaftsmitglieder an der Macht.
In den großangelegten und das ganze Land erfassenden Wahlkampagnen werden mit Hilfe elektronischer und Printmedien komplexe (Politiker-)Persönlichkeitsbilder einerseits gezeigt, andererseits zugunsten idealtypischer Persönlichkeitsprofile auch wieder vertuscht.
Für festgelegte Zeiträume wird Macht delegiert an Politiker, und es wird ausgewählt zwischen Politikern unter eigentlich unbegreiflichen Prämissen. Der Bürger wird unzufriedener, weil er ja merkt, daß dies nur so weitergeht, weil ein besseres Prinzip nicht zur Hand ist.
Der Politiker ist ebenfalls unglücklich, weil er spürt, wie sehr er überfordert ist, Verantwortung wird zur unzumutbaren Last. Und es wird sicherlich niemanden geben, der diese Last tatsächlich tragen kann. Die Gesellschaft ist von einem zentralen Punkt aus nicht mehr überschaubar, falls sie es denn je war, und so eben auch nicht mehr regierbar.
Beim Wähler ist es die Entscheidung für den einzelnen Politiker als einen Menschen, von dem zu hoffen ist, daß er alles zu Erledigende gut erledigen oder zum Besseren wenden wird. Aber wie unglücklich verschleiert ist der Unterschied zwischen dem, was man wählen würde, und dem, was besser nicht. Ist da überhaupt noch eine Klarheit möglich?
Aus diesem Gefühl der Verunsicherung resultiert eine weitverbreitete Änderungsträgheit, die aber im Kontrast steht zur Notwendigkeit von Änderung. Macht spielt sich u.E. nicht mehr in martialischen Räumen des Stolzes, des Nationalgefühls oder ähnlichem ab, Macht und, wesentlicher noch, alle wirklich wichtigen Belange unseres Lebens, unseres gesellschaftlichen Lebens, werden reguliert einerseits durch Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen, die sich Einfluß auf Regierungsentscheidungen zu verschaffen suchen, aus welchen Gründen auch immer. Die Verkehrsform innerhalb der Gesellschaft und der Kontakt zu anderen Gesellschaften werden wesentlich durch das Steuermedium Geld reguliert; dies gilt es weniger zu bewerten, als anzuerkennen.
Was läge näher, als sich dieses Steuermediums Geld bewußter zu bedienen! Der deutlichste Anteil der Bevölkerung am staatlichen Geschehen ist die Steuer.
Die Steuer konstituiert den Staat
Die Steuer als erklärte Bereitschaft des einzelnen Bürgers, staatliche Notwendigkeit, staatliches Regulativ anzuerkennen. Mit dieser Steuer delegiert der Bürger bzw. der einzelne Teilnehmer, der Vereinzelte der Gesellschaft Aufgaben an den Staat, das Gemeinwohl. Er delegiert das Gemeinwohl an den Staat, allerdings in einer anonymen und für jeden schmerzhaften regelmäßigen Leistung, Abgabe.
Anstatt den Verwendungszweck der Steuern klar zu formulieren, wird er über die Persönlichkeitswahl geregelt, indem man einzelnen Politikern dieses Geld in die Hand legt. Ihm, dem wir unsere Sympathie geschenkt haben, wird anheimgestellt, dieses Geld zu unserem Nutzen zu verwenden. Dieses Geld, das dem Staat somit zur Verfügung steht, ist das Machtinstrument des Staates. Mit diesem Geld bezahlt er seine Soldaten, greift wesentlich in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur ein, legt Richtlinien des öffentlichen Handelns fest, ohne daß ein wesentliches Einspruchsrecht für den einzelnen besteht. Was läge näher, als dieses unangebrachte Vertrauen durch eine detailliertere Aufgabenstellung zu ersetzen?
Damit ist gemeint, daß für den einzelnen Bürger der Zusammenhang zwischen Steuerpflicht und Regierungsbeteiligung, der im Moment so gut wie aufgehoben ist, neu hergestellt wird. Das Verfahren, das vorgeschlagen wird, funktioniert wie folgt:
Ein zu ermittelnder Grundbetrag wird weiterhin der Staat zu seiner Verfügung erhalten, und es wird in der Entscheidung des Staates liegen, dieses Geld für einzelne Bereiche einzusetzen, die kontinuierlich gewährleistet sein müssen (zum Beispiel Renten). Dieser Teilbetrag wäre der Willkür populärer Entscheidung entzogen. Es gibt sicherlich Entscheidungsbereiche im ökonomischen Beziehungsgeflecht, die nicht diskutabel sind. Der weitaus größere Betrag (70 Prozent) wird zielgerichtet vom Steuerzahler an bestimmte Haushaltsbereiche adressiert. In festzulegenden Zeiträumen, viertel- oder halbjährlich, kann der einzelne Steuerzahler bestimmte Projekte/Vorhaben mit diesem Geld unterstützen. Er zeichnet diesen zu leistenden Betrag bzw. Teil. Er kann seine Steuern natürlich auch auf mehrere Projekte verteilen, er zeichnet diese Projekte wie Aktien. Der zu leistende Steuerbetrag würde weiterhin feststehen, nur die Verwendung wäre der Entscheidung des einzelnen anheimgestellt. Er unterstützt oder macht erst möglich, daß klar umrissene Vorhaben, die allen Bereichen zugehören können, realisiert werden können.
Der Politiker als Person wird aus der Entscheidungsverantwortung entlassen und zum Vorschlagen und Erläutern verpflichtet. Er ist ein Koordinierender und ein Werbender. Der Politiker wird somit ebenso wie das Parlament nicht überflüssig, aber er wird in seiner Eigenschaft als Fachmann und als Koordinator gefordert sein. Die Arbeit des Politikers und der politischen Gremien und nicht zuletzt der Wahlkampfbüros wäre verändert, wesentlich, jedoch nicht überflüssig. An diesen Stellen würden, im Verein mit weiteren Fachleuten, Projekte und deren wirkungsvolle Darstellung erarbeitet, von dort aus würde der Vorschlag an den Steuerzahler adressiert.
Das Geld ist das Medium
Der politische Interessenvertreter wird aber unbedingt davon abhängig sein, daß sein Vorschlag ausreichend Unterstützung und somit Gelder erhalten wird. Das Geld ist in diesem Fall das Medium, in dem sich größere oder geringere Zustimmung artikuliert. Die Gesellschaft wird unvermeidlich eine weitere Flut werbender Versuche von Einflußnahme verkraften müssen. Es ist zu befürchten, daß Vorhaben mehr beworben denn dargestellt werden. Einerseits würde man das hinnehmen müssen, mit dem Versuch, auch die Formen der Darstellung durch Zustimmung und Abelehnung zu regulieren. Die Gesellschaft ist ja heute schon eine geübtere im Umgang mit der Differenz zwischen Werbung und Produkt. Andererseits reduzieren sich ja schon heute innerparteiliche Diskussionen häufig nur noch auf die Darstellungsproblematik.
Verführerisch ist doch aber die Hoffnung auf eine weitgehende Transparenz in der Entscheidungsfindung. Es findet nichts mehr in der Gesellschaft statt, das nicht ausführlich diskutiert werden müßte.
Im Hinblick auf die Regierungsfähigkeit Europas, die veränderte Rolle der Regionen, scheint uns eine solche Teilnahme des Bürgers an der territorialen Verwaltung angebracht und ohne Alternativen, würde man nicht riskieren wollen, einen ständigen Konflikt zwischen Zentralregierung und örtlichen Interessen in Kauf nehmen zu müssen (siehe UdSSR). Ohne ein solches Regulativ wäre die Verbindung zwischen Bürger und Staat endgültig zerbrochen.
Der demokratische Einsatz des Steuerregulativs wäre kein Plebiszit im herkömmlichen und gefürchteten Sinne. Es wäre immer eine graduelle Entscheidung.
Es gäbe nicht so sehr eine massenhafte Ablehnung von Projekten, vielmehr würde nur das Gewicht der Projekte maßgeblich durch den Steuerzahler bestimmt. Über die Steuerung der zur Verfügung gestellten Geldmenge würde die Wesentlichkeit des Vorhabens für die Gesellschaft ausgedrückt.
In unaufhörlicher Korrespondenz mit den Mitgliedern der Gesellschaft
Noch vor relativ kurzer Zeit wäre ein solches Vorgehen technisch kaum durchführbar gewesen. Entwickelte Bürokratie und zugehörige Kommunikationstechnik lassen den Vorgang denkbar und realisierbar erscheinen. Ebenso sind Darstellungsformen und -möglichkeiten (Selbstdarstellung) für Vorhaben gerade durch die elektronischen Medien durchaus gegeben.
Das Prinzip der Zeichnung hätte den wesentlichen Vorteil, den Bürger aus dem vierjährigen Entscheidungsnotstand zu befreien, gesellschaftlich globale Entscheidungen in kleinteilige Sachentscheidungen (und damit wieder dem gesellschaftlichen Diskurs zugänglich) aufzusplitten.
Ebenso unbestreitbar wäre der Vorteil, daß derjenige, der gestern eine Partei gewählt hat, die die zur Regierung erforderliche Stimmenzahl nicht bekam, bisher mit seiner Partei für die nächsten vier Jahre in die Opposition gehen mußte, strenggenommen also nicht an der Regierung teilnehmen konnte. Über die Steuergewalt bliebe er jetzt trotzdem und weiterhin mit der Bewegung des Staates, der Bewegung der Gesellschaft verbunden. Die Wahl würde wieder eine Wahl der Repräsentanten und Fachleute sein.
Es handelt sich aber nun bei den Politikern um Fachleute, die in einer unaufhörlichen Korrespondenz mit den Mitgliedern der Gesellschaft stehen. Ein unaufhörlicher Strom von Mitteilungen ginge vom Politiker zum Steuerzahler. Das Echo wäre eine in ihrer Wirksamkeit deutliche Rückmeldung vom Steuerzahler.
Der gesellschaftliche Diskurs wird sich aus dem Bereich der Ahnungen in den Bereich tatsächlicher Sachentscheidungen verlegen. Natürlich werden auch falsche Entschlüsse gefällt werden. Diese sind aber nach relativ kurzer Zeit relativ leicht revidierbar, oder sie werden ausgeglichen durch andere Entschlüsse. Der Begriff des Bürgers bekäme eine neue Farbe. Die Teilnahme des Bürgers an der Politik wäre auf eine anschauliche und Lust auf Teilnahme ermöglichende Weise gegeben.
Zu allem Überfluß würde sich die drückende Last der Steuerpflicht wandeln in eine wohl etwas weniger drückende Lust des Steuerrechts. Steuer wäre nicht Zins, Steuer wäre tatsächlich ein Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Bewegung.
Eine Forderung, so simpel wie die nach dem Frauenwahlrecht
Wir halten diesen Gedanken für eine ebenso simple Forderung wie die nach dem Frauenwahlrecht, die die politische Diskussion Anfang dieses Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt hat und zur Selbstdefinition der Gesellschaft beiträgt. Das Beispiel ist auch deswegen interessant, weil sich für beide Forderungen ähnliche Bedenken formulieren ließen. Generell treten diese Bedenken immer dann auf, wenn es um ein Mehr an Selbstbestimmung geht. Allen Bedenken und furchtvollen Vermutungen zum Trotz hat sich aber doch gezeigt, daß die Gesellschaft ohne neue Formen der Mitsprache und Einflußnahme überhaupt nicht mehr funktionieren kann, daß es neue Problemstellungen gibt, die mit den herkömmlichen Mitteln nicht zu lösen sind. Zumal die Kluft zwischen Bürger und Staat nicht etwa kleiner geworden ist.
Wir sind, gerade nach der letzten Bundestagswahl, in dem neuen, doch sehr veränderten Land an einem solchen Punkt angelangt, der wirksame Veränderungen fordert.
Es ist die Frage, ob man eine Partei gründen soll, um ein Vorhaben durchzusetzen. Wir sind der Meinung, ja. Wir sind deshalb dieser Meinung, da sich, gerade im letzten Jahrzehnt, in der Entwicklung der Parteien herausgestellt hat, daß es durchaus Parteien geben kann, deren Konzept scheinbar nur einen relativ engen Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit umfaßt.
Im Falle der Grünen ist der Bereich der Ökologie doch einer, der weit wesentlicher Einfluß hat auf alle Lebensvorgänge, als es zu Anfang vielleicht den Anschein hatte. Ebenso denken wir über unser Steuerverteilungskonzept.
Gleichzeitig sieht man aber auch am Beispiel der Grünen, daß, wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung die Wichtigkeit des angesprochenen Bereichs erkennt und dieser Partei deswegen seine Stimme gibt, dies für die großen Parteien bedeuten kann, daß sie wenigstens diese neu formulierte Aufgabenstellung nicht ignorieren dürften. Das Problem ist im gesellschaftlichen Diskurs verankert.
Unsere neue Partei soll also nichts anderes tun, als über mehrere Jahre hinweg, solange es eben notwendig ist, einen Initialdruck herzustellen, bis das Programm ebenfalls aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist. Es wird dann sicher der Zeitpunkt gekommen sein, die Partei wieder aufzulösen.
Wir sind der festen Überzeugung, daß das parlamentarische Instrumentarium stark überholungsbedürftig ist. Gleichzeitig sehen wir die Gefahr, an die Stelle der parlamentarischen Demokratie die Diktatur zu setzen. Wir sehen in unserem Steuerprogramm als Erneuerung, als Reformierung der direkten Beteiligung des Bürgers an der Politik eine Möglichkeit der Beibehaltung erprobter demokratischer Formen, aber eher noch eine Überwindung alter Formen der blinden oder ahnungslosen Übertragung von Macht auf Personen.
Peter Dittmer ist heute um 21 Uhr im Künstlerhaus Art Acker, Ackerstraße 18, Berlin 1040 zu erleben. Dort wird die Ausstellung WHW · Winterwunder mit Arbeiten von H. Behr, M. Brendel, P. Dittmer, E. Gabriel, J. Jansen und einem Speisezimmer von R. Görß eröffnet.
Programm: 21 Uhr Einlaß (am Eingang werden Spenden für die Obdachlosen in Berlin Ost und West entgegengenommen). 21.15 Uhr Standgericht (Erklärung von P. Dittmer zur Steuerpartei). 22 Uhr Waldgang — Objektbetrachtung und Oberhaupt-Gericht. Danach Musik und Abspülen open end. Kostenbeitrag 10 DM.
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