„Der Präsident darf ihn nicht ziehen lassen“

■ Alexander Bowin ist „der“ Kommentator der 'Iswestija‘ INTERVIEW

taz: Hat Sie als außenpolitischen Kommentator der Regierungszeitung 'Iswestija‘ die Nachricht von Schewardnadses Rücktritt genauso überrascht wie die übrige Welt?

Alexander Bowin: Ja, völlig. Ich verstehe ihn als Mensch, er ist verletzt. Aber er ist nicht bloß Mensch, sondern auch Politiker. Er muß seine Nerven behalten und darf den Posten nicht verlassen. Jetzt heißt es doch zu kämpfen.

Ich sehe überhaupt keine Logik in seinem Verhalten. Wenn eine Diktatur vor der Tür steht, dann muß er sich doch gerade deswegen zur Wehr setzen und nicht noch den Weg freimachen.

Der Außenminister hat seinen Rücktritt ja nicht nur mit der Gefahr einer Diktatur verknüpft, sondern auch mit der massiven Kritik an seiner Haltung im Irak-Konflikt?

Natürlich wurde seit langer Zeit seine Außenpolitik kritisiert. Seine Fehler und Zugeständnisse sind mittlerweile ein altes Thema. Aber man darf nicht vergessen, die Menschen in unserem Land unterstützen ihn. Ich glaube, daß Schewardnadse nach Tschetscherin und Litwinow unser talentiertester Diplomat ist. [Litwinow, der Außenminister zwischen 1930 und 1939 war, gelang es, gegen die anfänglichen Widerstände der USA, die UdSSR im Jahre 1934 in den Völkerbund zu integrieren. Maßgeblich war er am Zustandekommen der Nichtangriffspakte beteiligt. Gerade deswegen ist Bowins Hinweis interessant. Anmerkung khd.]

Schewardnadse ist klug und gebildet. Vor allem hat er Kultur und kann sich unterhalten. Und für gewöhnlich folgen seine Handlungen einer glasklaren Logik, das fand ich immer wichtig. Er ist eben ein richtiger Diplomat. Jetzt muß er sich zusammenreißen und wieder Herr seiner Gefühle werden. Er darf nicht einfach gehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sein Rücktritt wirklich nur mit der Sojus-Fraktion, den Konservativen, zusammenhängt. Können Sie denn deren tatsächliche Macht einschätzen und wo bleibt Gorbtschow bei all dem?

Nein, kann ich nicht. Aber der Präsident verhält sich falsch. Er hätte ihn schon vor langer Zeit öffentlich unterstützen müssen. Das blieb aus, keiner hat ihn verteidigt. Dahinter steckt eine gefährliche Tendenz. Auch Alexander Jakowlew hat der Präsident einfach ziehen lassen. Das ist gefährlich. Gorbatschow kann doch nicht ganz allein bleiben.

Welche Konsequenzen hat der Rücktritt Schewardnadses für die sowjetische Außenpolitik und wie beurteilen Sie die Rückwirkungen dieses Akts auf die Situation in Deutschland, die Deutschland-Politik überhaupt?

Noch ist der Rücktritt nicht angenommen worden. Sollte das aber tatsächlich geschehen, wird sich unsere Außenpolitik nicht grundsätzlich ändern, auch nicht gegenüber Deutschland. Interview: Klaus-Helge Donath