: Das Herz des Fürsten
■ Ein sinnender Nachruf ans vergehende Jahr
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Es war an großen Ereignissen keineswegs arm, aber die letzte Erschütterung ließ doch auf sich warten: ein Fürst, der an einem falschen Herzen stirbt.
Es gibt Geschichten, die nur das Leben zu Ende schreiben kann, und diese ist eine davon. Da erliegt ein Mann in den besten Jahren einem zweiten falschen Herzen, nachdem sein blaues Blut das erste bereits abgestoßen hat: es soll das eines Verbrechers gewesen sein, so sagt die Regenbogenpresse, die auch ausruft: „Er könnte noch leben!“ Dies ist zweifellos wahr. Dieselbe Zeitung hat uns auch überliefert, daß die Familie des Geretteten davon absah, den Sarg des Verstorbenen mit einem dankenden Kranz zu schmücken, und das stimmt uns nachdenklich: an den Mitteln kann es kaum gecheitert sein. Es wird ein Gefühl für Würde diese Geste verhindert haben, dieselbe Würde, die zweifelsfrei auch auf psychosomatischem Wege dafür sorgte, daß der Fürst das ihm implantierte Verbrecherherz nachgerade abstoßen mußte. Doch auch der zweite Versuch der Medizin erwies sich als verhängnisvoll und von säkularisiertem Unverstand diktiert.
Von dem christlichen Denker Kierkegaard ist uns ein bedenkenswerter Satz überliefert: „Ein ganzer Mensch zu sein ist doch das Höchste. Jetzt habe ich Hühneraugen bekommen, das ist doch immer eine kleine Hilfe.“ An diesen Satz wohl dachte der bürgerliche Arzt des zutiefst gläubigen katholischen Fürsten von Thurn und Taxis, dessen Vermögen, durch Arbeit des Geschlechts erworben und zusammengehalten, ursprünglich auf dem Postwesen beruhte: Mit grausiger, vielleicht unbewußter Ironie wählte er unter den unzähligen Herzen, die sich untertänigst zur Verfügung stellten, ausgerechnet das einer kleinen Postbeamtin, just als es zu schlagen innehielt. Eben diese Magd des Postwesens, von der uns die Überlieferung berichtet, sie hätte unter kärglichsten Umständen gelebt und ihr Tagwerk verrichtet, brachte dem Fürsten den Tod, der ihr Herz nimmermehr wollte.
All dies ist furchtbar und regt zum Bedenken an. Das nun mehr vergehende Jahr hielt für die treuen Hoffenden allerlei bereit: In Rumänien meldete sich ein König zu Wort, Otto von Habsburg ergriff erneut das Zepter des Wollens, in Rußland (ich sage nur: Chemnitz!) bildeten sich Clubs von Nachfahren der Zarenfamilie, der Fürst von Schwarzenberg kehrte in die Tschechei zurück... In Berlin stimmt Hans Jürgen Syberberg das hohe Lied auf Pommern an, und Ohrenzeugen wissen gar von schlagenden Hufen zu berichten, welche die Dönhoffóva zurück gen Osten führen... Wahrlich, es war eine große Zeit, in der mancher glauben konnte, die Säkularisierung sei endgültig dahin und die Völker, müde der Wirren der Demokratie, ergäben sich willig erneut dem großen Schicksal von Fürst und heimischer Scholle — ein Vorhaben, an dem unsere größten Geister unermüdlich arbeiten. Doch halt! Das nüchterne, ideenlose Mittelmaß zuckt noch tückisch hie und da, und es sind Vorsicht und Augenmaß geboten. Die Sylvesterrede des Bundeskanzlers verspricht hier, nicht zuletzt durch ihre verläßliche Wortwahl in ruhig stimmender Wiederholung, Trost, und schließlich wird uns das helle Wort des Bundespräsidenten am Neujahrstage den Weg in eine ebensolche Zukunft weisen. Der Fürst ist tot, es lebe die Fürstin! Elke Schmitter
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