: Schüler wollen lieber dreizehn Jahre lernen
Bonn (taz) — Ununterbrochen klingelten am Mittwoch im Bildungsministerium die Telefone. Wann es denn nun mit der Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre losgehe, wollten die AnruferInnen wissen. „Die Koalition kann den Kultusministern der Länder nur Vorschläge unterbreiten, keine Entscheidungen fällen“, versuchte ein Sprecher des Ministeriums die Gemüter zu beruhigen: Schulpolitik sei Ländersache.
In der Koalitionsrunde hatte sich Bildungsminister Möllemann mit seiner Forderung „Kürzere Schulzeiten für alle Abiturienten“ durchgesetzt. Seine Argumente: Schüler seien mit 18 volljährig und „sollten dann auch ihre Schulzeit abgeschlossen haben“; die Lehrpläne seien mit Spezialwissen überfrachtet. Und: In den neuen Bundesländern dauere die Schulzeit nur zwölf Jahre. Jetzt sei die Chance günstig, dies auf die ganze Bundesrepublik auszuweiten.
Davon wollen die Kultusminister der CDU- und CSU-regierten Länder nichts wissen. Vor wenigen Tagen beschlossen sie: Normalerweise sollte die Schulzeit bis zum Abi dreizehn Jahre dauern. Für besonders Begabte wollen sie jedoch spezielle Gymnasien oder Schulzweige schaffen. Dort soll der Unterrichtsstoff in zwölf Jahren durchgezogen werden.
Die SPD-Kultusminister haben noch keinen Beschluß gefaßt. Marianne Tidick, schleswig-holsteinische Kultusministerin, ist zwar der Meinung, „daß die Ausbildungszeiten von der Einschulung bis zum Hochschulabschluß bei uns zu lang sind“. Sie will jedoch nicht die Gymnasialzeit verkürzen, sondern zum Beispiel die Kinder nicht erst mit sieben sondern schon mit sechs Jahren zur Schule schicken.
Bundesschülersprecher Heiko Siebel und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnen die straffere Schulzeit strikt ab. Eine gute Allgemeinbildung und die Fähigkeit, an den Unis erfolgreich und zügig zu studieren, lasse sich nicht mit mehr Streß in Mittel- und Oberstufe erreichen. Bildungsminister Möllemanns Argument, in den meisten EG-Ländern gingen die Schüler nur zwölf Jahre aufs Gymnasium, sei unredlich. Schließlich benötigten die bundesdeutschen Schüler weit weniger Unterrichtsstunden bis zum Abi, als die Schüler in den Ländern mit Ganztagsunterricht. „Viele wichtige schulische Aktivitäten wie fachübergreifender Unterricht, Projektwochen, Exkursionen und Betriebspraktika“, so Bundesschülersprecher Heiko Siebel, könnten bei einem komprimierten Lehrplan nicht mehr oft genug stattfinden. Stephan Enders
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen