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Auf halbmast: Antibiotika in der Mast

In den USA wird die Hälfte aller Antibiotika an Tiere verfüttert/ Freiburger Hygieniker fand Rückstände im Schweinefleisch  ■ Von Mirjam Schaub

Mit einem harmlosen Hautausschlag fängt es an. Dann steigt das Fieber, der Blutdruck fällt schockartig, der Kreislauf kollabiert. Der Leidtragende muß sofort behandelt werden: Glukoseinfusionen, fiebersenkende Mittel und das Antibiotikum Clindamycin. Doch mitunter ist jede Hilfe zu spät. Der Patient stirbt an dem toxic-shock-like-syndrom (TSLS), ausgelöst von einem Giftstoff (Toxin, TSST-1) des altbekannten Streptococcenerregers.

Jim Henson, Erfinder der Sesamstraße und der Muppetshow, ist das bisher prominenteste Opfer — und womöglich Anlaß für die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), ihren Druck auf den Kongreß zu verstärken. Denn Experten vermuten seit langem, daß zwischen den Antibiotika, die in der Mast als Prophylaxe und Fleischansetzer verwendet werden, und der allgemeinen Resistenz von „harmlosen“ Bakterien, die ihre Unempfindlichkeit gegen Antibiotika an extrem aggressive (virulente) Krankheitserreger weitergeben, ein Zusammenhang besteht.

Eine Versuchsreihe belegt, daß das zur Verdauung notwendige Bakterium Escherichia coli (E. coli) Resistenzwerte von 30 bis 90 Prozent gegen eine Vielzahl von handelsüblichen Antibiotika aufweist, auch wenn die Versuchsperson keine Antibiotika zu therapeutischen Zwecken eingenommen hat. In-vitro-Versuche mit demselben Bakterium erhärten mittlerweile den Verdacht, daß auf den bakterieneigenen DNA- Ring (Plasmid) die Informationen über Resistenz und Toxinbildung gekoppelt sind. Ein Andocken (Konjugation) an ein virulentes Bakterium ermöglicht das Übertragen des (verdoppelten) Plasmidrings. Da Mehrfachresistenzen gegen verschiedene Antibiotika möglich sind, werden nicht nur die Überlebenschance, sondern auch die Virulenz des Erregers erhöht.

Schnell, platzsparend und billig

Tatsächlich gibt es kaum eine andere Erklärung für das plötzliche „Revival“ eines Toxins, das seit über vierzig Jahren kaum mehr Scharlach oder rheumatisches Fieber ausgelöst hat und nun eine neue lebensbedrohliche Krankheit verursacht. Der Name TSLS ist seit zwölf Jahren gebräuchlich. Er bezeichnet ursprünglich die Toxinbildung des verwandten Erregers Staphylococcus aureus, der in Verbindung mit einer Kunststoffeinlage von besonders saugfähigen Tampons heftige Entzündungen auslösen kann. Schon damals war das Thema Resistenzbildung und Massentierhaltung brisant, zumal in den USA rund die Hälfte aller produzierten Antibiotika an Tiere verfüttert wird.

Es ist die Art der Massentierhaltung selbst, die den Einsatz von Antibiotika „unvermeidbar“ macht — wenn man schnell, platzsparend und billig ein Schwein von 20 auf 110 Kilogramm mästen will. Die metallbeschlagenen Kastenstände und Gitterböden verhindern geradezu die vom deutschen Tierschutzgesetz geforderte „verhaltensgerechte Unterbringung“, die das „artgerechte Bewegungsbedürfnis nicht dauernd einschränkt“. Die dichte, profitorientierte Haltung zerstört das natürliche Abwehrsystem der Tiere und erhöht das Seuchenrisiko. Wenn beispielsweise Mastferkel aus anderen Beständen hinzugekauft werden, senken Transport und neue Umgebung („crowdling discase“) die Abwehrkräfte der Tiere: Meistens erhält deshalb der gesamte Bestand vorbeugend Antibiotika — allerdings nur in geringen Dosen. Dadurch werden die Bakterienstämme nicht vollständig zerstört. Jene Bakterien, die — durch den Zufall einer Mutation — schon vorher gegen das entsprechende Antibiotikum resistent waren, können diese Resistenz ungehindert an die überlebenden Bakterien weitergeben. Der ganze Bakterienstamm ist dann gegen das Medikament unempfindlich.

Bleich, weich und wässrig

Antibiotika als Masthilfe, wie Flavomyein, Avoparcin, verändern das Verhältnis der Mikroorganismen zueinander. Im Pansen eines Rindes wird dann beispielsweise mehr Propionsäure anstelle von Essigsäure produziert. Die Folge: mehr Fleisch- und weniger Fettansatz. Gesetzliche Höchstmengen für diese üblichen Futtermittelzusätze gibt es nicht.

Im Schlachtfleisch allerdings haben Antibiotika offiziell nichts zu suchen. Ulrich Wilhelm, Leiter des staatlichen bayerischen Veterinäramtes, leugnet sogar, daß Antibiotika überhaupt prophylaktisch eingesetzt werden. Der Freiburger Hygieniker Franz Daschner fand allerdings beim Untersuchen von 200 Stück Schweinefleisch dreimal Rückstände von Antibiotika — eine „Granatsauerei“, wie er sagt, bedenkt man, daß 50 Prozent der verfütterten Antibiotika vom Tier ohnehin ungenutzt ausgeschieden werden. Die Unmengen von Antibiotika, die so über das fäkale Abwasser in die Umwelt gelangen, sind auf lange Sicht die größte Gefahrenquelle für den Menschen: Die Antibiotika verändern für alle Bakterien die Resistenzlage.

Die „Stiftung Ökologischer Landbau“ und „Neuland“ protestieren seit Jahren gegen jegliche Antibiotika in Futtermitteln oder als Prophylaxe. Ihre Betriebe richten den Tierbestand nach den Dungmengen, die der Boden verwerten kann. Die Tiere haben Auslauf und Kontakt zueinander. Sie sind zwar nicht in 133 Tagen schlachtreif, doch ihr Fleisch bleibt von Streßhormonen verschont, die das Schnitzel bleich, weich und wässerig machen. Die Verbrauchen haben dann die Qual der Wahl.

Engelhard Böhncke, Landwirt und Veterinärmediziner an der Gesamtuniversität Kassel, fordert deshalb, „weniger Fleisch teurer zu bezahlen.“ Die sozialen Kosten durch Fehlernährung belaufen sich laut Ernährungsbericht der Bundesregierung jährlich auf vierzig Milliarden D-Mark. Böhncke schlägt vor: „Zwanzig Milliarden D-Mark könnten allein für eine Verbesserung der Tierhaltung verwendet werden.“ Dann hätte der Mißbrauch von Antibiotika ein Ende.

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