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„Kein Problem, am Golf auf Leute zu schießen“

■ Rekruten zur Verweigerung aufgerufen / „Beim Bund wirste eh nicht fürs Denken bezahlt“

„Wenn du in die Kaserne kommst, dann kannst'e dein Gehirn gleich an der Tür abgeben“, sagt der 20jährige Mark Schulze. Er ist einer der 1.100 jungen Rekruten, die gestern am Gleis 1 im Bremer Hauptbahnhof auf ihren „Abtransport“ in „Norddeutsche Standorte“ warteten. Ihre Zielkasernen stehen bei Goslar, Munster, Hamburg, Essen und Lüneburg. Dort werden sie in wenigen Tagen ihren Grundwehrdienst bei der Luftwaffe antreten.

Darüber, daß sie zu den Bundeswehreinheiten gehören könnten, die vielleicht in einem Golfkrieg eingesetzt werden, wollen sich die meisten von ihnen erst gar nicht den Kopf zerbrechen. „In der Bundeswehr wirst'e ja auch nicht für's Denken bezahlt“, lautet die Begründung von Mark. Außerdem glaubt er nicht, daß es zu einen Krieg kommen wird. Was er tun würde, wenn er plötzlich vor der Entscheidung stünde, an den Golf zu gehen oder zu desertieren? Er zögert. „Auf keinen Fall kneifen“, steht für ihn nach kurzem Nachdenken fest.

Auf die Appelle von Ludwig Baumann, der als engagierter Kriegsgegner bereits seit drei Jahren auf dem Bremer Hauptbahnhof junge Soldaten zum Verweigern des Kriegsdienstes aufruft, reagieren die „Rekruten“ gelassen. Einige von ihnen gucken verwundert, einige lachen über den „komischen Typ“ oder drehen sich einfach weg. Dennoch hält es der 69jährige für seine Pflicht, zur Fahnenflucht aufzurufen. Zwischen einer Handvoll zukünftiger Soldaten entwickelt sich schließlich eine angeregte Diskussion. „Ich habe es am eigenen Leib erfahren müssen, daß Soldaten immer wieder dazu eingesetzt werden, um fremde Länder zu zerstören. Laßt euch dazu nicht mißbrauchen“, ruft Baumann wiederholt den in Gruppen stehenden jungen Männern zu. „Wenn mein Engagement wenigstens dazu beiträgt, daß der eine oder andere doch einmal darüber nachdenkt“, erklärt er später, „dann wäre das nicht wenig.“

Ludwig Baumann weiß, wovon er spricht. 1942 stand er an der Front und begriff zum ersten Mal, was Krieg bedeutet. Baumann desertierte, wurde wenig später aber gestellt und zum Tode verurteilt. Zwei Jahre verbrachte er im KZ von Bordeau. Heute setzt er sich für die wenigen Deserteure ein, die das Grauen der Nazizeit überlebten und hält es für seine Pflicht aufzuklären: „Es wäre frustrierender, es nicht zu tun“.

Rekrut Ralf Rackow (23 Jahre) ist für solche „Friedensarbeit“ jedoch nicht zu haben. Für ihn ist klar: „Das Vaterland muß überall verteidigt werden“. Schon als sechsjähriger habe er Möven „runtergeschossen“ und auch später sei er mit Begeisterung auf die Jagd gegangen. „Für mich wär' das kein Problem, am Golf zu dienen und auf Leute zu schießen“. So groß sei der Unterschied ja nicht.

„Augen zu und durch“ ist die Devise von Stefan Vollmers (21 Jahre). Bis zu seiner Einberufung hat er in einem Flugzeug-Planungsbüro gearbeitet. Größere Sorgen als ein eventueller Golfeinsatz macht ihm seine berufliche Laufbahn. „Wenn ich vom Bund komme, haben die schon wieder ein neues MC-Programm, und ich blicke da nicht mehr durch.“ Um nicht selbst an den Golf zu müssen schlägt er vor: „Es gibt doch so viele Arbeitslose, die könnte man ja dann im Notfall einsetzen“. bz

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