Der Klüngel mischt immer mit

Auch Italiens Mandatsträger kuschen vor den potenten Hintermännern in Industrie und Medien  ■ Aus Rom Werner Raith

Oscar Mammi, seines Zeichens Postminister, zählt sich in Italiens Politikerwelt trotz seiner nur einssechzig Körperhöhe zu den ganz Großen: „Immerhin“, klopft er sich auf die Schulter, „ist mir gelungen, was wir seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten von Jahr zu Jahr verschoben haben.“ Die Superleistung ist das „Mediengesetz“, das seit einem halben Jahr in Kraft ist, und nun den Namen „Legge Mam Mia“ trägt. Eine Leistung, sicherlich, daß das Opus mit dem Ziel einer Regelung des Wildwestäthers über Italien durchgekommen ist. „Man darf es nur nicht mit dem vergleichen, was im ursprünglichen Entwurf drinnenstand“, wie Giovanni Goria, Exministerpräsident und Verfechter rigoroser Normen, stichelt: „Zu Anfang, ja, da war es fast ein Antitrustgesetz, jetzt ist es eher eine Festschreibung des Status quo — und nicht einmal das so richtig.“

Da hat er so unrecht nicht: Derjenige, dem das Gesetz vor allem galt, der Fernsehmogul Silvio Berlusconi, hatte die neue Vorschrift so lange hinauszuzögern verstanden, bis er flächendeckend die staatliche TV- Anstalt RAI an Werbespotvolumen und Einschaltquoten überrundet hatte. Als die ewigkuschenden Mandatsträger endlich glaubten, sie dürften ihm, da gesättigt, nun ein Gesetzlein zumuten, ging er mit einem Feuerwerk von Drohungen und halben und bald wieder zurückgenommenen Zugeständnissen auf die Volksvertreter los, ließ in seinen drei Kanälen süffisant auf „Europanormen“ hinweisen, die mit den italienischen Paragraphen wieder nicht zusammenstimmten, und forderte selbst am Ende sogar „ein Antitrustgesetz vor jeder Medienregelung“ (wissend, daß das einen neuen Anlauf von mindestens fünf Jahren brauchen würde): Als die Parlamentarier mit ihrem Mammi vornedran aufgrund des immer lauteren Volkszorns über so viel Einmischung sich aufrafften und das Gesetz dann, reichlich abgeschwächt sowieso, verabschiedeten, merkten sie nicht, daß alle Kreuz- und Querschüsse nur dazu gedient hatten, sie vom wichtigsten Aspekt überhaupt abzulenken, der Regelung von Satellitenkanälen. Die sind nun auch außen vor und Berlusconi kann zu seinen zugestandenen drei Kanälen noch ein Dutzend weitere aus dem Orbit funken lassen.

Fälle solcherart sind in Italien nicht selten, wenn auch meist weniger spektakulär: „Daß uns irgendwelche Klüngel ständig aufs Kreuz legen“, so der grüne Abgeordnete Gianni Mattioli, „haben wir schon bald zu spüren bekommen: Zum Beispiel Traten die Atomanlagenbetreiber Anfang der achtziger Jahre für ein recht scharfes Gesetz über die Atommüllbeseitigung ein; das galt als international erfreuliche große Ausnahme. Erst 1987 erkannten wir, daß die Liste der Abfalltypen von den Betreibern selbst erstellt wurde — und die ,vergaßen‘ zum Beispiel das gesamte abfallende Plutonium.“ So kam es zu einem schwunghaften Handel mit dem begehrten Bombenrohstoff — ohne daß die Firmen, wie Nukem und Alkem in der Bundesrepublik, riesige Schmiergelder bezahlen mußten.

Fremdbestimmung à la Berlusconi

So erscheint vielen die „Fremdbestimmung des Parlaments à la Berlusconi“ noch als die harmlosere: Sie ist sicht- und hörbar, wie etwa Einflußnahmen von Gewerkschaften, Industriellen oder der Kirche. Zieht die Regierung Entscheidungen zurück, lassen Parlamentarier ihre eigenen Anträge fallen, weil wilde Streiks gutbezahlter Flugkapitäne oder Börsenmanager ganze Wirtschaftssektoren lähmen, ordnen die Bürger das meist unter die altbekannte Schwäche ihrer Regierung ein und nicht als demokratieferne Entscheidungsmechanismen.

Viel schlimmer sind da „die Einflußnahmen unter der Hand, von denen man erst später, mitunter erst Jahrzehnte später hört“, so der linksunabhängige Abgeordnete Stefano Rodotá — eine Anspielung auf die zahlreichen dunklen Vorgänge rund um die Affäre „Gladio“: Da erfuhr man zum Beispiel, daß der durch Putschvorbereitungen aufgefallene General de Lorenzo auf direkte Intervention der US-Botschafterin Claire Boothe Luce, einer Freundin von CIA-Chef Allan Dulles, zum italienischen Geheimdienstchef ernannt worden war; daß der einstmalige Ministerpräsident Aldo Moro seine Regierungskoalitionen zeitweise von Geheimdienst- und Dunkelmännerzirkeln diktiert oder blockiert bekam; oder daß 1982, als Finanzminister Formica einige für illegale und speziell mafiose Geschäfte abträgliche Vorschriften eingebracht hatte, die Regierung Spadolini unter kräftiger Mithilfe sizilianischer Koalitionsabgeordneter gestürzt — und drei Wochen danach Mann für Mann wieder eingesetzt wurde: Nur eben das Kontrollgesetz war aus dem neuen Programm verschwunden.