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Der Dnjestr ist unser Aralsee...

Moldawien, einst eine „Kornkammer“, ist von Bodenerosion bedroht/ Katastrophale Folgen der realsozialistischen Zwangswirtschaft/ Ansätze ökologischer Politik/ Westliche Fehler als Warnung  ■ S. Harter und D. Holtbrügge

Daß in der frühen UdSSR, als einem der ersten Länder, Naturschutzgebiete eingerichtet wurden und Forschungen auf ökologischem Gebiet auf hohem Niveau standen, ist angesichts des gegenwärtigen ökologischen Desasters in der Sowjetunion kaum noch vorstellbar. Die Auswirkungen einer nur auf extensives Wachstum, das heißt auch auf der hemmungslosen Ausplünderung der Naturressourcen begründeten Wachstumsstrategie, sind mittlerweile in der Öffentlichkeit präsent. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die spektakulären Katastrophen wie das langsame Sterben des Aralsees, aber auch die verheerenden Folgen der sozialistischen Industrialisierung sind überall präsent. In Moldawien hat die Landwirtschaftspolitik in den letzten 60 Jahren dazu geführt, daß das ganze Territorium 1989 zum ökologischen Katastrophengebiet erklärt wurde, eine Maßnahme, von der man hofft, daß sie die Aufmerksamkeit des Westens und nachfolgend Hilfsmaßnahmen nach sich ziehen wird.

Fünftausend Jahre lang garantierte die Fruchtbarkeit der moldawischen Böden ausgezeichnete Ernten, heute ist die Bodenerosion, Folge der Vergiftung der Böden durch Pestizide, Nitrate, Schwermetalle und Nuklide, einzigartig in Europa. 30 Prozent des fruchtbaren Humus gingen in den letzten 50 Jahren verloren. Betrug der Humusgehalt des Bodens vor Errichtung des Kolchos- und Sowchossystems noch 5 Prozent, so liegt er heute bei 1,5 bis 2 Prozent. Ein weiteres, weithin sichtbares Zeichen der Zerstörung bildet der Fluß Dnejstr. Noch vor 50 Jahren ein schiffbarer Wasserweg von großer wirtschaftlicher Bedeutung, ist er heute auf der Höhe der Hauptstadt Kisinew zu einem schmalen Rinnsal verkümmert.

Über die Ursache der katastrophalen Situation ist man sich wie fast überall in der UdSSR auch in Moldowa einig. „Die koloniale Politik Moskaus“, so Professor Ion Dedju, „hat unsere Böden beinahe vollständig ruiniert.“ Professor Dedju ist Vorsitzender des Komitees für den Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen der Republik Moldowa, das am 28. Juli des vergangenen Jahres eingesetzt worden ist. Wie sonst nur in Litauen und der Ukraine ist dieses Komitee nicht dem Ministerrat, sondern direkt und ausschließlich den Deputierten des Obersten Sowjets Moldowas verantwortlich.

Professor Dedju ist seit 1987 Inhaber des Lehrstuhls für Umweltschutz an der Universität von Kisinew, der nach einer mehr als zehnjährigen Auseinandersetzung mit der Moskauer Zentralregierung vor drei Jahren errichtet worden ist. Zugleich ist er Vorsitzender der Umweltschutzbewegung Moldowas. Diese Bewegung existiert bereits seit über 30 Jahren und hat sich zum Ziel gesetzt, das Bewußtsein der Bevölkerung für ökologische Fragen zu schärfen. Gleichzeitig versteht sie sich als Sammelbecken aller ökologischen Kräfte des Landes, „denn nur permanenter Druck von unten“, so Professor Dedju, „kann die Regierung dazu veranlassen, ökologische Ziele angemessen in ihrer Politik zu berücksichtigen“.

Das Staatskomitee für Umweltschutz, dem Dedju vorsteht, hat sich zum Ziel gesetzt, die Qualität der natürlichen Ressourcen dauerhaft zu verbessern. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Komitees war deshalb die Ausarbeitung eines Gesetzes, das für die nächsten fünf Jahre die Abholzung jeglicher Baumbestände verbietet. Denn lediglich 5 Prozent der gesamten Fläche Moldowas sind noch bewaldet, als Norm sollten es dagegen mindestens 25 Prozent sein. Der Wald soll deshalb in Zukunft ausschließlich dem Schutz von Wasser, Boden und Luft sowie der Erholung dienen.

Daneben sollen vor allem die Entwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Verfahren zur Analyse und Beseitigung von Umweltschäden gefördert werden. 700 WissenschaftlerInnen sollen sich dieser Aufgabe widmen. Programme für die Berücksichtigung ökologischer Faktoren beim Umbau der nationalen Wirtschaft sind in Arbeit, denn nach so viel Jahren der Entbehrung besteht auf seiten der Bevölkerung zweifellos die Gefahr, daß auf den Schutz der Umwelt bei den jetzigen Reformen der Wirtschaft nicht genügend Wert gelegt wird. „Wir müssen jedoch versuchen“, so Dedju, „die Fehler des Westens, die dort gerade mühevoll wieder korrigiert werden, bei uns erst gar nicht zu machen.“ Der Aufbau von Kontakten zu Umweltgruppen gerade aus der Bundesrepublik wird deshalb ebenfalls als vorrangige Aufgabe betrachtet.

„Das ehrgeizige Ziel einer ökologisch ausgerichteten Reform“, betont Dedju, „läßt sich jedoch nur dann verwirklichen, wenn es gelingt, auch die Kenntnisse ökologischer Zusammenhänge in der Bevölkerung zu verbessern.“ Die in russischer und rumänischer Sprache herausgegebene Zeitschrift 'Priroda‘ (Umwelt) ist dazu der erste Schritt. Aber auch eine wöchentliche Fernsehsendung soll dazu beitragen, die Sensibilität der Bevölkerung für Umweltprobleme zu erhöhen. Und schließlich soll den Menschen wieder direkt vor Ort klargemacht werden, welches Erbe die Zentralverwaltungswirtschaft hinterlassen hat. „Global denken, vor Ort handeln“, könnte so auch zum Leitsatz der neuen Umweltpolitik Moldowas werden.

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