: Ostkirche plädiert für „Solidarität der Sünder“
Berlin (taz) — Aufgeschreckt von dem Gerücht, „die halbe evangelische Kirche“ der ehemaligen DDR werde aufgrund ihrer Verstrickungen mit der Staatssicherheit „schon bald auffliegen“, versucht sich die Kirchenführung in Vergangenheitsbewältigung. Doch was der Magdeburger Bischof Christoph Demke, Konsistorialpräsident Hans Martin Harder und Oberkirchenrat Martin Ziegler gestern in Berlin der Presse mitzuteilen hatten, hielt sich ganz im Rahmen bisheriger Einlassungen. Ein „Schuldbekenntnis“ jedenfalls wollte Bischof Demke nicht abgeben. Denn ein pauschales „Schuldbekenntnis ohne Schulderkenntnis“ werde zur bloßen Farce.
Konkrete Informationen über Stasi-Verstrickungen, die zu disziplinarischen Maßnahmen gegen Kirchenmitarbeiter, Entlassungen oder freiwilligen Kündigungen geführt hätten, liegen der Kirchenleitung bisher nicht vor. Auch gibt es nach Auskunft von Hans Martin Harder bislang keine Informationen, ob innerhalb der Kirche Staatssicherheitsoffiziere im besonderen Einsatz tätig waren. Der Konsistorialpräsident räumte ein, nach der statistischen Wahrscheinlichkeit seien wohl auch innerhalb der Kirche Stasi-Offiziere zum Einsatz gekommen. Sicherlich müsse man da in nächster Zeit mit neuen Erkenntnissen rechnen.
Harder wies darauf hin, daß — gerade angesichts des gesellschaftlichen und humanitären Engagements der evangelischen Kirche — der Kontakt zur Statssicherheit unvermeidbar gewesen sei. Wer wie die Kirche helfend in politische Strafrechtsfälle eingegriffen habe, „kam um die Stasi nicht herum“. Gerade oppositionelle BürgerInnen hätten innerhalb der Kirche Hilfe und Unterschlupf gefunden, und alle diesbezüglichen Verhandlungen mit den Staatsorganen hätten „immer auch Informationswert für den Staatssicherheitsdienst“ gehabt. Die Verwendung solcher Informationen sei in der Regel ohne Wissen und ohne Rücksicht auf die Betroffenen erfolgt. Leute, die nie für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet hätten, seien so als informelle Mitarbeiter geführt und sogar mit Decknamen versehen worden.
Demke erhob die Frage, welchen Schaden ein Stasi-Mitarbeiter angerichtet habe, zum entscheidenden Kriterium für die Aufarbeitung. Wer andere Menschen nachweislich geschädigt habe, müsse auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings, so Harder, käme in diesem Zusammenhang den Akten des Staatssichheitsdienstes nur „relative Beweiskraft“ zu. Zwingend sei immer die Auseinandersetzung mit den Beschuldigten. Derzeit, so Bischof Demke, würden die Akten der Staatssicherheit dazu benutzt, „uns, die Bürger der ehemaligen DDR, zu definieren“. Das jedoch bedeute, die Macht dieses Apparates in die Zukunft fortzuschreiben. Die derzeitige Enthüllungspraxis mit Hilfe von Stasi-Akten und -Mitarbeitern führe nicht zur Selbstreinigung, sondern heize die Spekulationen und Verdächtigungen nur weiter an. Demke empfahl die „Solidarität der Sünder“: „Wer von seinen eigenen Schwächen weiß, wird mit den Schwächen anderer behutsam umgehen.“
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