: Auch nur Sand in die Augen
■ 'Berliner Zeitung‘: Das weggemühlfenzelte DDR-Fernsehen wird totgeböhmt
Der Ex-'Spiegel‘-Chefredakteur und Talk-im-Turm- Master Erich Böhme, der inzwischen hauptberuflich als Herausgeber der 'Berliner Zeitung‘ im Dienst von Gruner + Jahr und dem britischen Großverleger Maxwell das ehemalige SED-Bezirksblatt auf liberalen Hauptstadtkurs bringen will, meint es gut mit seinen LeserInnen. Am 31. Dezember ließ er sich zu einer kämpferischen »Betrachtung zum Jahreswechsel« auf der Sahneseite 3 hinreißen, in dem der ansonsten eher einschläfernde SAT-Talker Böhme unter dem bekannten Slogan »Die Mauer muß weg« mit der westdeutschen »Neukolonialisierung des deutschen Ostens« ins Gericht geht. Da wird der Bundestag gegeißelt, da dessen West-Mehrheit keinem der Ost-Parlamentarier einen der fünf Präsidentensessel überließ und Kohl vorab für seine Kabinettsbildung gerügt. »Die pflegeleichte Frau Bergmann-Pohl und der alerte Herr Krause«, so Böhme, fungieren dabei nur als »Alibi-Träger«. Linker als liberal ist der neue Mann in der Ostberliner Karl- Liebknecht-Straße bei der Bewertung der durch die Hochschulen der neuen Bundesländer rollende Abwicklungswelle. »Warum aber sollen ganze Fakultäten dran glauben?« fragt Böhme sich und seine LeserInnen und schiebt die Antwort gleich hinterher: »Das muß (soll?) die Ossis diskriminieren und muß sie ins Abseits treiben.« Recht hat er, der gute Herr Böhme!
Auch die Medienlandschaft sieht der Anwalt der rechtlosen Ostler hoffnunglos entostet. Im Zuge der Neugliederung des ostdeutschen Rundfunks wurde, so Böhme, »beinah der gesamte Deutsche Fernsehfunk weggemühlfenzelt«. »Bis auf ein Regionalrelikt, einschließlich des Sandmännchens, mit dem den Kolonialdeutschen ein wenig Sand in die Augen geschüttelt wird.« Nicht mehr und nicht weniger wollte aber wohl auch nur Erich, der Böhme, mit seiner Silvester-Solidaritätserklärung. Denn die Redaktion des auflagenstärksten Blattes im Osten Berlins wurde seit dem Einstieg von Gruner + Jahr systematisch gewestet. Die Lokalredaktion wird vom ehemaligen 'Volksblatt‘-Redakteur Hartwick Maack geleitet, Rathaus- und Skandalberichterstattung sind ebenfalls den West-Federn überlassen. Zwar konnten auch die neuen Besitzer die vom einstigen Eigentümer der PDS durch ihren Chef Gysi ausgehandelte dreijährige Arbeitsplatzgarantie für Ost-Mitarbeiter postum nicht mehr kippen, doch wandelte man diese lästige Klausel inzwischen in eine Einkommensgarantie um. Nach dem Motto »Fressen ja, schreiben nein«, kann nun jeder ohne soziale Gewissenbisse aus der Redaktion gekantet werden. Ein Griff ins Archiv reicht bei jedem Altschreiber aus, um diesen Schritt ganz zeitgemäß »moralisch« zu legitimieren.
Aber egal ob West oder Ost, so lange die Leute so wacker wie Böhme für die Interessen ihrer Ex-DDR- LeserInnen streiten, könnte das den so Umsorgten egal sein. Donnerstag jedoch erhielten die Käufer der 'Berliner Zeitung‘ eine Beilage, die so gar nicht dem postulierten »Ost-Identitätsverständnis« der G+J Leute entspricht. Die 'Berliner Zeitung‘ verkauft ihren LeserInnen von nun an wöchentlich das 28seitige Fernsehmagazin 'rtv‘ als eigene Programmbeilage. Das im Nürnberger Supplement Verlag erstellte Produkt wird als 'rtv- Magazin‘ in einer Auflage von sechs Millionen gedruckt, wovon etwa 1,9 Millionen Stück in 34 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR herausgegebenen Blättern eingelegt werden. Das gute Stück finanziert sich hauptsächlich aus Werbeeinnahmen, kostet den Berliner Verlag ein paar Pfenige, keine Arbeit und läßt sich als Service-Leistung scheinbar günstig anpreisen. Scheinbar, denn schlimmer als Mühlfenzel mit dem DDR-Fernsehen gehen die Redakteure dieses Magazins mit den östlichen TV-Produktionen um. Zwar findet man die »Länderkette« neben allerlei Kabelprogrammen aufgelistet, doch wird im ganzen Heft keine Sendung aus den Ost- Studios durch eine Empfehlung gewürdigt. Und auch im redaktionellen Teil: kein Wort über Stars und Sternchen made in GDR. Allein im Werbeteil kämpft eine große Ostberliner Kosmetikfirma mit ihrer »neuen Florena Creme« um einen Rest DDR-Identität, ohne Konservierungsmittel versteht sich. André Meier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen