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Im Osten geht die Zeitungs-Sonne auf

Westverlage haben in der früheren DDR den Zeitungsmarkt unter sich aufgeteilt/ Aber noch ist das Rennen nicht dauerhaft entschieden/ Marktsieger sind bislang die Medienkonzerne Bauer sowie Gruner&Jahr/ Gut im Trend liegen die Regionalzeitungen — die überregionalen verzeichnen Verluste  ■ Von Thomas Hartmann

Nur ein Jahr nach dem Fall der Mauer hat sich die Tageszeitungslandschaft im Gebiet der ehemaligen DDR bereits völlig gewandelt. Schon äußerlich ist es ablesbar: Fast alle Tageszeitungen haben ihre graphische Gestaltung „geliftet“, sie sind jetzt voller Anzeigen und doppelt so dick wie früher. Bis vor einem Jahr konnte keine DDR-Druckerei Zeitungen mit mehr als 16 Seiten drucken; die meisten waren nur acht Seiten dünn. Doch nicht nur die Produkte, auch das Verhalten der Leser, berichten Journalisten, habe sich geändert: Zeitungen würden jetzt nicht mehr von hinten, vom Sport und den Kleinanzeigen her, sondern von vorne gelesen.

Eine Analyse des Ostzeitungsmarktes zeigt die strukturellen Veränderungen: Die überregionalen Zeitungen büßten zwei Drittel ihrer Auflage ein, dafür entwickelte sich eine Boulevardpresse, die es in der DDR mit Ausnahme der Ostberliner 'BZ am Abend‘ nicht gab. Überraschend stabil zeigen sich jedoch die alten Regionalzeitungen.

Die für die Zukunft wichtigste Veränderung hinter allem Sichtbaren besteht aber darin, daß nahezu alle Zeitungen sich mit Westverlagen zusammengetan haben: Die 'Leipziger Volkszeitung‘ zum Beispiel mit dem Madsack-Verlag aus Hannover, die 'Berliner Zeitung‘ mit Gruner & Jahr (und Maxwell), 'Der Morgen‘ mit Springer und die 'Thüringer Allgemeine‘ mit der 'Westdeutschen Allgemeinen Zeitung' ('WAZ‘) aus Essen.

Allein fünf Westverlage kontrollieren die Hälfte der Gesamtauflage

Die großen westdeutschen Zeitungsverlage sind bei 90 Prozent der Tageszeitungsauflage im Osten in irgendeiner Form beteiligt. Nur fünf Verlage — neben den Medienkonzernen Gruner & Jahr, Bauer und Springer sind das der Essener WAZ- Verlag und DuMont-Schauberg aus Köln ('Kölner Stadtanzeiger‘ und 'Express‘) — kontrollieren alleine im Augenblick die Hälfte der Gesamtauflage aller rund 70 Osttageszeitungen.

Zu etwa 50 Prozent sind dies die „alten“ Zeitungen, vor allem die großen Regionalzeitungen aus den 15 ehemaligen Bezirkshauptstädten. Noch sind nicht alle Beteiligungsverträge von der Treuhand-Anstalt abgesegnet, und das Kartellamt hat in zwei Fällen, über die noch gestritten wird, Bedenken angemeldet — doch die Claims sind abgesteckt. In nahezu allen Verlags- und in vielen Redaktionsleitungen der ehemaligen DDR-Zeitungen sitzen bereits die neuen Macher aus dem Westen, sei es als Chef, sei es als Lehrer und Helfer beim Aufbau eines Verlagsmanagements beziehungsweise der Umsetzung neuer journalistischer Konzepte. Und die beteiligten Westverlage investieren bereits kräftig: in den Vertrieb, in den Aufbau von Anzeigen- und Werbeabteilungen, in eine neue Redaktionstechnik. Fast alle großen Regionalzeitungen haben bereits auf computergesteuerte Satzsysteme umgestellt, Bleisatz ist weitgehend passé.

Darüber hinaus wurden rund 35 Tageszeitungen neu gegründet. Sie erreichen allerdings eine erheblich geringere Auflage als die bereits bekannten. Vor allem entlang der früheren Zonengrenze haben sich Regionalzeitungsverlage aus dem Westen in die angrenzenden Regionen im Osten ausgedehnt. Dort sind für zusätzliche Seiten eigene Lokalredaktionen aufgebaut worden, die nun Blätter wie den 'Vogtland-Anzeiger‘, die 'Thüringenpost‘, die 'Magdeburger Allgemeine‘ oder die 'Schweriner Nachrichten‘ herausgeben.

Nur drei von ehemals 35 regionalen und überregionalen DDR-Tageszeitungen erscheinen derzeit noch ohne Westbeteiligung: Das frühere SED-Zentralorgan 'Neue Deutschland‘ (jetzt PDS) mit einer Auflage von jetzt etwa 200.000 Exemplaren, die ehemalige Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ mit heute 155.000 Exemplaren und die frühere FDJ- Zeitung 'Junge Welt‘. Vor einem Jahr noch war sie die auflagenstärkste DDR-Zeitung mit rund 1,3 Millionen Exemplare. Heute werden nur noch 330.000 täglich verkauft.

Zunächst einige genauere Zahlen: Die Gesamtauflage aller Tageszeitungen in den fünf neuen Bundesländern ist auf 8,2 Millionen Exemplare gesunken. Im Vergleich zum Dezember 1989 bedeutet dies einen Schwund von rund 15 Prozent oder etwa 1,5 Millionen Exemplaren. Besonders gut haben sich die Regionalzeitungen bei ihren Lesern behaupten können. Ihre Auflage ist nur geringfügig, um etwa zehn Prozent gesunken. Die fünf Größten, die 'Sächsische Zeitung‘ aus Dresden, die 'Freie Presse‘ aus Chemnitz, die 'Leipziger Volkszeitung‘, die 'Mitteldeutsche Zeitung‘ aus Halle und die 'Volksstimme‘ aus Magdeburg, verkaufen alle 400.000 und mehr Exemplare täglich: Das erreichen in der alten Bundesrepublik nur zwei regionale Abonnementszeitungen.

Die 'Bild‘-Zeitung büßte ein Fünftel Auflage ein

Zwei Drittel weniger als noch vor einem Jahr verkaufen die früher „zentrale Zeitungen“ genannten Überregionalen. Doch die stärksten, die 'Junge Welt‘ und das 'Neue Deutschland‘, halten im Augenblick immerhin eine Auflage, die sie in der ganzen Bundesrepublik hinter 'FAZ‘ und 'Süddeutscher Zeitung‘ an Platz drei beziehungsweise fünf (Platz vier: die 'Welt‘) gleichauf mit der 'Frankfurter Rundschau‘ rangieren läßt.

Ausgeglichen wurde dieser Schwund vor allem durch die neu gegründeten Boulevardzeitungen. Vorher gab es nur in Ost-Berlin die 'BZ am Abend‘. Jetzt erscheinen sechs — genauso viel wie in der alten Bundesrepublik — mit einer Gesamtauflage von 1,5 Millionen Exemplaren täglich: neben dem 'Berliner Kurier am Abend‘ (früher 'BZ am Abend‘) die 'Wir in Leipzig‘, von einem pfiffigen Außenseiter als „erstes deutsch-deutsches Zeitungsprojekt“ bereits im Februar gestartet, und vor allem die Ostableger der westdeutschen 'Bild‘, der 'Hamburger Morgenpost‘ und des Kölner 'Express‘. Ein weiterer Konkurrent ist bereits angekündigt: das geplante Zeitungsprojekt von Burda und Murdoch. Doch die bauen erst die Druckerei.

Zwölf westdeutsche Verlage teilen sich 85 Prozent des regionalen und überregionalen Abonnementzeitungsmarktes und 95 Prozent der Boulevardzeitungsauflage. Hier ist der Springer-Verlag zwar wie im Westen derzeit Marktführer, aber „nur“ mit rund 63 Prozent. Im Westen hält er über 80 Prozent. Im Osten machen ihm starke Konkurrenten den Markt streitig: der Kölner Verlag DuMont- Schauberg und vor allem die Bertelsmann-Tochter Gruner&Jahr. Und beide kommen sich nicht gegenseitig ins Gehege: Der 'Neue Presse-Express‘ entfaltete sich in den letzten Monaten zielstrebig in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Leipzig, die Hamburger 'Morgenpost‘ in ihrem Nachbarland Mecklenburg und im bevölkerungsreichen Ost- und Mittelsachsen (Dresden und Chemnitz), wo Gruner & Jahr dabei ist, auch die wichtigste Druckerei zu erwerben.

Die Auflage der 'Bild‘-Zeitung ist seit dem Sommer, als die ersten Konkurrenzblätter auftauchten, um runde 200.000 Exemplare auf immerhin noch über 800.000 Exemplare täglich zurückgegangen. Wobei Schwankungen sicherlich auch an der wenig exakten Remissionsermittlung liegen könnten, mit der alle Zeitungen in den neuen Bundesländern zu kämpfen haben — Kioskzeitungen natürlich am stärksten.

Gewinner im Kampf um den Ex- DDR-Markt sind der Bauer-Verlag und Gruner & Jahr. Beide Verlage haben gleichzeitig ihren jahrelang gehegten Wunsch realisieren können, — abgesehen von der bisher nicht recht ernst genommenen 'Hamburger Morgenpost‘ —, ins Tageszeitungsgeschäft einzusteigen. Und das dann gleich richtig: Mit über einer Million Auflage, fast 16 Prozent aller Abonnementzeitungen, ist der Bauer-Verlag Marktführer in diesem Bereich. Er beteiligt sich gleich an vier der alten marktführenden Regionalzeitungen: in Magdeburg an der 'Volksstimme‘, in Frankfurt/Oder an der 'Märkischen Oderzeitung‘, an der 'Schweriner Volkszeitung‘ und am 'Nordkurier‘ in Neubrandenburg.

Selbst wenn bei der letztgenannten Beteiligung das Kartellamt mit seinen Bedenken noch einen Strich durch diese Rechnung machen sollte, würde das die marktbeherrschende Situation kaum ändern, auch dann wäre der Bauer-Verlag immer noch fast so stark wie der zweitstärkste Gruner & Jahr-Verlag.

Westmanager könnten schier verzweifeln

Mit nur zwei der auf dem Markt etablierten Regionalzeitungen, in Ost- Berlin und Dresden, erreicht die Bertelsmann-Tochter eine Auflage von über 900.000 Exemplaren und fast 14 Prozent Marktanteil. Und die sind ausbaufähig. Zunächst soll die 'Sächsische Zeitung‘ Dresdens ihrem Namen und ihrer Bedeutung als Zeitung am Sitz der neuen Landesregierung gerecht werden und in ganz Sachsen vertrieben werden.

Neben Gruner&Jahr und Bauer sind zehn weitere Westverlage mit zwischen einem und zehn Prozent an der Abonnementzeitungsauflage beteiligt (weitere 17 Verlage teilen sich zusammen weitere fünf Prozent). Angeführt wird diese Gruppe der zehn von der WAZ — sollte sich deren Beteiligung bei den 'Ostthüringer Nachrichten‘ gegen den Einspruch des Kartellamtes doch noch realisieren lassen. Dann erreichen die Ostkooperationen der WAZ eine Auflage von rund 650.000 Exemplaren mit einem Marktanteil von fast zehn Prozent.

Relativ gesehen waren andere Verlage erfolgreicher, die — wie der Süddeutsche Verlag, der Verlag „Lübecker Nachrichten“ oder die Madsack-Gruppe aus Hannover — ihre regionale Marktdominanz in die neuen Bundesländer ausdehnen oder sich mit der Beteiligung in einer der marktbeherrschenden Regionalzeitungen im Osten ein zweites Standbein zulegen konnten wie der 'Kölner Stadtanzeiger‘ (Verlag DuMont- Schauberg), die 'Rheinpfalz‘ aus Ludwigshafen, die 'Nordwest-Zeitung‘ aus Oldenburg oder die 'Saarbrücker Zeitung‘.

Der Springer-Verlag liegt im Kreis dieser zehn Verlage mit seinen 3,6 Prozent Marktanteil bei Abozeitungen an vorletzter Stelle. Seine Zeitungen: 'Der Morgen‘, verschiedene „Tageblatt“-Ausgaben in Thüringen und Sachsen, die 'Dresdner Neuesten Nachrichten‘ und die 'Norddeutsche Zeitung‘ erreichen zusammen nur eine Auflage von 240.000 Exemplaren. Das Schlußlicht bildet der FAZ-Verlag ('Neue Zeit‘, 'Der Neue Weg‘, 'Thüringer Tageblatt‘ und 'Der Demokrat‘). Beide Verlage haben auf die auch früher schon kleinen Zeitungen der Blockparteien gesetzt, vielleicht, weil alle anderen schon vergeben waren oder mit Springer nicht ins Geschäft kommen wollten.

Doch alle Westverlage sehen sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Alle sind sie umfangreich damit beschäftigt, ein professionelles Verlagsmanagement für ein aktives Marketing aufzubauen: Bisher gab es in den Ostzeitungen weder echte Vertriebs- noch Anzeigenabteilungen und auch keine Eigenwerbung. Beim Thema Zeitungsgrosso könnten die Westmanager verzweifeln: Es gibt viel zu wenig Verkaufsstellen und kaum geschultes Personal. Die Post, noch immer Hauptvertreiber der großen regionalen Abonnementzeitungen, ist mit dem neuen Remissionssystem völlig überfordert.

In den Redaktionen selbst hat die Zusammenarbeit von hochbezahlten Westchefs und Ex-DDR-Journalisten gerade erst begonnen. Der Arbeitsmarkt ist in heftiger Bewegung. Neue Redaktionen werden zusammengestellt, junge Redakteure suchen ihre Chance, die älterern treten oftmals in die zweite Reihe zurück. Dank der Westverlage verdienen Journalisten in den Printmedien derzeit mehr als im Rundfunk und Fernsehen (aber nur etwa ein Drittel ihrer Westkollegen). Während manche Ostredakteure Ängste vor den neuen Ansprüchen entwickeln, entdecken manche Westchefredakteure in den neuen Bundesländern DDR-spezifische Eigenheiten bei Sprache und Wahrnehmung. Die Treue der Ostleser gegenüber ihren Sprachmustern könnte manchem Westengagement noch größere Steine in den Weg legen als die Treuhand-Anstalt, die — wie erwähnt — noch nicht alle geplanten Beteiligungen abgesegnet hat. Noch ist der Kampf um den Zeitungsmarkt im Osten Deutschlands nicht entschieden.

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