Der Feuilletonismus als Gottesbeweis

■ Friedrich Luft, die Stimme der Berliner Theaterkritik, wurde gestern kirchlich verabschiedet

Friedenau. Gestern fuhr er endgültig heim, standesgemäß in einer großen amerikanischen Pullman-Karosse, wie es sich für einen gehört, der seit 1946 Rundfunk im gleichnamigen Sektor gemacht hat, für einen Berliner Mythos, der ohne Schutzmacht und Stacheldraht so nicht tätig geworden wäre. Die Begräbniszeremonie für Berlins populärsten Theaterkritiker Friedrich Luft, fand dort statt, wo der Mann einst auch seine erste Laufbahn als evangelischer Christ begonnen hatte. In der »Kirche zum guten Hirten« in Friedenau war er auch getauft und konfirmiert worden, unweit des »elterlichen Hauses«, wie dies der Trauerredner vom ebenfalls nicht weit entfernten RIAS ausdrückte.

Die Führer der großen Koalition, Diepgen und Momper und die Noch- Kultursenatorin Martiny erwiesen dem am Heiligen Morgen Verstorbenen die letzte Ehre, die Kirchenbänke waren mit Hunderten von Trauergästen gut gefüllt, nur die Empore bot noch Raum. Wer wollte, trug sich an vier samtbespannten Pulten vor der Kirche in die Kondolenzliste ein. Während der Trauerfeier waren der Rundfunkchor und das Orchester der Deutschen Oper zu hören, zum Abschluß sang die Trauergemeinde das Lieblingsweihnachtslied des Kritikers, »Herbei, oh Ihr Gläubigen«.

Pastor Schäfer mobilisierte die richtigen Bibelstellen: »Am Anfang war das Wort«, »Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns«, »Das Licht scheint in der Finsternis«. Nach dem dann die Fotografen das anfängliche Orgelspiel zur Übertönung des Klickens genutzt hatten, wandte sich als erster der stellvertretende Intendant des RIAS, Herbert Kundler an die trauernde Familie und die versammelten Kritiker-, Schaupieler-, Intendant-, Regisseur-, Hörer-, Leser- und LiehaberInnen.

Er zitierte ausführlich die Nachrufe, »Wertschätzung der eigenen Zunft« aus 'Süddeutsche‘, 'Spiegel‘, 'FAZ‘. Lobte Luft, der »wie wohl keiner seit Fontane Herz und Verstand der Berliner bewegt« habe, mit seinen »sachlich-enthusiastischen« Kritiken, seiner »phantastischen Sprache«. Nahezu 45 Jahre habe er sein »sauberes Handwerk« ausgeübt, einer »redlichen Sache« gedient. Der »Theatersüchtige« aus »deutschnationalem Elternhaus« habe unter den Nazis »die Schmierentöne der Demagogie erkannt«, sei »standhafter Intellektueller geblieben« und habe die Zeit unter anderem auch »mit dem Schreiben von Lehrfilmdrehbüchern für den richtigen Gebrauch von Gasmasken« überstanden: »Ohne große innere Anfechtungen.« Kundler hob hervor, daß Luft nach dem Krieg die EmigrantInnen wieder heimisch gemacht habe. Gesamtnote: eine »singuläre Lebensleistung«.

So sehr sich auch die noch folgenden Redner mühten, den Menschen hinterm Mythos zu würdigen, es wollte nicht klappen. Erst recht nicht bei dem Trauerredner aus Lufts »journalistischer Heimstatt«, dem Axel-Springer-Verlag. Kollege Klaus Geitel griff gleich zum Hyperlativ. »Schon vor vierzig Jahren«, als Geitel bei Luft in die Lehre gegangen sein wollte, sei dieser »eine Denkmalsfigur« gewesen. »Er kam schrieb, sprach und siegte«, führte »einen Siegeszug über das deutsche Theater wie später nur noch Peter Stein«, die »kolossale Figur« hatte sich »in der kurzen Zeit eines Fingerschnippens etabliert«, schmetterte Blitzkrieger General Geitel ins Kirchenschiff. Weiter ging es mit »purem Fleiß«, der »Prägekraft« des Luft'schen Worts, seiner »Objektivität und Unbestechlichkeit«. Luft, das sei »menschlicher Anstand von gutem Geist durchlüftet« gewesen, ein »kritischer Gentleman« oder besser noch auf Französisch ein »honet homme«. Gesamtnote: »unersetzlich«. Auch Pastor Schäfer legte nun stramm lutherisch nach: »Leben voller Arbeit« und »Arbeit voller Leben«, nicht ohne ohne »Freude am Leben« und »Freude an Arbeit«, die Luft, ganz Rundfunkmann, auch auf andere ausstrahlte. Deswegen sei Luft für ihn ein »Zeichen der Freundlichkeit und Liebe Gottes«. Und wer hat das alles erst möglich gemacht: Ehefrau Heidi, zu der Friedrich »in 49jähriger Ehe treu gehalten hat«, Ehefrau Heidi, die »einzigartige Ergänzung«. Hans-Hermann Kotte