: Maßnahmen gegen die Friedensbewegung
■ Lettische Journalistin bedroht
Die dreißigjährige Anita Eversone wird mit Geldstrafen, Gericht und Verleumdungsklagen bedroht. Weshalb? Aufgrund ihrer Beteiligung an den Massenprotesten gegen ein militärisches Bombenabwurf-Trainingsgelände der Roten Armee nahe der lettischen Stadt Saldus.
Seit mehr als einem Jahr protestieren Umweltschutz- und Friedensgruppen gegen die militärische Nutzung des Geländes. Das Bombenabwurfgebiet: ein historischer Friedhof, mehrere Kirchen und einige verlassene Bauernhöfe. Der Protest richtet sich auch gegen zahllose Unfälle, bei denen Munition über bewohntem Gebiet verloren wurde und explodierte; der Lärm der niedrigfliegenden Flugzeuge und der explodierenden Bomben sind ein weiterer Stein des Anstoßes.
In einem Telefoninterview mit Index on Censorship sagte die Journalistin, derzeit Präsidentin der Saldus- Gruppe der nationalen Umweltschutzorganisation VAK, daß der Kommandant der Bomberstaffel von Zvarde, Oberst Iwan Puschnoi, seine Drohungen und Verfolgungen besonders gegen ihre Person gerichtet habe. Die Verfolgungen begannen, nachdem Anita Eversone zusammen mit anderen VAK-Aktivisten das Bombengebiet im Juli 1989 betreten und am Ort des ehemaligen Friedhofs ein Kreuz errichtet hatte. Der Journalistin zufolge sind kaum noch Spuren des Gräberfeldes, das bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges für Beerdigungen zur Verfügung stand, vorhanden. Die VAK-Aktivisten hatten einige Wachposten des Bombenabwurfgebietes überreden können, sie einzulassen, um zwei der derelikten Kirchen zu reparieren.
Eine der grotesken Ironien der Situation besteht darin, daß elf junge Kommunisten, die in den ersten Tagen des deutschen Einmarsches erschossen wurden, auf dem alten Friedhof dieses Geländes begraben sind. „An dem Ort, wo diese jungen Männer erschossen wurden, steht ein großes sowjetisches Ehrenmal; zum Jahrestag finden sich dort die Truppen der Gegend zu einer feierlichen Kranzniederlegung ein... Dieselben Leute, die vielleicht gerade von einem Einsatz zurückkommen, bei dem sie die Knochen dieser Opfer bombardiert haben, stehen dann vor dem Ehrenmal und salutieren ihnen.“
Nach der Aufstellung der Kreuze, sagt die Journalistin, fingen die Gegenmaßnahmen an. Die Aktivisten hatten auch einige Bäume gefällt, deren Wurzel- und Astwerk die Kirchenmauern zerstörten. Oberst Puschnoi beschuldigte daraufhin sie persönlich, für die Zerstörung der Bäume, deren Wert er auf 2.000 Rubel festlegte, verantwortlich zu sein. Er forderte von ihr die Zahlung dieses Betrages, der etwa der durchschnittlichen Höhe eines Jahresgehaltes in Lettland entspricht. Als man im Oktober mit Protesten und Aktionen gegen den Bombenübungsplatz fortfuhr, ließ Oberst Puschnoi persönlich unterzeichnete Flugblätter auf Lettisch und Russisch verteilen, auf denen er feststellte, die Aktivisten täten besser daran, Denkmäler von Lenin und anderen kommunistischen Helden zu putzen, als gegen seinen Übungsplatz zu demonstrieren.
Mit diesen Flugblättern wurden vor allem auch Stände und Schaufenster der VAK und der Nationalen Unabhängigkeitsbewegung Lettlands zugeklebt. Nachdem die Journalistin bei den Stadtbehörden dagegen protestiert hatte, wurde Oberst Puschnoi zu einer Ordnungsstrafe von 30 Rubeln verurteilt. Er hat gegen dieses Urteil bereits Revision eingelegt. Außerdem bedroht er Anita Eversone mit einer Verleumdungsklage, da sie eine satirische Geschichte seiner Verwaltungsstrafe im Wochenblatt 'ELPA‘ der Umweltschutzorganisation und in lokalen Blättern veröffentlichte. Der Oberst protestierte ebenfalls gegen einen von Eversone publizierten Artikel, in dem sie über die Verletzung einer Frau durch eine Feuerwerksrakete der Militärs aus Anlaß der jährlichen Revolutionsfeier berichtet hatte. Diese von einem Soldaten abgebrannte Feuerwerksrakete traf nur deshalb nicht das zwei Monate alte Baby der Frau, weil sich die Mutter über die Wiege des Kindes geworfen hatte.
In unserem Interview sagte Anita Eversone, sie werde auch mit einem Gerichtsverfahren bedroht, weil sie an einem Protestmarsch der Lettischen Volksfront zum Unabhängigkeitstag Lettlands teilnahm. Ihren Aussagen zufolge entwickelte sich die Aktion, die ursprünglich als Einkreisung des Geländes geplant war, zu einer Protestversammlung vor einem der Tore; dabei hätten einige die Zufahrtsstraße aufgerissen und einen Telefonmast abgesägt. Das passierte vier Tage nach der Aufforderung des lettischen Parlaments an die Kommunalbehörden der Republik, unter anderem auch die Dienstleistungen und Zufahrtswege der sowjetischen Militärbasen in Lettland einzustellen bzw. zu blockieren, damit Moskau zu Verhandlungen über den Status der sowjetischen Streitkräfte in Lettland gezwungen sei.
Anita Eversone schilderte auch den folgenden Vorfall: Unbekannte Militärs luden sie ein, zu ihnen in das Auto zu steigen und zur Basis zu fahren „für ein Gespräch über Umweltschutzfragen“. Sie weigerte sich jedoch und hörte wenig später von Freunden, daß die freundlichen Offiziere nicht von der regionalen Militärbasis stammten, sondern von einer weiter entfernten, die gleichzeitig auch Sitz des Militärgerichts und des militärischen Geheimdienstes ist.
Anita Eversone ist unverheiratet und hat zwei Kinder. Sie sagte, Militärs hätten ihr gegenüber auch finstere Andeutungen über die „Bedrohung ihrer Kinder“ gemacht. Juris Kaza, Stockholm
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