: Füürpüüsters forever
■ Max Frisch plattdütsch im Ernst-Waldau-Theater: „Biedermann un de Füürpüüsters“
“Was lernen wir aus Biedermann und die Brandstifter?“ fragte in den frühen 60er Jahren am Gymnasium Ernestinum zu Rinteln (und sicher nicht nur dort) beispielsweise der Studienrat Siegfried S. sein desinteressiertes Publikum. Die Antwort gab er überschnappend-triefsinnig selber: „Wachsamkeit ist erste Bürgerpflicht vor Ostermarschierern und anderen Kommunisten.“
Autor Max Frisch distanzierte sich zwar von derlei Deutungen, hatte aber wohl seinen Tribut an gängige Totalitarismustheorien in seinem „Lehrstück ohne Lehre“ geleistet.
Um den Deutsch-Unterricht auch in den späten 6Oer Jahren noch angemessen mit der Parabel made in Swiss bedienen zu können, deuteten die Landesbühnen dann für die Kundschaft in Vechta, Nienburg und Hannoversch-Münden mit ihren Inszenierungen auf die Faszination, die das SA-Proletentum auf das bürgerliche Mitläufertum ausübte.
Genau diese flexible Mehrdeutigkeit sichert dem Stück wohl immer wieder ein warmes Plätzchen zum Überleben in den Spielplänen: Die Container dieses dialektischen Güterzugs können mit mancherlei befrachtet werden, was gerade auf den Markt leichtverderblicher Meinungen und Ideen gerollt werden soll.
Das Ernst Waldau-Theater hat nun von Berni Kelb eine plattdeutsche Übersetzung des modernen Klassikers machen lassen. Im Ergebnis kann diese zwar die Unentschiedenheiten des Originals nicht aufheben (wie denn auch?), aber immerhin hat die niederdeutsche Fassung eine eigenständige Verfremdung.
Während der Handlungsstrang im Biedermanns-Haushalt op Platt bis zum feurigen Finale vorangetrieben wird, macht das getragene Hochdeutsch des Chors dessen Lehrsätze zur distanzierten Aussage einer Instanz von eherner Gültigkeit. Nachvollziehbar wird in dieser Polarität die Fruchtlosigkeit logischer Ansprache gegenüber Schwülstigkeit und Hoffnungsmief der Biedermannswelt.
Regisseur Frank Jungermann läßt seine Akteure allerdings im geschichtslosen Raum werkeln, der auch durch das schlußendliche Anspielen der Nationalhymne nicht näher bestimmt wird. Mit gebremstem Schwung setzt Klaus-Dieter Stenzel seinen massigen Volkstheater-Body als pyromaner Ex-Ringer ein.
Den weltgewandten Füürpüüster-Kumpan Eisenring gibt Klaus Nowicki im schwarzen Kellnerfrack mit diabolischer Eleganz. Wolfgang Klemet und Dorothea Dröge als Ehepaar Biedermann schaffen erst nach der Pause den Sprung aus dem Stereotyp in ihre Rolle. Heidi Jürgens als augenweidiges Hausmädchen bedient die auf Lustspielkomik abonnierten Zuschauer und Rolf Stueven als Chorführer trifft das Pathos, das sein Chor allzu jugendstimmlich verfehlt.
Die Gediegenheit der biedermännischen Wohnwelt setzt Bühnenbildner Roland Wehner ebenso um wie die Düsternis des Dachbodens als Hauptquartier der Füürpüüster.
Am liebsten klauen aber möchte man die groteske Maskenkonstruktion, die Ulrich Wolff für den Chor geschaffen hat. Das Premierenpublikum im Waller Volkstheater applaudierte verhaltener als sonst, doch ist das in diesem Haus durchaus Beleg für Betroffenheit.
Ulrich Reineking-Drügemöller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen