: Als das Wünschen noch geholfen hat
■ Mein kleines Vorkriegs-Tagebuch 1. Folge
Noch nie war die Gelegenheit so günstig, nachher nicht sagen zu müssen, daß man vorher nichts gewußt habe. Für den 15. Januar ist er bestellt. Und alle arbeiten mit am Krieg. Die mediale Aufrüstung läuft. Wir rüsten ab und begleiten den Countdown ab heute mit den Tagebuchaufzeichnungen.
Von Christel Ehlert-Weber
1. Januar: Vorsatz fürs neue Jahr: Mein Hund soll nie hungern! Täglicher Verbrauch: eine halbe Büchse. Wenn er nicht überfahren wird, lebt er noch rund drei Jahre. Macht 447,5 Büchsen. Plus 390 Kilo Trockenfutterbeimischung. Ziemliche Menge. Von Klaus den Kleintransporter für die Metro leihen. Irgendwie muß man sich ja vorbereiten.
Natürlich ist das keine Lösung. Aber gar nichts tun geht auch nicht. Es ist wahnsinnig! Beim Vorkrieg dabei, bei vollem Bewußtsein, aber gelähmt von der Mobilmachung. Deswegen hier mein kleines Vorkriegstagebuch. Querbeet, alles aufschreiben, was mir in die Ohren und Augen kommt.
Zum Beispiel das: »Die klimatischen Bedingungen für einen neuen Krieg sind in diesen Wochen so günstig wie sonst kaum.« Das schreibt die 'Frankfurter Rüstungszeitung‘ einfach so hin. Wie die 'Bauernzeitung‘ bei der Ernteplanung. Nur daß diesmal andere Köpfe geerntet werden und der Countdown läuft.
Gestern auf der Silvesterfete: 4, 3, 2, 1, Prost 1991. »Happy New Kriegs-Year«, brüllte jemand, der's nicht abwarten kann; und »peng« knallen die Sektkorken. Dann Raketen, Böller, Kanonenschläge. Wie gesagt: »Prost Neujahr!« Heute beginnt mein Runterzählen zum 15. Janaur. Morgen ist der 14., übermorgen der 13.
Jahresrückschau geguckt. Das sind Bilder! Sandwüste, ein riesiges Tarnnetz in Pyramidenform, drumherum amerikanische Soldaten. Die Fernsehstimme erklärt: Unter dem Netz befinden sich die Weihnachtsbäume der Truppe; die Saudis haben das offene Zurschaustellen christlicher Symbole verboten. Hier in Berlin beginnt jetzt das Ausmustern der Christbäume. Nach altem Brauch wirft man die nutzlos gewordenen Dinger einfach auf die Straße.
»Komisches Gefühl, ins neue Jahr zu gehen und damit rechnen, daß es einen fürchterlichen Krieg geben wird«, sagte Thomas gestern. Und weiter: »Irre Welt. Früher sind wir auf die Straße gegangen, haben informiert und demonstriert. Weil keiner glauben wollte, daß die USA in Vietman wirklich einen Krieg führen. Daß sie ihn auf Laos und Kambodscha ausweiten.« Recht hat er. »Heute müssen wir nicht auf die Straße, um Geheimnisse zu lüften. Heute bringen die Medien alles. Hyperreal. Du bist mittendrin: mit Prinz Abdul Aziz im vordersten Kampfwagen durchs Wüstenmanöver, und du riechst wahrhaftig den Achselschweiß. Oder ist das ein Werbespot — für Freizeitjeeps? Wahr oder wirklich oder was?«
Immer noch 1. Januar: Erste Kriegsopfer in den USA. 90 Menschen bei Kältewelle erfroren. Wir brauchen das Öl.
Es soll schon Wettkassen geben: Krieg oder nicht Krieg? Ihren Einsatz bitte! Und ich hab' einen echten Fernsehmann kennengelernt. Der erzählte vom Weihnachtsbesuch bei seinen Eltern. Die fragen ihn: »Und, Junge, gibt es Krieg?« Was soll er dazu sagen? Nur weil er beim Fernsehen ist, weiß er auch nicht mehr. Obwohl — genau betrachtet, sagt er, sitzen wir Medienleute mit im Generalstab. Also — ein US-General sagt: »Die Streitkräfte sind am 15. Januar noch gar nicht einsatzbereit.« Früher wäre der standrechtlich erschossen worden. Heute setzt die amerikanische Presse diese Meldung weltweit in Umlauf. Und der General und sein PR-Mann werden belobigt. Nicht mit den Panzer- und Raketenmengen wird zum Krieg gerüstet, sondern mit Nachrichten. Schlachtpläne sind Zeitpläne. Helmut erzählt, ihn ruft seit Tagen schon so ein Börsenjuppy an, ob er nicht ins Termingeschäft einsteigen will. Öl ist jetzt bombensicher, sagt er.
Und dazwischen Elke. Die fragt mich vorgestern, ob Kosmetika eigentlich aus Erdöl gemacht werden. Aber sie stehe ja zum Glück auf Naturprodukte.
Im Grunde können wir alle mitreden, vor und hinter dem Bildschirm: Alle sind Sachverständige im Glaubenskrieg: Umweltkatastrophe durch brennende Ölquellen... Weltwirtschaftslage... Benzinpreise... Giftgas... Waffenhandel... rechnerische 100.000 Tote (Zivilisten)... sind wir überhaupt einsatzbereit? Was die Medien erbrechen, fressen die Konsumenten, käuen es wieder und sauen den Erdball voll. Selffulfilling prophecy. Wenn das Wünschen wieder hilft.
Sagt gestern der Typ aus der Werbung, der so gut drauf ist: »Heute ist Wüstenrot-Tag«. Da haben die Launemacher sich wohl um ein paar Tage vertan. Prost, auf die blutrote Wüste!
2. Januar: Heute erstes aktuelles Medienkriegsopfer im Bekanntenkreis. Michael, eher unauffälliger Typ, will in die Wüste. Hat auch diesen Fernsehbericht gesehen: International besetztes Gulf Peace Team bezieht Quartier vor der vordersten irakischen Panzerspitze dicht an der saudischen Grenze. Gisas Kommentar, während der Fernseher läuft: »Ich weiß, daß man das nicht sagen darf, aber wie diese Friedensleute in die Kamera gucken, sehen sie alle ein bißchen debil aus. Man muß offenbar verrückt sein, um normal zu handeln. Sag mal«, will sie dann wissen, »hättest du den Mut, da mitzumachen?«
Das läßt mir keine Ruhe. Sind die Peaceniks narzistisch, paranoid oder masochistisch? »Haben Sie nicht Angst, mit Ihrer Friedensmission mißbraucht zu werden?« fragte der Reporter. »Für welche?«, hätte ich zurückgefragt.
Gestern die 89jährige Marlene Dietrich gehört. Auf welcher Seite würde sie wohl ihre Truppenbetreuungslieder singen?
Der Papst ist natürlich für Jesus und will wieder auf Missionsreise. Wojtila mit verstärkten Reifen im Papstmobil durch die Wüste. Gott persönlich im Einsatz gegen den Satan. Welch eine Fata Morgana! Das ist Apokalypse im Cinemaskope. Titel: Einer kam durch — ein moderner Gottesbeweis.
El Salvador, Peru, Somalia, Mosambik, Niger, Mali, Mauretanien, Sri Lanka, Burma, Kaschmir, Afghanistan usw. usw. Überall ist Krieg der Normalfall. Jetzt wartet alle Welt auf diesen Normalfall im Nahen Osten. Wo nicht Krieg ist, soll Krieg werden! Thomas sagt: »Es ist wie mit dem Krebs. Im Einzelfall schrecklich. Wenn ihn aber erst alle haben, ist er keine Krankheit mehr.«
Im Supermarkt gewesen. Im Kerzenregal nur noch Teelichte. Ist das schon Kriegsvorsorge oder noch Nachweihnachtsleere?
Selbst das ganz Viel an Kriegsvorbereitung scheint vielen nicht genug. Heute drei Radiomoderatoren über die zurückliegende Feiertagsphase wörtlich: »Endlich ist die Saure-Gurken-Zeit vorbei!« — Tote in spe verschleißen sich schnell.
3. Januar: Mein Tankwart sagt, noch keine Benzinhamsterkäufe. Sei ja auch strafbar, wegen der Explosionsgefahr. Bei der letzten Ölkrise 1973 hab' ich eine Münztankstelle entdeckt, wo man ohne Geld zapfen konnte. Wir hatten dann wochenlang 200 Liter Benzin im Garten lagern.
Mein Nachbar, Volkswirtschaftler, redet mit allen Nichtvolkswirtschaftlern so, als wären sie von sehr auswärts. Sein Profiblick auf das globale Dominospiel: »Weil der amerikanische Staat total verschuldet und kurz vorm Kollaps ist, riskiert er den Krieg. An dessen Ende steht die gewaltigste aller Weltwirtschaftskrisen. Und nun müssen Sie sich das vorstellen, als ob die USA eine neue Religion verkünden würden. Keiner glaubt mehr an die alte Währung. Alle Kredite der Welt, alles Ersparte der Welt und alle Schulden der ganzen Welt gelten nicht mehr. Ab jetzt wird mit Knöpfen bezahlt. Und die Amerikaner sind die Hohepriester der neuen Spielregeln von Verlust und Gewinn, denn sie haben das Öl. 3.000 Milliarden Mark private Ersparnisse lagen zum Beispiel Ende 1990 in den alten Bundesländern. Die sind dann null, einfach futsch. Von wegen, der Irak ist weit weg.«
Statt Sozialhansel Blüm mit der Ex-DDR zu erpressen, könnte die Pharmamafia sich doch lieber um gute Plätze auf den internationalen Lazarettschiffen bemühen. Sähe moralischer aus. Und bezahlt macht es sich allemal.
Werbetext eines Geldanlageberaters: »Stellen Sie sich vor, es kracht (an der Börse) und Sie sind nicht dabei!«
»Deutsche Jäger in der Türkei«. Hört sich hübsch an: die Förster machen einen Betriebsausflug. Dazu Ralf Rakow (Gefreiter): »Das Vaterland muß überall verteidigt werden.« Öffentliche Diskussion über deutsches Jagdbombengeschwader als Teil der mobilen NATO-Eingreiftruppe: Nicht 500.000 Menschen rufen auf der Straße: »Wir wollen keinen Krieg!« — sondern Rechtsfragenerörterungen. Nach Kriegsende wird das Bundesverfassungsgericht wohl entschieden haben — ob denn alles rechtens war.
Freue mich schon auf Christians Rückkehr von den Malediven.
Eben ruft Katrin an. Hat Forschungsstipendium für Israel bekommen: deutsch-jüdische Emigrantinnen fotografieren. Jetzt traut sie sich nicht hin.
4. Januar: Heute morgen ist wieder Strom da. Komme gestern abend nach Hause. Knipse das Licht an — wie selbstverständlich. Klappt auch. Dann mit einem Schlag Dunkelheit. Gegenüber auch. Weiß nicht, wo Christian die Kerzen hingetan hat. Sitze also mehr als eine Stunde im Dunkeln. Zeit zum Grübeln. Hussein hat mit weltweiten Terroranschlägen gedroht. Könnte also theoretisch Anschlag auf Elektrizitätswerk... um Bevölkerung klarzumachen... Wer macht wem was klar? Haben die Araber das Elektrizitätswerk in die Luft gesprengt oder der CIA? Wollen die Irakis zeigen, was passiert, wenn es zum Krieg kommt? Oder die USA, was passiert, wenn es nicht zum Krieg kommt? Wer entführt das nächste Flugzeug? Die Kriegserpresser oder die Kriegsverhinderer? Mir fällt Bismarck und seine Emser Depesche ein. Muß mal abschalten und an was anderes denken. Also Ernst besucht, der guckt gerade seine alten Fußball-Videos. Deutschland/England, mit Uwe Seeler, sagt er. Fußballer dürfen ja Tage vor Entscheidungspartien keinen Sex mehr haben. Die GIs in Vietnam dagegen wurden in Hundertschaften nach Bangkok zum Vögeln geflogen. Welches Spiel ist also wichtiger: das, bei dem Frauen notwendig sind oder das mit Frauenverbot?
Flexible amerikanische Terminpolitik. Baker will ab Dienstag auf den irakischen Außenminister in der Schweiz warten. Anrührendes Bild: Baker sitzt im Konferenzzimmer und guckt, ob die Tür aufgeht... Hoffentlich kommt er.
Ich komme von den Abfalltüten nicht los. Was für ein Wort: »Leichensäcke« für die, die noch am Leben sind. Die werden vorsorglich in die Wüste geflogen, lese ich. Wegen der Seuchengefahr. Davon nichts im Fernsehen. 100.000 Leichensäcke kann man da schlecht zeigen.
Börsentendenz immer noch lustlos, wegen... jaja. Ob ich doch lieber mein Geld von der Bank hole?
5. Januar: Nur noch 11 Tage bis zum Ultimatum. Inge erzählt, daß sie jetzt gucken läßt. Ihr Videogerät zeichnet alle Tagesschausendungen auf. Die sieht sie sich dann erst im Februar an. Trotzdem gereizt. Vielleicht hat sie sich nur zuviel arabische Musik reingezogen. Behauptet, seit Tagen nichts anderes als Muezzin-Gesänge zu hören.
Spannungsabfall: Irakischer Außenminister will Baker am Mittwoch in Genf treffen. Bin gespannt, wie Medien die Sapnnung wieder hochfahren werden. Vorhin noch: »Krise spitzt sich zu«, jetzt: spitzt sich auf, oder ab, oder weg, oder was?
Sonja erzählt von Talk-Show am Freitag: Hasso von Blücher, der aus der Kriegerfamilie, trat mit seinem Zivilschutzanzug gegen Giftgas an. »Sar-á-Toga« heißt das Ding. (Sar = Gewebeart, Toga = römisches Gewand). Werbeslogan für sein Produkt: »Schützen ohne schwitzen«. Also höchst aktuell. Die SFB-Moderatorin mit dem Markenzeichen: Was mir vor die Schnauze kommt, wird niedergemacht. Fragt den adligen Umwelt- und Zivilschutzfabrikanten blödsinnig frontal: »Nun wird man Ihr Schutzprodukt ja auch militärisch verwenden — Sie verdienen also am Krieg.« Blücher verweigert geforderte Selbstverteidigungstiraden; statt dessen trocken: »... ja, ist derzeit unser größter Auftrag.« Moderatorin will dadurch retten, daß der Blücher sich entblödet und selbst in die Schutz-Toga steigt. Der aber, traditionsbedingt souverän: »Nach Ihnen«. Zum Schluß hat sich die Juliane B. selber kompromittiert und tatsächlich in die Montur gestopft. Ihr schnoddriger Verweis, sie habe eben keine weiblichen GI-Maße, war die Krönung, sagt Sonja. Das ist das Bild: die Medienrepräsentantin im Kampfanzug.
Christian ist wieder zurück. Geht ihm besser. Aber immer noch sein Leiden an der unerträglich informierten Gesellschaft. Hat neben einem klugen Menschen im Flugzeug gesessen. Beide fanden das zwangshafte Gequatsche über die politische Lage unattraktiv. Wenig später hätte der Nebenmann ihm aber doch erklären wollen, warum die Israelis die einzigen seien, die ein Interesse an diesem Krieg hätten. Christian nennt das die Verfriseurung der Gesellschaft. Jeder Arsch hat seine eigene Meinung.
Da hat man immer gelesen, der moderne Krieg sei eine abstrakte Angelegenheit von Knopfdruck und Sekunden. Und dann beschreibt so ein Wirtschaftsblatt mit Sinn für knallharte Fakten den anstehenden Krieg als regelrecht mittelalterliches Szenario: Bagdad ist die Ritterburg; drumherum drei Todesgürtel gegen die Feine. Erst Stacheldraht. Dann ein Ölgraben als Fegefeuer. Und schließlich als äußerster Ring eine hohe Sanddüne. Fehlt nur noch das Pech, das über die Zinnen gegossen wird.
Die meisten Amerikaner, die ich kenne, sind relativ ängstliche Menschen. Bei der geringsten Schwierigkeit nehmen sie sich einen Anwalt. Und dieselben Leute... kapier ich nicht.
6. Januar: Wieder nicht im Lotto gewonnen. Wenigstens einmal könnte es doch klappen! Obwohl, die statistische Wahrscheinlichkeit besagt... aber wenn man an die Statistik glaubt, schafft man es nie. Die Chance für einen amerikanischen Soldaten, den Golfkrieg als Toter zu beenden, ist ungleich größer als meine für einen Lotto-Volltreffer. Aber sein Einsatz ist ja auch größer. Man muß halt was riskieren.
Jörn und Silke sagen Einladung zum Essen ab. Sind es leid, daß jedes Gespräch stets bei dem einen landet.
Mit der Wahrheit der Verrückten ist es eben doch nicht so einfach. Gestern total wahnsinnige Anzeige in der taz; mit Generalstreik-Drohung gegen den Krieg: scheint sich um antijüdische Tierschützer mit Sinn für gesunde Ernährung zu handeln. Text: »... allein, wenn man an die Familien der GIs denkt, die von einem kranken, falsch ernährten Commander in der Wüste an der Nase herumgeführt werden«.
Muß Klarheit gewinnen! Morgen werde ich Bernd besuchen. Der hat sich ganz aus dem Leben ausgeschnitten und archiviert es nur noch. Vielleicht kann der weiterhelfen. Es müßte doch möglich sein, wirklich eigene Bilder und Gedanken im Kopf zu produzieren.
Wird bis zum 16. Januar täglich fortgesetzt.
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