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Multigeniale Dilettanten

■ Das „orchestre du pain“ zurück im heimischen Lagerhaus / Ereignisflut für jede LiebhaberIn

Da stimmt doch etwas hinten nicht. Das zieht so komisch hoch, das Jackett. Und der geht immer so vornübergebeugt. Außer wenn er die Finger zum Flamenco spreizt. Dann kriegen seine Augen so ein irres Leuchten, und die Hüften zittern wie ein Aal. Immer wenn Baffi eine Erektion hatte, habe ich versucht, es festzuhalten, aber es rutschte weg!

Das ist Monsieur Fuffzigwatt alias Martin Pollkläsener, Mitglied des musiktheatralischen Quartetts orchestre du pain, das sich am vergangenen Wochenende nach gastspielbedingter Abwesenheit bei der stattlichen bremischen Fan-Gemeinde im Lagerhaus zurückmeldete.

Der andere kann so herrlich singen und ist auch nicht so häßlich und fällt auf die Knie, daß frau dahinschmelzen könnte — diese aufgeworfenen Lippen — tropft da nicht der Geifer? — Das ist Monsieur Batterie, alias Hans König, der Texter des Orchestre. Meine Hände gleiten ihre Schenkel hinab, Entsetzen steigt in mir auf. Die Flut der Wollust ergreift meine Seele, über ihr liegt der Tod.

Echt Rhythmus im Blut haben die Jungs mit ihren Radieschen- Castagnetten und Eierschneiderharfen und natürlich richtigen Instrumenten. Das musikalische Repertoire reicht vom Square Dance über das rustikale Volkslied hin zu Flamenco, Bossanova und metallischem Rock.

Und wie der Conferencier, der sich heimlich eine silberne Jacke angezogen hat und Monsieur Saxophon alias Ulrich Pollkläsener heißt und ein solches auch spielt, es hinkriegt, das Publikum zu Walgesängen zu animieren! Auch das mit dem Topfschlagen und den gewonnenen Nudeln war wirklich gelungen, aber daß der Fuffzigwatt alles auf seiner Glatze zerbröseln muß, Was machen Sie denn da? Still, mein Körper schreit! von wo es dann zu den unpassendsten Momenten wieder herunterfällt. Plötzlich schrubbt er mitten im Publikum mit Seifenlauge seine Plastikschürze ab, daß es nur so spritzt und hat ein Schiffstau umgewickelt. Monsieur Toutedesuite alias Stefan Walkau hangelt sich wie ein Affe über dem Publikum mit angezogenen Beinen an einer Stange, die gefährlich nach Gasleitung aussieht, entlang. Und dann machen sie Tauziehen mit dem Publikum.

Grinsen breit wie das „Medium Terzett" und sind sexy und ein bißchen debil und dann wieder ballettös und gespreizt. Zwischendurch machen sie richtig rockiges Gedröhne mit ihren Gitarren. Es ist, wie die Vier vom Orchestre du pain sagen, ein Ball gegen die Gewohnheit.

Im Stuhl zurücklehnen ist nicht drin in der Hektik der Ereignisse. Da ist für jede etwas dabei: Für die Liebhaberin rhythmischer Klänge von gestern bis heute genau so wie für die Fans dummen Klamauks. Aber auch die Literaturfreaks kommen auf ihre Kosten. Zumindest wenn sie gut aufpassen: Klingt da nicht die Todessehnsucht des expressionistischen Gedichtes durch? Ist das nicht die gekonnte Sinnverweigerung des Dada? Der Mut zur Häßlichkeit, zur Entstellung, zum Ekel hat System. Wie die gekonnte Zusammenhanglosigkeit zwischen den Ebenen von Mimik, Aktion, Musik und Text. Vier, die sich gefunden haben, weil ihre theatralischen Fähigkeiten in Übertreibung und Selbstironie liegen. Dabei sind sie nie perfekt, und die Zuschauerin wird das Gefühl nicht los, daß sie gar nicht spielen, sondern so sind.

Gaststar war Francesca de Martin einer szenischen Version der Weihnachtsgeschichte. Das war gekonnt, wie nicht anders erwartet, wirkte aber im Programm der eingefleischten Vier deplaziert. Beate Ramm

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