»Wir werden Augenzeugen brutaler Bilder sein«

■ Interview mit dem Berliner Friedens- und Konfliktforscher Professor Uli Albrecht über die Golfkrise und die wiedererwachte Friedensbewegung/ Das Gefühl der Hilflosigkeit motiviert zum verspäteten Protest INTERVIEW

taz: Wochen- und monatelang hat — nicht nur in Berlin — der drohende Konflikt am Golf zwar die Schlagzeilen gefüllt, aber kaum die Gemüter beunruhigt. Auch nicht die der Friedensbewegung. Jetzt wird plötzlich für Demonstrationen und Mahnwachen mobilisiert. Wie erklären Sie sich diese lange Apathie?

Albrecht: Das ist richtig. Freunde und Bekannte wurden schon unruhig und haben sich gefragt, was denn noch alles passieren muß, damit endlich was passiert. Die beiden Kriegsparteien haben auch einiges dazugetan im Zuge des Showdown, um die Öffentlichkeit zu beeindrucken. Da ist zum Beispiel die amerikanische Studie, ob Nuklearwaffen einsetzbar sind, um einen Krieg zu begrenzen oder Saddam Husseins Ankündigung von weltweiten Terroranschlägen. Jetzt scheint eine gewisse Schwelle überschritten. Heute morgen war zum Beispiel eine Studentin in meiner Sprechstunde, die wissen wollte, ob ihr amerikanischer Freund türmen sollte, bevor er nach Nahost versetzt wird. Das erinnert an die Jahre 1982/83, als auf einmal auch die persönlichen Beziehungen mit der hohen Politik verknüpft waren. Das zeigt schon eine gewisse Mobilisierung.

Dieses ökologische Untergangsszenario, das jetzt durch die Medien geistert, erinnert an die Apokalypse, die auch die Friedensbewegung im Kampf gegen die Nachrüstung immer skizziert hat. Offensichtlich klappt die Mobilisierung erst, wenn ein solches Untergangsszenario vorhanden ist...

Weniger das Moment des Untergangsszenarios spielt da eine Rolle, sondern die Einsicht in die eigene Machtlosigkeit, die auch 1982/83 hier in Berlin von Oberschülern formuliert wurde. »Die veranstalten einen Atomkrieg und lassen uns da hineinlaufen«, haben die damals gesagt. Das drückt das Gefühl der Hilflosigkeit aus, daß irgendwo da oben Politik gemacht wird, zu der man keinen Zugang hat. Eben dieses Gefühl kommt jetzt auch bei den Medienkonsumenten zum Vorschein. Man sieht, es gibt diplomatische Aktivitäten, es gibt militärische Aktivitäten, aber man begreift sehr genau: Ich selbst habe dabei überhaupt nichts zu sagen. Das löst bei vielen den Reflex aus, da nicht sehenden Auges hineinschlittern zu wollen. Meiner Ansicht nach zeichnet sich in den Insiderszenarios ein begrenzter Schlagabtausch ab. Die Saudis sind zweifellos sehr unglücklich mit der amerikanischen Militärpräsenz. Für die saudischen Eliten als Schützer der heiligen Grabstätten ist Präsenz so vieler ausländischer Soldaten eigentlich nur zu rechtfertigen, wenn es Tote gibt. Ich befürchte, daß es zu begrenzten Schlägen kommen wird — oder »chirurgischen« Schlägen, wie die Amerikaner das nennen. Danach wird man es uns dann als Gipfelleistung der Diplomatie verkaufen, wenn der Konflikt begrenzt wurde und Kompromisse gesucht werden.

Saddam Hussein hat unter anderem angekündigt, bei Kriegsausbruch sofort auch Israel anzugreifen. Diese Ankündigung hat weder in Berlin noch im Rest des Landes größere Empörung ausgelöst. Welche Rolle spielt diese Drohung gegen den jüdischen Staat bei der Mobilisierung gegen den Kriegsausbruch?

Israel ist ein Punkt, an dem die Linke immer empfindlich war, immer flau und eher hilflos reagiert hat. Das ist ein schwacher Punkt — besonders bei den Deutschen.

Fernsehteams von CNN und anderen Sendern sitzen seit Monaten vor Ort und warten, daß es endlich losgeht, um der Welt in wohl noch nie erlebtem Ausmaß Bilder live von den Kriegsschauplätzen liefern zu können. Wird das für uns ein Wohnzimmerhorrorspektakel?

In Vietnam war das schon so — wenn auch mit technisch weniger ausgereiften Mitteln. Der »Krieg im Wohnzimmer« hat damals in den USA zu dem geführt, was dann das »Vietnam-Syndrom« genannt wurde. Der Durchschnittsbürger wollte einfach nichts mehr mit diesem Krieg zu tun haben. Da nun Zehntausende von Amerikanern da stationiert und die Medien entsprechend vorbereitet sind, ist zu befürchten, daß wir auf abstruse Weise Augenzeugen sein werden. Wenn es zu Gefechten kommt, müssen das brutale Bilder sein — da kommt es höchstwahrscheinlich zu einer öffentlichen Reaktion. Das kann Abwehr sein. Daß der Anblick der Fernsehbilder die Unterstützung der Kriegsführenden forciert, halte ich allerdings für sehr unwahrscheinlich. Es kann aber auch eine Brutalisierung eintreten nach dem Motto: Jetzt haut erst recht drauf. Interview: Andrea Böhm