: Verhaltensweisen in der Allmende-Klemme
Psychologen der Freiburger Universität untersuchten ökologische Konfliktsituationen/ In einem spieltheoretischen Modell wurden die Versuchspersonen zu Fischern/ Vorbildhaftes Verhalten zeigte mehr Erfolg als die plumpe Vergeltungsstrategie ■ Von Wolfgang Blum
„Schütte ich den Rest Lack oder Lösungsmittel schnell in den Ausguß oder opfere ich eine Stunde, um ihn zur Sammelstelle für Sondermüll zu bringen?“ Wer kennt nicht diesen Gewissenskonflikt. Zur Sammelstelle fahren kostet Zeit und wegschütten ist einfach und ohne direkte Folgen. Dächte andererseits jeder so, würde das die Belastung von Boden und Wasser erheblich steigern und damit die Lebensqualität jedes einzelnen mindern.
Solche Dilemmata werden von ÖkologInnen als Allmende-Klemmen bezeichnet. Ein klassisches Beispiel ist die gemeinsame Nutzung von Weideland, der sogenannten Allmende. Wenn ein einzelner Herdenbesitzer die Anzahl seiner Tiere erhöht, kann er einen Extraprofit einstreichen. Gleichzeitig schadet er aber durch Überweidung dem gemeinschaftlichen Besitz. Trieben alle mehr Tiere auf die Allmende, drohen gar nicht wiedergutzumachende Schäden.
Gemeinschaftsweiden haben zwar heute keine große Bedeutung mehr, aber wenn zum Beispiel die Grenzwerte für Schadstoffemissionen oder die Fangquoten auf den Weltmeeren bestimmt werden, entstehen ähnliche Situationen. In den letzten Jahren begannen WissenschaftlerInnen, mit Modellen der mathematischen Spieltheorie ökologische Konfliktsituationen zu erforschen.
Auge in Auge, Zahn um Zahn
Kürzlich wurde ein Forschungsprojekt am psychologischen Institut der Universität Freiburg abgeschlossen, mit dem optimale Verhaltensweisen in Allmende-Klemmen ermittelt werden sollten. Konkret untersuchten die Freiburger Psychologen die folgende Situation: Jeweils drei Versuchspersonen, die nicht miteinander kommunizieren durften, versetzten sich in die Lage von Fischern an einem gemeinsamen See und legten in jeder von sieben Saisons ihre Fangquoten fest. Nach jeder Runde wurde der Fischbestand zu Beginn der kommenden Saison errechnet und bekanntgegeben. Die dabei verwandte Formel beruhte auf biologischen Annahmen und war den Beteiligten nicht bekannt.
Der Ehrgeiz der Akteure wurde durch eine Bezahlung, deren Höhe vom eigenen Fangertrag abhing, angestachelt. Schnelles Abfischen führte nicht nur zur ökologischen, sondern auch zur ökonomischen Pleite, da bei geringem Bestand sich die Ressource kaum noch vermehrte ode gar ganz zugrunde ging. Andererseits konnte die Fischpopulation durch zurückhaltende Fangquoten nicht beliebig vergrößert werden, da der See nur begrenzt Platz und Nahrung bot. Um bestimmte Verhaltensmuster systematisch untersuchen zu können, kreierten die Psychologen Prototypen von Fischern mit dem Computer. Damit sollte der Erfolg bestimmter Spielertypen besser erfaßt werden können. Die Typen unterschieden sich in ihrem Wissen über ökologische Zusammenhänge und in ihrer Zielsetzung. Die einen verfolgten nur den eigenen Profit, andere sorgten sich daneben auch um die Erhaltung des Fischbestandes und damit um das Allgemeinwohl. Besonderes Interesse galt dabei einer Strategie, die sich nach der Regel, „wie du mir, so ich dir“, verhält. Diese Strategie beginnt mit einer gemäßigten Fangquote und ahmt dann das Verhalten der anderen „Fischer“ in der jeweils vergangenen Spielrunde nach. Bei Untersuchungen von Politologen hatte sich diese „Auge- um-Auge-Zahn-um-Zahn-Mentalität“ als überraschend erfolgreich erwiesen (siehe Bunsenbrenner).
„Verzögerte Wie-du-mir- so-ich-dir-Strategie“
Im Laufe des Projekts schälten sich drei Faktoren heraus, die den Erfolg entscheidend bestimmmten: gutes ökologisches Wissen, die Bereitschaft, Mitspielern zu vertrauen und die Überzeugung, daß der Gewinn möglichst fair verteilt sein sollte. Vorbildhaftes Verhalten zeigte mehr Erfolg als die plumpe Vergeltungsstrategie des „Wie du mir, so ich dir“. Setzte ein „Fischer“ seine Fangquoten zu hoch an und gefährdete damit den Fischbestand, änderte er sein überforderndes Verhalten nicht, wenn die anderen ebenfalls ihre Quoten erhöhten. Versuchten die anderen jedoch weder ihre MitspielerInnen zu übervorteilen noch den Fischbestand zu dezimieren, so konnten sie ihn damit oft positiv beeinflußen.
Helfen solche vertrauensbildenden Maßnahmen nichts, empfehlen die Freiburger Wissenschaftler die „verzögerte Wie-du-mir-so-ich-dir- Strategie“: Zeige dich lange Zeit sozial und ökologisch verantwortungsvoll und hoffe auf deine Vorbildwirkung. Läßt sich so keine Strategieänderung des Egoisten erreichen, setze ein Signal und vergelte mit eigenen überhöhten Fangquoten. Vielleicht kann damit ja der Lernprozeß angeregt werden. Diese Vergeltung darf aber nur sehr kurz erfolgen, um nicht selber ausbeuterischer Ziele verdächtigt zu werden und um eine drastische Schädigung der Ressource zu vermeiden. Hilft alles nichts, bleibt die Möglichkeit, die „Kosten“ der unkooperativen Strategie zu erhöhen, indem beispielsweise umweltschädigendes Verhalten öffentlich angeprangert wird.
Während in der Realität meist Verhandlungen geführt werden, durften die Beteiligten am Fischereispiel nur in der jeweils letzten Runde miteinander kommunizieren. Kam es dabei zu irgendwelchen Absprachen, hielten sie sich jedoch häufig nicht daran. Um solche Verhandlungen im Modell voll erfassen zu können, müßten wesentlich komplexere Methoden angewandt werden.
Hans Spada, Leiter der Freiburger Forschungsgruppe, sieht in mangelnden Absprachemöglichkeiten allerdings keine entscheidende Schwäche seiner Untersuchungen: „Bei wirklichen Konflikten gibt es meist so viele Beteiligte, daß eine echte Kommunikation sowieso nicht möglich ist.“ Dennoch erwägt er, bei zukünftigen Projekten mehr Verhandlungsmöglichkeiten zuzulassen.
Zahlreiche andere Studien haben die Faustregel, „je mehr Kommunikation, desto besser das Ergebnis“, bestätigt. Daher hofft Spada in der Wirklichkeit würden bessere Ergebnisse erzielt als beim Fischereispiel: „In den uns real umgebenden ökologisch-sozialen Dilemmata vertrauen wir auf die Fähigkeit des Menschen zur Kommunikation und explizit kooperativen Problemlösung.“
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