: In Saudi-Arabien bleibt nichts, wie es war
Das Königshaus ist innenpolitisch isoliert/ Die Präsenz der amerikanischen Truppen bringt die islamischen Fundamentalisten gegen Fahd auf/ Bürger fordern mehr Demokratie ■ Von Khalil Abied
„Nie wieder wird die Situation so wie vor dem 2. August sein, weder in Saudi-Arabien noch in Kuwait oder in irgendeinem der anderen Golfländer“, sagt einer der Führer der saudischen Opposition, Ali Salem, Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei Saudi-Arabiens, der sich zur Zeit im Exil aufhält. „Die Golfkrise und vor allem die amerikanische Truppenpräsenz haben zu einem innenpolitischen Erdbeben geführt. Die herrschende Familie Saud ist völlig isoliert, die Opposition tritt immmer offensiver auf.“ Eine große Anzahl von religiösen Würdenträgern, die bislang immer als „ideologischer Schlagstock“ der herrschenden Familie dienten und jeden königlichen Beschluß mit einer Fatwa (islamischen Rechtsgutachten) rechtfertigten, haben nun einen Video- Kassetten-Krieg gegen ihn erklärt. Für sie ist die Anwesenheit der „Ungläubigen“ im Land der wichtigsten islamischen Heiligtümer Gottesfrevel. Sie befürchten den moralischen Verfall der ganzen Gesellschaft, falls die Amerikaner nicht sofort das Land verlassen.
Im Königshaus ruft das schlechte Erinnerungen wach. Auch Johaiman und seine Anhänger, die 1979 mit Waffengewalt die Kaaba in Mekka stürmten und für mehrere Tage besetzt hielten, stammten ursprünglich aus den gleichen religiösen Kreisen. Der Aufstand konnte damals nur mit Hilfe französischer und amerikanischer Sonderkommandos niedergeschlagen werden. Noch eines muß der König fürchten: Die religiösen Würdenträger verfügen über nicht unerheblichen Einfluß innerhalb der Armee und des Staatsapparates und genießen unter den religiös eingestellten Bewohnern Saudi-Arabiens Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Demokratiebewegung formiert sich
Auch die Akademiker und Technokraten beginnen, sich zu rühren. Sie fordern ein Ende des Machtmonopols der Familie Saud und demokratische Reformen. In Anlehnung an die „Diwaniyes“ in Kuwait, der kuwaitischen Form der Demokratiebewegung vor dem Einmarsch irakischer Truppen, treffen sich Vertreter der Familienclans zu sogenannten „Majalis“, Ratsversammlungen in den Privatsalons einflußreicher Händler und Geschäftsleute, um über die politische Situation im Lande zu beraten. Wurde anfangs hinter den Mauern dieser Majalis vor allem über den irakischen Einmarsch in Kuwait diskutiert, so ist heute die Angst vor den Amerikanern Hauptthema. Nachdem die amerikanischen Truppen ganze Gebäudekomplexe für fünf bis zehn Jahre gepachtet haben, fragen sich viele Saudis, wie lange die Amerikaner zu bleiben gedenken und wer das ganze in Zukunft bezahlen soll. Die Golfkrise hat die Unfähigkeit der Familie Saud, das Land zu regieren, ans Licht gebracht, meinen die Leute auf den Majalis. Milliarden Dollars hat das Königshaus für Waffenkäufe verschleudert, und bei der ersten Krise müssen dann trotzdem Hunderttausende von Ausländern zur Verteidigung ins Land geholt werden.
Viele machen König Fahd zum Vorwurf, daß er keine konstruktive Rolle bei den Verhandlungen zwischen Kuwait und Irak wahrnimmt, sondern statt dessen die Beziehungen zu den meisten Nachbarstaaten auf den Tiefpunkt brachte. Es waren Frauen aus diesen großen Familienclans, die im November letzten Jahres erstmals in einer Autokolonne über die Boulevards von Riad rollten und das Recht forderten, selber Autofahren zu dürfen. Autofahren ist Frauen in Saudi-Arabien gesetzlich verboten. Die meisten Frauen mußten diese erste öffentliche Frauendemonstration mit Hausarrest und Berufsverbot bezahlen.
Eine Million oppositionelle Schiiten
Eine Million der zwölf Millionen Einwohner Saudi-Arabiens sind Schiiten — geradezu ein Alptraum für das Regime. Sie sind die ursprünglichen Bewohner der Ostprovinz, dort wo die großen Erdölvorkommen lagern. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen werden sie in Saudi-Arabien wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie dürfen ihre religiösen Riten nicht ausüben. Sie werden nicht zur Armee eingezogen und dürfen nicht in staatlichen Institutionen arbeiten. Die eine Million Schiiten sind 1 Million Oppositionelle. Saudische Oppositionelle berichten, daß die Differenzen auch an der königlichen Familie nicht vorbeigegangen sind. Kronprinz Abdallah, der entschieden gegen die amerikanische Truppenpräsenz am Golf ist, ist seit Beginn der Golfkrise von der politischen Bühne verschwunden.
Der saudische Verteidigungsminister Prinz Sultan galt noch zu Beginn der Golfkrise als einer der Falken im antiirakischen Lager. Aber die Tatsache, daß die Führung der multinationalen Truppen faktisch in Händen der Amerikaner liegt, hat viele Offiziere der saudischen Armee verärgert. Das Gefühl, von den Amerikanern an den Rand gedrängt worden zu sein, ist wohl auch die Ursache für die Erklärung Prinz Sultans vom November letzten Jahres, daß Saudi-Arabien bereit sei, mit dem Irak zu verhandeln und daß es schließlich keine Schande wäre, wenn Kuwait einen Teil seines Bodens an einen arabischen Bruder abgäbe, um so das Problem aus der Welt zu schaffen.
Parteien sind illegal
In Saudi-Arabien ist jede Opposition verboten. Die meisten Oppositionsgruppen wurden mit brutalsten Mitteln liquidiert. Heute arbeiten nur noch zwei Parteien in Saudi-Arabien — illegal natürlich: die Kommunistische Partei Saudi-Arabiens und die Organisation der islamischen Revolution. Die Kommunistische Partei wurde in den fünfziger Jahren gegründet und hat vor allem unter Intellektuellen und Universitätsangehörigen sowie unter kleinen Angestellten und Arbeitern Einfluß.
Die Organisation der Islamischen Revolution ist eine schiitische Partei mit eher linkem Programm. Sie fordert die Aufhebung der Diskriminierungen der Schiiten und politische Reformen. Der herrschenden Familie wirft sie vor, die Religion für ihre Privatinteressen zu mißbrauchen. Die beiden Parteien arbeiten eng zusammen. Nach Angaben der saudischen Opposition gibt es zur Zeit etwa 700 politische Gefangene; erst kürzlich fand eine Verhaftungswelle unter den Schiiten statt.
Trotzdem ist die Opposition optimistisch. Die Bedingungen für eine Opposition gegen die königliche Alleinherrschaft waren noch nie so gut. Nur vor einer Sache haben alle Angst. „Wenn es tatsächlich Krieg gibt“, sagt Ali Salem, „wird jede Veränderung unmöglich. Wenn es aber nicht zum Krieg kommt, kann niemand mehr die Entwicklung aufhalten.“
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