: "Jede Elefantenherde ist sozialer zu ihren Kindern"
■ Den Kinderläden in West- und Ost-Berlin steht das Wasser bis zum Hals / Drohende Kürzung der Senatszuschüsse im Westen / Kaum reelle Startchancen im Osten
West-Berlin. Die Namen täuschen über den Ernst der Lage hinweg: Im »Tausendfüßler« und im »Affenzirkus«, bei »Pimperle«, »Munkelrübe« oder »Paletti«, ihres Zeichens Kinderläden oder Elterninitiativ-Kindertagesstätten, kurz EKTs genannt, jagt eine Krisensitzung die andere. Die Stimmung ist alles andere als paletti, wie die gleichnamige EKT vermuten lassen könnte. Denn zwischen Weihnachten und Neujahr flatterte den EKTs ein Bescheid der Senatsverwaltung für Jugend, Frauen und Familie ins Haus, wonach die weitere Finanzierung nur für die ersten drei Monate dieses Jahres gesichert sind. »Zuwendungsbescheid« ist auf dem Schreiben zu lesen, nur haben sich Eltern und ErzieherInnen die »Zuwendung« anders vorgestellt.
571 EKTs sind betroffen. Mit 10.000 Plätzen sind die EKTs Spitzenreiter unter den freien Trägern und stellen damit längst einen unverzichtbaren Teil bei der Kinderbetreuung in Berlin dar — nicht zuletzt aufgrund des ehrenamtlichen Arbeitseinsatzes der Eltern, die meist in Nachtschichten die Räume renoviert haben. Bei »Randale«, einem Kinderladen für 14 Sprößlinge in Charlottenburg, waren Eltern und Erzieherinnen nach dem Lesen der Senatspost wie »vom Blitz getroffen«, so eine Mutter. Besonders alarmiert war man über Anlage 1 des Bescheids, wonach selbiger widerrufen werden kann, »wenn Haushaltsmittel nach dem festgestellten Nachtragshaushaltsplan von Berlin oder aufgrund haushaltswirtschaftlicher Sperren nicht verfügbar sein sollten«. »Nur so zum Spaß« habe man ausgerechnet, so die Kinderladenvorsitzende Kerstin Bode, was die Eltern der »Randale«-Kinder ohne Senatszuschüsse monatlich an Platzgeld zahlen müßten: 581 Mark.
Wie es nach dem 31. März weitergehen soll — niemand weiß es. In der Senatsverwaltung für Jugend, Frauen und Familie weiß man zwar, daß 11,5 Prozent des Haushalts zur Disposition stehen. Doch wo der Rotstift angesetzt werden soll, ist bislang unklar. Man wartet nicht zuletzt auf die politischen Vorgaben des neuen Senats. Barbara Wolfbauer-Seichter, Koordinatorin der EKT- Beratung in der Stadt mit Sitz beim Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW), erfuhr offiziell bislang nichts über die Sparvorhaben. »Keiner rührt sich, keiner sagt was — und die Eltern hängen in der Luft.«
Noch im Juni 1989, als noch keiner an den Fall der Mauer und der Berlinhilfe dachte, hatten Senat und Liga der Wohlfahrtsverbände einen Platzgeldstrukturbericht ausgearbeitet, in dem eine schrittweise Zuschußerhöhung zum Platzgeld (Kosten pro Kind und Kita-Tag) festgelegt worden war. Fest steht zumindest, daß die versprochene Erhöhung ausbleibt. Beim DPW will man nun prüfen, ob diese Vereinbarung nur eine Willensbekundung — und damit Makulatur — oder eine juristisch einklagbare Zusicherung darstellt.
Jegliche Planung, so Michaela Zart, Erzieherin im »Tausendfüßler«, ist vorerst unmöglich. Falls die staatlichen »Zuwendungen« in Zukunft ausbleiben oder gekürzt werden, »müssen wir notfalls zumachen«. »Schlimmstenfalls schließen«, lautet auch die Auskunft aus der »Villa Römer«, einem Weddinger Kinderladen. »Jede Elefantenherde«, so stellten die Eltern dort bereits im Sommer anläßlich finanzieller Kürzungen fest, habe »ihren Kindern gegenüber ein sozialeres Verhalten als wir Deutsche.«
Dabei geht es der »Villa Römer« im Vergleich zum Kinderladen »Randale« noch gut. Letzterer brütet nicht nur über den angedrohten Kürzungen von Senatsgeldern, sondern auch über eine Erhöhung ihrer Gewerbemiete von 540 auf 2.100 Mark Kaltmiete. Beim »Dachverband der Elterninitiativkindertagesstätten« hat man bereits eine Liste betroffener EKTs angelegt. Mindestens zwölf Läden, so die Vorsitzende Karin Lücker, seien entweder von dreihundertprozentigen Mieterhöhungen oder Kündigungen betroffen. Ein Schöneberger Kinderladen mußte aus diesem Grund bereits seine Pforten schließen.
Sieht die Zukunft für bereits bestehende EKTs schon düster aus, so haben Eltern mit Gründungsambitionen momentan überhaupt keine Chancen. Anträge auf Finanzierung eines neuen Kinderladens werden zur Zeit nicht bearbeitet. Karin Lücker befürchtet deshalb mittelfristig die »Ausdünnung« der EKTs. Das Betreuungsangebot sei trotz Wartelisten für Kita-Plätze im Vergleich zu westdeutschen Städten »immer noch ganz gut gewesen — und das wird jetzt abgespeckt«. Damit manifestiere sich letztlich ein Zweiklassensystem bei der Kinderbetreuung. Wohlhabende Eltern können es sich leisten, notfalls Gewerberäume für ihre Kinderläden auch zu kaufen, wie bereits in einigen Fällen geschehen. Für die weniger betuchten bleibt nur der Ausweg auf die Wartelisten der ohnehin völlig überlasteten städtischen Kitas — oder »in den Osten«. Letzterer Vorschlag ist Eltern in der Jugendverwaltung hinter vorgehaltener Hand mehrfach gemacht worden — dort gebe es doch noch genug Plätze.
Ein gestern anberaumtes Gespräch zwischen Senat, DPW und den EKT-BeraterInnen sollte endlich Klarheit bringen. Der Senat sagte kurzfristig ab — »wegen Handlungsunfähigkeit«, wie dem DPW mitgeteilt wurde. Andrea Böhm
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