: Der Geist von Memmingen im Polizeicomputer
Baden-württembergische Datenschützerin Leuze legt Jahresbericht vor, kritisiert eklatante Verstöße / Ordnungshüter sammeln Daten über Frauen, die mit dem Paragraph 218 in Konflikt gerieten/ Gesetzentwürfe sehen Schwächung der Bürgerrechte vor ■ Aus Stuttgart Erwin Single
Baden-Württemberg behält beim Datenschutz weiter seinen Stammplatz in der hinteren Tabellenhälfte. Bei der Vorlage ihres 11. Tätigkeitsberichts geriet wieder einmal die Polizei ins Visier der Datenschutzbeauftragten Ruth Leuze: In ihrem landesweiten Informationssystem (PAD) sammeln die Ordnungshüter fleißig Daten über Frauen, die mit dem Paragraphen 218 in Konflikt gekommen waren.
Darunter fanden sich auch Frauen, die gar nicht schwanger waren oder Fehlgeburten hatten. Andere speichert die Polizei noch Jahre, nachdem das gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren längst eingestellt war — so eine 15jährige Schülerin, die straffrei blieb, weil sie bei einer Beratung war oder die Mutter zweier Kinder, die nach einer Abtreibung einen Selbstmordversuch unternommen hatte.
Selbst ein 10jähriger Karteivermerk erschien manchen Dienststellen für verdächtige Frauen nicht lang genug: Beispielsweise wurde bei einer 54jährigen Mutter von fünf Kindern die Speicherung um weitere drei Jahre verlängert. Begründung: Wiederholungsgefahr.
Weiterspeichern darf die Polizei die Daten nur, wenn das polizeiliche Interesse höher zu bewerten ist als das des Einzelnen. „Hier durchweht der Geist von Memmingen den Polizeicomputer“, erklärte die Landtagsabgeordnete Biggi Bender (Grüne), und verlangte, alle §-218-Speicherungen umgehend zu löschen.
Eklatante Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen klagte Leuze auch bei anderen Behörden an: geradezu mit Fehlern gespickt sei etwa das Führerscheinverfahren der Gemeinden und Landratsämter; durch Fehlprogrammierungen würden dort oft „unbescholtene Bürger als Trunkenbolde, Rauschgiftsüchtige und Kriminelle“ eingespeichert.
Die Melderegister der Gemeinden dienen allzuoft als beliebte Informationsquelle — nicht zuletzt für Marketingzwecke von Unternehmen. Bei der Sammelleidenschaft zeigen besonders Kreditinstitute viel Phantasie: Hatten früher bereits Banken in Schulen die Adressen potentieller Nachwuchskunden erfragt, sollten nun die Briefträger eines Postamts bei den Pfarrern Konfirmandenanschriften zusammentragen, damit die Postbank sie als zukünftige Kunden werben kann.
Leuzes Datenschutzbericht zeigt aber auch, wie unbedarft bei Krankenkassen, Handwerkskammern oder der Justiz oft mit Daten umgegangen wird. Die Krankenkassen erteilen beispielsweise Arbeitgebern regelmäßig unzulässige Auskünfte über Erkrankungen, damit diese feststellen können, wie lange sie zur Lohnfortzahlung verpflichtet sind. Die Handwerkskammer Stuttgart vergab Zugriffsrechte auf die Datensätze viel zu großzügig, wovon sogar ehemalige Mitarbeiter profitierten. Kontrollen der Justizbehörden förderten deren Sammelwut zutage: Die Oberlandesgerichte bewahren fein säuberlich die Karteikarten aller nach dem Krieg ausgebildeten Gerichtsreferendare auf; beim Amtsgericht Stuttgart finden sich noch alle 4,2 Millionen Mahnverfahren seit 1982 im Computer. Ein Großteil dieser Vorgänge hätte, so der Datenschutzbericht, längst gelöscht werden müssen.
„Im Zweifel für die Verwaltung, nicht für das Grundrecht der Bürger“, lautet nach Ruth Leuze auch das Motto der baden-württembergischen Gesetzentwürfe. Das inzwischen als Entwurf im Landtag eingereichte Landes-Datenschutzgesetz, bereits mehrfach von der Landesbeauftragten kritisiert, weist noch immer „erhebliche Mängel“ auf: Dem Datenaustausch zwischen Behörden wird „Tür und Tor“ geöffnet, die wissenschaftliche Forschung privilegiert, die Steuerverwaltung begünstigt und die unabhängige Datenschutzkontrolle gegängelt.
Ohne Abstriche will Innenminister Dietmar Schlee zudem die nicht immer gesetzmäßige Speicherpraxis der Polizei in ein Gesetz gießen. Darüber hinaus soll die Polizei künftig zur präventiven Kriminalitätsbekämpfung heimlich observieren, abhören, filmen und fotografieren dürfen und damit dem Verfassungsschutz Konkurrenz machen.
Es könne nicht angehen, heißt es im Datenschutzbericht, der Polizei bei Vorfeld-Ermittlungen mehr Befugnisse einzuräumen, als sie bei einem Ermittlungsverfahren habe, zumal die Strafprozeßordnung technische Mittel für heimliche Observationen und Aufzeichnungen nicht erlaube.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen