Radioaktiver Fall-out bis Mitteleuropa?

■ Dr. Walter Popp, im Vorstand der Internationalen Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges, warnt vor Atomkrieg INTERVIEW

taz: Herr Popp, ist bei einem Krieg am Golf wirklich der Einsatz von Atomwaffen zu befürchten?

Walter Popp: Es besteht dort zumindest das Risiko eines Atomkrieges. Ich glaube weniger, daß die Amerikaner als erste Atomwaffen einsetzen werden. Es ist aber nach wie vor unklar, ob Saddam Hussein Atomwaffen hat. Zum zweiten muß man davon ausgehen, daß Israel im Besitz von Atomwaffen ist. Und wenn der Irak seine Androhung wahr macht, Israel sofort in den Krieg einzubeziehen, muß man befürchten, daß diese Waffen in der Region auch eingesetzt werden. Und schließlich besteht ein Risiko durch die Atomwaffen, die auf den amerikanischen Schiffen gelagert sind und die durch Zufall oder auch bewußt durch einen irakischen konventionellen Angriff zur Explosion gebracht werden könnten.

Gibt es konkrete Tatsachen, die ein solches Szenario denkbar erscheinen lassen?

Es gibt Meldungen, daß auf den Schiffen am Golf, vor allem bei der amerikanischen Flotte, 400 Atomwaffen lagern. Die befinden sich auf Flugzeugträgern, die atomwaffentragende Flugzeuge mit sich führen, und sind natürlich mit entsprechenden Raketen bestückt. Diese Meldungen stützen sich in erster Linie auf amerikanische Rüstungsfachleute. Darüber hinaus sind, unabhängig von der Golfkrise, auch in der Türkei Atomwaffen der Nato stationiert, die u.U. eingesetzt oder durch Zufall einbezogen werden könnten.

Welche Folgen hätte es, wenn ein Schiff mit Atomraketen an Bord getroffen würde?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die Waffen könnten dabei relativ unbeschädigt bleiben und auf den Meeresboden versinken. Man muß aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit befürchten, daß diese Waffen explodieren. Und dann kommt es darauf an, wie sich die Situation weiterentwickelt, ob das dann zu einer Eskalation des Atomkrieges führt oder ob er noch verhindert werden kann. Auf jeden Fall kann man sagen: Wenn dort Atomwaffen explodieren, dann gibt es aus medizinischer Sicht äußerst schwierige Bedingungen, sowohl für die Soldaten als auch für die Zivilbevölkerung, die Hauptleidtragende sein werden. Man muß mit einer großen Zahl von Opfern rechnen und mit einer massiven radioaktiven Verseuchung in den Gebieten dort. Das hätte auch zur Folge, daß z.B. die Ölfelder gar nicht mehr genutzt werden könnten. Und wenn sie dann in Brand geraten, könnten die verseuchten Ölfelder auch nicht mehr gelöscht werden.

Mit welcher Strahlenbelastung ist im Fall einer Atomwaffenexplosion zu rechnen?

Man muß damit rechnen, daß die Mittelmeerstaaten massiv davon betroffen wären. Wenn der Extremfall eintritt, daß in großem Umfang A-Waffen eingesetzt werden, müssen wir uns darauf einstellen, daß der radioaktive Fall-out bis nach Mitteleuropa transportiert wird. Vera Gaserow