: Die Händler der Nacht
■ Die schnelle Mark am Kneipentisch: Bücher, Rosen, Brötchen und Musik
Rosen
Zumindest in Kreuzberg begegnet man ihnen jeden Abend in der Kneipe. Im Café Übersee waren es gestern sieben: Leute, die etwas zu verkaufen haben. Zeitungen, Bücher, Gebäck und – ein gutes Gewissen. Das verkaufen die Sammler, die für den Erhalt der Wagenburg, für Radio 100 oder für besetzte Häuser an dein Geld wollen. Eine Sonderstellung haben die Rosenverkäufer (siehe auch Reportage). Wer eine Rose geschenkt bekommt und anschließend noch was vorhat, ist übel dran. Immer stellt sich die Frage: Wohin mit dem stacheligen Ding? Die Verkäufer sind meist Flüchtlinge aus Bangladesch oder Sri Lanka. Mit dem Blumenhandel verdienen sie sich ein paar Mark dazu. Viel springt nicht dabei raus. »Ich mache das, um überhaupt was zu tun zu haben!« meint ein Tamile, der lieber nicht fotografiert werden wollte. Denn der Rosenhandel ist illegal.
Brezeln
Thorsten G. verkauft seit dem Mai 89 Brezeln und Käsestangen. Davor war er zwei Jahre in Frankfurt. Drei Stunden wandert er jeden Abend durch Kreuzberg und versucht seine Backwaren loszuwerden. Es reicht, um einigermaßen davon zu leben, sagt er. Den Job hat er sich ausgesucht, weil er sein eigener Herr sein kann: »Kein Chef. Wir arbeiten mit fünf oder sechs Leuten wie in einem Kollektiv.« Sein Traumberuf ist Brezelnverkaufen nicht. Irgendwann will er einen Indianerstamm besuchen, eine Massageausbildung machen und ein Heiler werden, »eine Art deutscher Schamane«.
Zeitungsverkäufer
Jörg behauptet er habe drei Namen, aber Jörg sei genug. Seit über einem Jahr verkauft er nachts die taz, und obwohl er nur 50 bis 80 Mark pro Abend verdient, macht es ihm Spaß. Da er sich aufs Zeitungsverkaufen verlegt hat, bleibt ihm aber auch nicht viel Auswahl. Traditionell ist die taz nämlich die einzige Tageszeitung, die abends in Kneipen verkauft wird. Nur am Wochenende ist vereinzelt auch der 'Tagesspiegel' in Restaurants erhältlich. 'Zitty', 'Tip', 'Tempo' oder die neue Wochenzeitung 'Freitag' werden ebenfalls regelmäßig angeboten. Jörgs privater Traum: nach Indien fahren, Fotograf werden und ein Buch schreiben.
Musiker
Robin und Hardi sind Jazzmusiker. Sie gehören nicht zu der Kategorie Musiker, denen man am liebsten Geld dafür gibt, daß sie gar nicht erst anfangen zu spielen. Solche gibt es in Berlin leider eine ganze Menge. Robin ist in Jugoslawien geboren, in Kanada aufgewachsen, hat zwei Jahre in China gearbeitet und lebt seit zwei Jahren in Berlin. Er spielt jeden Abend, entweder in einem Konzert oder in der Kneipe: »Um ein guter Jazzmusiker zu sein, muß man oft live spielen. Sonst stirbt die Musik.« Robin sieht sich als einen modernen Troubadour: »Wenn ich spiele, dann habe ich die Verantwortung dafür, daß eine gute Atmosphäre entsteht.«
Text: Seeliger/Hughes
Fotos: Mike Hughes/Sequenz
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