Späth in seiner schwersten Krise

Täglich neue kleine Enthüllungen über Lothar Späths offene Hand gegenüber der Industrie lassen langsam auch seine eigene Partei unsicher werden/ CDU-Landesvorstand tagt am Wochenende  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Sonnige Gefilde in der Ägais, die weiten Wälder Kanadas, Städte wie Wien und Paris, Südseesonne und Barbados, die DDR und das Allgäu — ob Dienstreise oder sogenannter Privattrip, dem Geschäftsführer der Firma Baden-Württemberg GmbH, Lothar Späth, ist bekanntlich kein Weg zu weit, um die heimische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Doch seit die Späthsche Reiselogistik, sich auf Firmenkosten in nahe Gefilde und ferne Länder bringen zu lassen, öffentlich in Mißkredit gerät, kommt der unternehmenslustige Landesvater immer mehr ins Schwimmen. Für Späths 90.000 D-Mark teure und angeblich rein private Kreuzfahrttour ins östliche Mittelmeer etwa, vom Mitsegler Helmut Lohr über dessen Firma SEL abgerechnet, fand sich wenig Verständnis. Im Gegenteil, die Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten wurde ernsthaft in Zweifel gezogen. Täglich neue Enthüllungen indes bescheren dem Stuttgarter Regierungschef weitere Unannehmlichkeiten.

So war Kunstfreund Späth im November 1986 zu einer zweitägigen Dienstreise in die Donaumetropole Wien aufgebrochen — zu Gesprächen mit dem österreichischen Bundeskanzler Vranitzky. Im Begleittroß schleppte er den Staatstheaterintendanten Wolfgang Gönnenwein und die Ballettchefin Marcia Haydee mit, denn am Vorabend winkte eine Künstlersoiree in einer Wiener Galerie. Arrangiert hatte das Kunstereignis der Späth-Freund Lothar Strobel, damals Generalbevollmächtigter der Blendax-Werke. Stobel, mit dem sich Späth schon gelegentlich in Malaysia sonnte, bezahlte Flug und Übernachtungen im Luxushotel „Bristol“. Zwei Monate später ließ sich Späth eine Woche in der Karibik bewirten — auf der Luxusjacht von Max Grundig. Grundig, der Späth eingeladen hatte, ließ diesen samt Anhang in Stuttgart mit seinem Privatjet abholen. Von Paris ging es mit der Concorde weiter nach Barbados. Späth dazu: „Wenn der mich einlädt, soll ich den fragen, ob ich mich am Dieselkraftstoff beteiligen soll?“ Aber auch als Dienstreisen eingestufte Privatausflüge ließ sich Späth von der Industrie berappen: Im vergangenen Jahr jettete er mit einem Flugzeug der Bayer-Consult nach Paris, um dort eine Ausstellung des mit ihm befreundeten Malers Lude Döring zu eröffnen. Mit an Bord: Späths Frau und Dörings Familienangehörige.

Nach dem mißglückten Rechtfertigungsversuch wurde die Glaubwürdigkeit am Ministerpräsidenten noch lauter in Frage gestellt. Vor sieben laufenden Fernsehkameras beteuerte Späth vergangene Woche, er habe nichts zu verbergen. Sichtlich erleichtet zog er Brief und Scheck aus der Tasche, die belegen sollten, daß er seinen Anteil der DDR-Reise mit seinem Adoptivsohn an SEL zurückerstattet habe. Doch er schoß ein Eigentor: Der Scheck über 5.470,29 D-Mark, vom SEL-Fahrer in Späths Dienstvilla abgeholt, wurde zwar anschließend von SEL eingelöst; das Geld landete aber kurz darauf bar in der CDU-Spendenkasse — auf Späths Vorschlag hin. SEL-Chef Lohr habe ihm das Geld aufdrängen wollen, korrigierte sich Späth, er habe die CDU-Spende nicht erwähnt, weil sie ihm nicht wichtig erschien. Inzwischen stellte sich zudem heraus, daß die nach Späths Ansicht auch in anderen Bundesländern übliche Transporthilfe eine rein baden-württembergische Spezialität sind.

Während die Landes-CDU noch eifrig Solidaritätsadressen für Späth sammelt, bläst die Opposition bereits zum Sturz des angeschlagenen Landesvaters. Allem Anschein nach wird noch im Januar ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingesetzt werden, der über die „Schiffsgesellschaft Lohr/Späth“ hinaus die von Späth betretene Grauzonze zwischen Politik und Wirtschaft schonungslos ausleuchten soll. Dabei wird auch die Rolle der Staatsanwaltschaft geprüft, der die Oppositionsparteien seit der Parteispendenaffäre vorwerfen, CDU- Spitzenpolitiker geschont zu haben. Ein „Sittengemälde der CDU-Funktionselite wie in Banana-City“, wie von SPD-Fraktionschef Spöri prophezeit, dürfte der Union äußerst ungelegen kommen: Sie hat bei der Landtagswahl Anfang 1992 ihre absolute Mehrheit im Land zu verteidigen.

Der schwerwiegende Verdacht, der Ministerpräsident habe im Zusammenhang mit seinen Gratisflügen und Ferienaufenthalten den Unternehmen vielleicht auch großzügige Wirtschaftsförderung angedeihen lassen, muß erst einmal bewiesen werden. Offensichtlich jedoch ist, daß Späth in eine für unabhängige Wirtschaftspolitik gefährliche Nähe zu Firmenbossen, Managern und Fabrikanten geriet. Besonders eng sind die Bande zum Autokonzern Daimler-Benz, wie nicht nur zahlreiche Personaltransfers belegen. Für den Musterbetrieb im Musterländle sorgte der Landesvater wie kein anderer: Er verhalf dem schwäbischen Konzern zu noch mehr wirtschaftlicher und politischer Macht. Für seine Teststreckenpläne unterstützte er Mercedes, am Boxberg Wälder abzuholzen und die Bundschuh-Bauern unter Druck zu setzen. Für das neue Mercedes-Werk in Rastatt schoß er 120 Mio. D-Mark an Landesmitteln zu — als wäre der Konzern nicht schon reich genug. Für Daimler läßt er auf dem Ulmer Eselsberg eine Wissenschaftsstadt errichten und modelt die dortige Universität um, so daß sie in die Landschaft der Forschungs- und Technologiepolitik des Konzerns paßt. Und für Daimler war er als Botschafter und Unterhändler unterwegs, als dieser die Firmen AEG, MBB und Dornier schluckte.

Zu den Späth-Spezis gehört auch der Mannheimer Baulöwe Hans Schlampp, der im Sommer 1989 vor dem Mannheimer Landgericht wegen versuchten Betrugs und Beihilfe zur Bestechung zu 2 Jahren Gefängnis auf Bewährung und 3 Mio. D-Mark Geldstrafe verurteilt wurde. Der in zweifelhafte Grundstücksgeschäfte verstrickte Schlampp hatte sich ein Landessubventionsdarlehen von 10 Mio. D-Mark besorgt. Auch Späth wurde dabei eingeschaltet und mußte im Prozeß als Zeuge aussagen, er habe eine „wohlwollende Prüfung“ veranlaßt. Wie weit Späth tatsächlich gegangen war, wurde nie geklärt. Gemeinsam mit Schlampp und dem früheren Landtagspräsidenten Lothar Gaa (CDU) war Späth bis 1982 auch als stiller Gesellschafter an der gemeinsamen Firma „System- Kontakt“ beteiligt. Sein Paket gab Späth ab, als Gaa abtreten mußte, weil er private Geschäfte verschwiegen hatte.

Wenn sich am Wochenende die CDU-Vorständler im Allgäu-Hotel „Jägerhof“ des Späth-Unternehmerfreundes Helmut Aurenz zusammensetzen, dürfte es auch um die politische Zukunft des Ministerpräsidenten gehen. Denn auch in der CDU beginnt es kräftig zu rumoren. Bei aller vordergründiger Solidarität sind innerhalb der Fraktion die Ängste nicht mehr zu unterdrücken, daß der Kahn samt dem Ministerpräsidenten untergeht.