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Mit dem Pferd auf Du und Du

■ Im Wettkontor: Das große Geld macht niemand, aber mancher lebt vom Wetten

„An der Spitze Road-Runner, ganz außen Chilion, ja und jetzt der Favorit...“ klingt es aus dem Lautsprecher. 20 Augenpaare kleben an den Bildschirmen, auf denen sich ein Dutzend Pferde abhetzen, angefeuert von Trabfahrern, die in winzigen Wagen an ihnen hängen. Ein normaler Nachmittag im Bremer Wett Kontor, einem Wettbüro Rembertistraße / Ecke Rembertiring. Die neuen Räume — erst vor einem Jahr bezogen — wirken wie ein helles, großes Cafe. Großzügig verstreut stehen Tischchen aus hellem Holz auf hellgrauem Teppich. Die Männer sitzen daran in Zweier- oder Dreiergrüppchen, manche auch allein. Vor sich haben sie Wettzeitungen, Kaffee, vereinzelt ein Flaschenbier — da! eine Frau. Sonntags gibt es nur noch Stehplätze und ordentlich Stimmung. Dann sind auch mehr Frauen da. An der Theke wird nicht getrunken. An der Theke wird hier gewettet.

Noch fünf Minuten bis zum nächsten Start. Da springen die Männer auf und drängeln sich an der Theke. Die meisten geben einen Wettschein pro Rennen ab, manche auch mehrere. Ich setze mich zu zwei älteren Herren — der eine sechzig, der andere achzig — an den Tisch. „Ich komme mittwochs, samstags und sonntags hierher“, sagt der Alte, „schon seit fünfzig Jahren“. Der alte Hase wettet bei jedem Rennen für eine Mark. Das ist der Mindesteinsatz, 5.000 Mark die Obergrenze. 5.000 Mark werden auch höchstens pro Wettschein ausgezahlt. Heute beobachtet er neun Rennen auf einer Rennbahn in Vincennes, Frankreich.

Wir befinden uns in der „französischen Ecke“. Blickverstellt durch eine Säule mit Kaffeeautomat und Spielautomaten: die „englische Ecke“. In der fast 150 Quadratmeter großen Spielhalle ist eine Abtrennung möglich. So brüllen die ständig laufenden Kommentare von den verschiedenen Veranstaltungsorten nicht durcheinander. Trotzdem ist in jeder Ecke über einen stummen Bildschirm auch das jeweils andere Rennen zu beobachten.

„Es gibt Jagdrennen, Hürdenrennen, Trabfahren, Traben, Trabreiten“, klärt mich der alte Hase auf, „im Winter gibt es keine Galopprennen“. Im sechsten Rennen hat derweil der Favorit (auf den am Rennplatz die meisten Wetten abgeschlossen wurden), die Nummer 3, gewonnen. Pech für meinen Gesprächspartner, der 3,45 Mark (15 Prozent Steuern) anders gesetzt hat. Seine Lieblingswette ist die Platzwette (das Pferd muß unter den ersten Dreien sein) oder die Siegwette (das gewettete Pferd muß als erstes ins Ziel gehen).

„Wer hier größenwahnsinnig wird, geht kaputt"

„Es ist reine Glücksache. Man verliert ja nur. Aber es dient eben der Unterhaltung. Es ist noch keiner davon reich geworden.“ Mehr als 25 Mark gibt er pro Wett-Tag nicht aus. Ein Blick in die Zeitung verrät: Beim nächsten Rennen läuft ein Dutzend Pferde. Tabellarisch sind Besitzer, Trainer, Pferdename und Name des Fahrers angegeben. Und noch eine Besonderheit fällt auf: Die besten Pferde müssen 2.225 Meter laufen, die schlechteren 2.200 Meter. Im siebten Rennen wird ein Pferd disqualifiziert, weil es in den Galopp gefallen ist.

Ein Glücksspiel also. Das sieht mein nächster Gesprächspartner ganz anders. Er kommt zwei Mal in der Woche und setzt 5 Mark pro Wette. 100 Mark sind sein Limit pro Wettag. Heute hat er abzüglich des Einsatzes schon 212 Mark gewonnen. (Sind Spieler eigentlich ehrliche Menschen?) „Ich wette keine Favoriten, sondern die größten und besten Ställe“, sagt der Mitvierziger mit Kennermine. Fahrer, Trainer und Besitzer müsse man kennen: „In 30 Jahren lernt man das.“ Sein höchster Gewinn in all den Jahren: 35.000 Mark bei einem Einsatz von 250 Mark. Seine Favoriten: die Zweierwette (Der Sieger und der Zweitplazierte müssen in der richtigen Reihenfolge vorausgesagt werden) und der Drilling (die ersten drei Pferde müssen in beliebiger Reihenfolge gewettet werden).

Zu Anfang sei er 500 bis 1.000 Mark am Tag losgeworden. Aber: „Wer bei diesem Sport größenwahnsinnig wird, geht kaputt.“ Das ist ihm erspart geblieben: „Ich lebe davon schon 30 Jahre.“ Außer Pferdewetten — „hundert Mark am Tag Gewinn sind immer drin“ — liebt der Berufsspieler auch Roulette. Im Gegensatz dazu gibt es beim Pferderennen Tips, oder es „es wird geschoben“. Leute, die es sich leisten können, setzen an der Rennbahn viel Geld auf ein schlechtes Pferd und machen es damit zum Favoriten. Dann gehen sie zum Buchmacher und wetten noch mehr Geld auf ihren eigenen Favoriten, der dann — als Überraschungssieger — mit um so höherer Quote gewinnt. Denn die Wetten beim Buchmacher gehen nicht in die Favoritenliste am Totalisator (Wettschalter auf der Rennbahn) ein. Bremen, so der Spieler, „ist so eine Hochburg. Hier gibt es so 'ne Wett-Gang und viele schwarze Buchmacher“. In Bremen teilen sich offiziell zwei Buchmacher das Geschäft: Außer dem Bremer Wett Kontor gibt es noch das Hanseatische Wettcenter.

Im Rennen 8 wettet der Fachmann die Nummer 10 und den Favoriten. Auf dem computerlesbaren Schein streicht er mit dem Kugelschreiber die Wettart, die Pferdenummer und die Rennen- Nummer auf klitzekleinen Kästen an. „Der Computerschein hat viele abgeschreckt, die kommen damit nicht zurecht“, befürchtet der Berufsspieler. Allerdings gibt es auch noch alte Scheine, die am Wett-Tresen dann von der Fachfrau übertragen werden. „In diesem Laden leben rund 20 Leute davon“, schätzt er, „die brauchen nicht zum Sozialamt“. Fachkundige BerufsspielerIn kann jede werden. Bücher und Zeitschriften dienen als Nachschlagewerke: „Da stehen die Pferde von Geburt an drin.“ Im Rennen 8 gewinnen die 1, die 13 und die 9. Pech gehabt. Beate Ramm

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