„Palästina mit demselben Maßstab behandeln“

■ Der Bonner PLO-Vertreter Abdallah Frangi plädiert für eine Überbrückung des 15. Januar, um Spielraum für Verhandlungen zu gewinnen/ Nahost-Konferenz zur Lösung des Palästinaproblems unerläßlich INTERVIEW

Abdallah Frangi, Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Bonn, ist Mitglied des palästinensischen Nationalrates sowie im Zentralkomitee der Al-Fatah (militärische Organisation der PLO). Frangi ist außerdem Berater von Jassir Arafat in westeuropäischen Fragen.

taz: PLO-Führer Arafat hat vor kurzem erklärt, die PLO werde im Kriegsfall an der Seite des Irak kämpfen. Erklärt sich die PLO damit solidarisch mit Saddam Hussein?

Abdallah Frangi: Die Haltung der PLO im Golfkonflikt ist klar: Wir haben von Anfang an nach einer friedlichen, politischen Lösung gesucht. Seit dem Beginn der Krise war es unser Anliegen, zwischen Irak und Kuwait zu vermitteln. Als dann aber die USA darauf gedrängt haben, Truppen in der Region zu stationieren, hat sich unsere Haltung in gewisser Hinsicht geändert: Im Falle eines Angriffs auf den Irak wird die PLO auf der Seite Saddam Husseins kämpfen. Das bedeutet aber nicht, daß die Haltung der PLO identisch mit der des Irak ist. Wir sind vollkommen unabhängig. Unsere Vermittlerrolle und damit zugleich die Hoffnung auf eine politische Lösung der Krise werden wir nicht aufgeben.

Wie soll eine politische Lösung konkret aussehen?

Es muß eine Lösung gefunden werden, die sowohl den Interessen Iraks als auch den Interessen Saudi-Arabiens und Kuwaits entspricht. Vor allem aber sehen wir eine Verbindung zwischen dem Palästinaproblem und dem Kuwait-Konflikt. Das eine Problem kann nicht ohne das andere gelöst werden. Bisher haben die USA immer jegliche UNO-Beschlüsse gegen die aggressive Politik der Israelis boykottiert. Auch jetzt haben die Amerikaner wieder ihren viel zu großen Einfluß unter Beweis gestellt, indem sie die UNO für ihre eigenen Interessen benutzten. Das Palästinaproblem muß mit demselben Maßstab behandelt werden wie der Kuwait-Konflikt.

Die Sympathien der Palästinenser in den besetzten Gebieten und in anderen arabischen Ländern gegenüber Saddam Hussein sind bekannt. Würde die PLO ihre Anhänger verlieren, wenn sie sich offen gegen die Politik des Irak aussprechen würde? Steckt die PLO damit politisch in einer Zwangslage?

Es ist richtig, daß 90 Prozent aller Palästinenser hinter Saddam Hussein stehen. Aber diese Parteinahme geschieht aus Verzweiflung. Die Palästinenser haben eine brutale israelische Besatzung erlebt, bei der allein in den letzten drei Jahren mehr als 1.500 Menschen getötet wurden. Ein großer Teil davon waren Kinder. Alle Versuche, die Israelis zur Mäßigung zu bewegen, sind gescheitert. Viele Palästinenser leben seit 1947 unter israelischer Herrschaft. Zur Zeit sind es zudem noch Hunderttausende sowjetischer Juden, die vornehmlich in palästinensischen Gebieten angesiedelt werden.

Im Übrigen aber hat die PLO eine irakische Annexion Kuwaits nie akzeptiert. Zwischen beiden Staaten gibt es Grenzfragen, die geklärt werden müssen. Auf der ganzen Welt gibt es solche Grenzprobleme. Um sie zu lösen, brauchen wir hier keine Amerikaner.

Vor dem irakischen Einmarsch lebten Tausende ihrer Landsleute in Kuwait und waren dort sogar in wichtigen Bereichen wie Bankwesen und Handel beschäftigt. Ein großer Teil der finanziellen Unterstützung für die von Israel besetzten Gebiete kam aus Kuwait. In Anbetracht des Wegfalls dieses Geldes müßte es doch im Interesse der PLO liegen, daß die staatliche Souveränität Kuwaits wiederhergestellt wird.

In der Tat, die Palästinenser haben sehr viel verloren. Rund 220.000 von den insgesamt 400.000 in Kuwait lebenden Palästinensern mußten das Land verlassen. Über 90 Millionen Dollar flossen aus Kuwait in die Westbank und nach Gaza. Die Verluste der palästinensischen Geschäftsleute gehen in die Milliarden. Daher ist für die PLO die Verantwortung im Golfkonflikt auch viel größer als für Regierungen anderer Staaten. Alle diese Verluste werden wir aber in Kauf nehmen, wenn es zu einer politischen Lösung der Krise kommen sollte.

Die PLO hat durch ihr Engagement für Saddam Hussein in vielen anderen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien, aber auch in den anderen Golfstaaten erheblich an Position verloren. Schadet das nicht der palästinensischen Sache?

Es trifft zu, die Beziehungen zu diesen Staaten sind belastet. Aber trotzdem existieren in allen diesen Ländern noch Vertretungen der PLO. Man ist richtigerweise davon überzeugt, daß die PLO ein ehrlicher Makler des Friedens ist. Wir wollen der Welt eine Katastrophe ersparen.

Die Außenministergespräche von Genf sind gescheitert. Der 15. Januar rückt näher. Und damit auch der Krieg?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Menschen so dumm sein werden, eine derart fürchterliche Katastrophe herbeizuführen. Bei meinem letzten Besuch in Bagdad — wo ich im übrigen mit Saddam Hussein gesprochen habe — hatte ich den Eindruck, daß auch die Iraker unbedingt einen Frieden wollen. Dazu ist es notwendig, den 15. Januar zu überbrücken, um weiteren Spielraum für Verhandlungen zu gewinnen. Schließlich hat das Treffen in Genf bewiesen, daß die Amerikaner und der Irak miteinander reden können. Warum also können nicht weitere dieser Treffen folgen?

Die Amerikaner müssen jedoch aufhören, eine friedliche Lösung dadurch zu verhindern, indem sie sich weigern, das Palästinaproblem mitzudiskutieren. Wenn sie einsehen, daß endlich gegen die aggressive israelische Besatzung gemeinsam vorgegangen werden muß, bin ich zuversichtlich.

Das bedeutet also, wenn die Amerikaner von ihrem Veto-Recht in der UNO keinen Gebrauch machen und es zu einer gemeinsamen UNO-Resolution gegen Israel kommen würde, könnte ein Krieg vermieden werden?

Ich denke ja, denn solange die Palästinafrage nicht gelöst ist, kann es im Nahen Osten für keinen Staat wirkliche Sicherheit geben. Die Europäer, insbesondere die Franzosen, beweisen in diesem Punkt schon wesentlich mehr Einsichtsfähigkeit. Trotz der amerikanischen Haltung scheint ja eine internationale Friedenskonferenz inzwischen eine beschlossene Sache zu sein. Interview: Hasso Suliak, Bonn